7. März 2024Nürnberger Wundkongress

Selbstverletzungen: Artifiziellen Wunden auf der Spur

Bestens gelaunt präsentiert eine Patientin tiefe Wunden oder nicht erklärbare Ulzera. Diese befremdliche Situation sollte die Alarmglocken schrillen und an selbstschädigendes Verhalten denken lassen. Ansonsten werden Ihre Behandlungsversuche ins Leere laufen.

Wunden und Narben auf Arm
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PD Dr. Cornelia Erfurt-Berge von der Hautklinik am Uniklinikum Erlangen berichtete, dass eine 35-jährige Patientin über Jahre immer wieder mit Ulzera vorgestellig wurde. Es fiel auf, dass sie sich dabei jedes Mal unpassend fröhlich zeigte. Klinisch boten die Läsionen am ehesten das Bild eines Pyoderma gangraenosum und wurden entsprechend behandelt. Doch die Ulzera erwiesen sich auch nach Therapieversuchen mit verschiedenen Biologika als ausgesprochen hartnäckig. Schließlich brachte ein bakterieller Abstrich des Rätsels Lösung: Darin fanden sich Keime aus Blumengießwasser – ein Hinweis darauf, dass sich die Patientin die Wunden selbst zugefügt hatte.

Eine 36-jährige Frau, ebenfalls Patientin der Erlanger Uniklinik, ging noch weiter: Sie manipulierte an einem Ulkus ihres Vorfußes so lange herum, bis sich eine Gangrän entwickelte und der Vorfuß amputiert werden musste.

Dermatitis artefacta: Psychosomatisch assoziierte Beschwerden als Hinweis

Als klassische Merkmale einer solchen Dermatitis artefacta nannte die Dermatologin:

  • Wunden und Verletzungen werden (vermutlich) bewusst zugefügt.
  • Das selbstverletzende Verhalten findet im Verborgenen statt.
  • Die eigene Beteiligung wird strikt verneint.
  • Die Betroffenen nennen andere Ursachen, z.B. Traumata.
  • Ziel ist es (oft unterbewusst), Aufmerksamkeit zu generieren, aber der Verantwortung zu entgehen bzw. sie abzugeben.

Zu den Verdachtsmomenten auf eine Dermatitis artefacta gehören – neben dem oft inadäquaten Affekt – psychosomatisch assoziierte Beschwerden wie Myalgien, Kopfschmerzen, Fatigue oder psychiatrische Nebendiagnosen. Auf Nachfrage lässt sich oft eine psychische Belastungssituation in der Anamnese ermitteln. Die zugefügten Läsionen sind nicht selten bizarr konfiguriert, z.B. polymorph, zirkulär, linear oder gewinkelt, und liegen an gut erreichbaren Körperstellen, vor allem auf der Seite der nicht-dominanten Hand. An der restlichen Haut gibt es keine entzündlichen Veränderungen.

Der Weg zur Diagnose gestaltet sich oft schwierig. Zunächst gilt es eine gute Beziehung zu den Betroffenen aufzubauen und sie nicht direkt mit dem Verdacht zu konfrontieren. Man sollte versuchen, die Motivation für das Verhalten herauszufinden, am besten mithilfe psychologischer oder psychiatrischer Kolleginnen und Kollegen. Leider werden die Patientinnen und Patienten nach der Entlassung mangels ambulanter Betreuung nicht entsprechend weiterversorgt, bedauerte Erfurt-Berge.

Skin-Picking-Syndrom

Von der Dermatitis artefacta abzugrenzen ist das Skin-Picking-Syndrom, das zum Spektrum der Zwangsstörungen zählt. Die Patientinnen und Patienten kratzen, reiben oder manipulieren auf andere Weise wiederholt ihre Haut, oft mit Instrumenten wie Pinzetten, Nadeln etc. Als Auslöser kommen beispielsweise Stress, Langeweile oder Angst infrage. Auf Nachfrage wird das Verhalten nicht abgestritten, die Betroffenen schämen sich aber meist zu sehr, um sich Hilfe zu holen.

Auch Menschen mit einem Münchhausen- oder Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom verletzen sich selbst oder andere Menschen in ihrem Umfeld, für die sie verantwortlich sind – oft trifft es die Kinder. Sie erfinden Krankengeschichten, teils ganze Biografien, und wechseln häufig und schnell die Ärztinnen bzw. Ärzte. Im Gespräch sind sie oft fordernd oder sogar unverschämt und werden aggressiv, wenn man ihren Wünschen nicht nachkommt. Das Motiv dahinter ist der Wunsch nach Zuwendung.

Borderline- und wahnhafte Störung

Selbstverletzungen von Patientinnen und Patienten mit einer Borderline-Störung sind oft auffallend gleichförmig oder parallel und oberflächlich. Meist handelt es sich um Schnittverletzungen, seltener um Brandwunden, Blutergüsse, Bissverletzungen oder Läsionen nach Kopfstößen. Die Betroffenen erkennen eine psychische Belastung als Ursache an.

Schließlich gibt es noch wahnhafte Störungen, die zu mutwilligen Verletzungen führen können. Dazu gehört der Dermatozoenwahn, bei dem die Betroffenen versuchen, die vermeintlich auf oder in der Haut sitzenden Lebewesen durch gründliche Reinigungsmaßnahmen oder Kratzen loszuwerden.

Hinter selbst zugefügten Wunden kann aber auch eine einfache Simulation stecken. Kennzeichen sind das bewusste und versteckte Erzeugen oder Verschlimmern von Wunden, z.B. mit dem Ziel, ein Rentenbegehren durchzusetzen oder finanzielle Vorteile zu erreichen. Oft hilft schon gezieltes Nachfragen (berufliche Situation?), ein solches Verhalten aufzudecken.

Quelle: „Artifizielle Wunden/Selbstschädigendes Verhalten“, Vortrag im Rahmen des Nürnberger Wundkongresses, Nürnberg, 24.11.23

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum derma