ÖGN: Sport als Prävention und Therapie neurologischer Erkrankungen
Wer regelmäßig Sport betreibt, bleibt länger gesund. Obwohl dieses Konzept allgemein bekannt ist, machen die meisten Menschen trotzdem zu wenig Sport. Die WHO empfiehlt allen Erwachsenen von 18 bis 64 Jahren pro Woche mindestens 150 bis 300 Minuten aerobe Aktivitäten von moderater bis hoher Intensität.
Prof. Dr. Barbara Tettenborn, Fachärztin für Neurologie FMH in der Schweiz, ist jedoch überzeugt, dass die Empfehlungen nicht weit genug gehen. Ihr Schwerpunkt ist die Sportneurologie, wobei ihr Fokus besonders auf der Prävention neurologischer Erkrankungen liegt.
Biologische Effekte von Sport auf das Gehirn
Bei ausreichend körperlicher Betätigung lassen sich viele positive Effekte auf das Gehirn nachweisen. So führt Sport neben einer verbesserten Blutversorgung des Gehirns auch zu positiven Veränderungen im Lipid-, Hormon- und Insulinstoffwechsel und fördert die Freisetzung von Neurotrophinen und Wachstumsfaktoren. Zudem hat sich ein Einfluss auf zerebrale Neurotransmittersysteme wie Serotonin, Noradrenalin, Dopamin und Acetylcholin bestätigt.
„Während man bis vor einigen Jahren noch dachte, dass die Zahl der Neuronen im Gehirn mit steigendem Alter abnimmt, zeigt sich durch regelmäßige (aerobe) körperliche Aktivität besonders bei älteren Menschen eine signifikante Erhöhung des Volumens der grauen und weißen Hirnsubstanz“, betont Tettenborn.
Schlaganfallrisiko: Berufsbedingte körperliche Arbeit vs. Freizeitsport
Körperliche Inaktivität ist nach der Hypertonie der zweitgrößte Risikofaktor für einen Schlaganfall. In einer Metaanalyse, in die 50.884 Frauen zwischen 35 und 74 Jahren inkludiert wurden, konnte gezeigt werden, dass die sportliche Aktivität in der Freizeit umgekehrt proportional zum Risiko für einen Schlaganfall und einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) war. Je ausgeprägter die sportliche Freizeitaktivität, desto geringer fiel das Risiko für einen Schlaganfall aus. Hingegen war eine berufsbedingte ausgeprägte körperliche Anstrengung – überwiegend stehende Tätigkeiten und Schichtarbeit – mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert.
Kann Sport Demenz verhindern?
„Sowohl für leichte kognitive Defizite als auch für Demenzen haben Studien gezeigt, dass regelmäßige körperliche Aktivität einen positiven Effekt hat. Abhängig von der Menge des Sports ist der Effekt dann auch größer“, so die Expertin.
In einer Metaanalyse aller prospektiver Studien konnte eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung für körperliche Freizeitaktivität und Demenzen, inklusive Alzheimer-Demenz, nachgewiesen werden. Pro 500kcal (ca. 10 MET = Metabolisches Äquivalent) pro Woche reduzierte sich somit das Risiko für Demenzen im Allgemeinen um 10%, für Alzheimer um 13%.
Laufen statt Depression
Wie sich Sport auf psychiatrische Erkrankungen auswirkt, wurde in einer Metaanalyse von 1.039 Studien mit über 128.000 Personen untersucht. Hier wurden neben gesunden Menschen auch jene mit chronischen Erkrankungen und psychiatrischen Erkrankungen wie Depression und Angstsymptomen eingeschlossen. Es konnte gezeigt werden, je mehr sich die Teilnehmenden sportlich betätigten, desto größer war der positive Effekt. Am größten war dieser bei gesunden Personen, gefolgt von Patientinnen und Patienten mit Depression.
Neurologische Sporttherapie
In der Regel machen Personen, die an einer Erkrankung leiden, weniger Sport als gesunde Personen. Doch gerade Betroffene von neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Multiple Sklerose, Parkinson, Epilepsie oder kognitiven Störungen profitieren besonders von regelmäßigem Sport. „Es stellt sich also nicht die Frage, ob, sondern wie viel und welcher Sport bei Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen individuell am wirksamsten ist“, erklärt Tettenborn.
Besonderer Fokus sollte bei älteren Personen auch auf Balance-Training gelegt werden. Denn koordinative Beanspruchung führt ebenfalls zu neuroplastischen Veränderungen. Dies wird in den Leitlinien zur sportlichen Aktivität bei neurologischen Erkrankungen jedoch noch zu selten hervorgehoben, kritisiert die Expertin.
Eine Vielzahl an Studien hat gezeigt, dass aerobes Ausdauertraining und Intervalltraining bei Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose wesentliche Verbesserungen für kardiorespiratorische Fitness, Muskelkraft, Flexibilität und Balance, Fatigue, Kognition, Knochendichte und auch für die Lebensqualität bringt. Auch bei Parkinson verbessert diese Art des Trainings Gang, Gleichgewicht und viele weitere Aspekte der Erkrankung.
„Letztendlich kann jeder Patient noch Sport machen, man muss eben nur die passende Sportart finden“, unterstreicht Tettenborn.
HIIT vs. SIT
Bezogen auf die notwendige Intensität des Trainings für einen positiven Effekt konnte gezeigt werden, dass High Intensity Interval Training (HIIT) im Vergleich zu aerobem Training moderater Intensität (MAT) signifikant bessere Ergebnisse für Patientinnen und Patienten in der Schlaganfall-Rehabilitation brachte.
Wer sich selbst und auch sein Gehirn fit halten will, sollte laut der Expertin täglich 30–60 Minuten Sport treiben – Kinder mindestens 60 Minuten. Zwei Drittel davon sollte Ausdauersport sein, mindestens einmal in der Woche sollte zudem ein Krafttraining absolviert werden ebenso wie ein Gleichgewichtstraining.
Wer meint, dass so viel Sport nicht mit dem bereits vollen Kalender vereinbar ist, für diejenigen empfiehlt Tettenborn das Sprint Interval Training (SIT). Dabei wird in Intervallen unter 60 Sekunden maximaler bis supramaximaler Effort geleistet. Dann reichen auch schon 20 Minuten pro Tag.
„Wie viel Sport braucht unser Gehirn?“, Sitzung im Rahmen Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, Wien, 14.3.2024