Nicht alles, was juckt, ist auch ein Pilz
Pilzinfektionen sind die häufigsten Infektionen im Genitalbereich – insbesondere bei Frauen. Dennoch sollten keine vorschnellen Diagnosen und folgende Behandlungsversuche ohne Erregernachweis erfolgen, denn Verwechslungsmöglichkeiten mit verschiedenen alternativen infektiösen sowie nicht-infektiösen Krankheitsursachen bestehen. Auch ein Candida-Nachweis ohne Symptomatik ist nicht behandlungswürdig.
Rund 75% aller Frauen machen im Leben zumindest eine Episode einer vulvovaginalen Candidose durch. Bei 40–45% sind es bereits 2 Episoden, ca. 5% entwickeln eine rezidivierende Candidose mit 4 oder mehr Episoden pro Jahr. In 10–20% der Fälle besteht eine komplizierte Candida-Infektion. Eine unkomplizierte Candidose tritt sporadisch oder selten auf, wird meist durch Candida albicans verursacht, zeigt eine milde bis moderate Symptomatik und betrifft immunkompetente Frauen. Im Gegensatz dazu manifestiert sich die komplizierte Candidose rezidivierend und/oder äußert sich mit schwerer Symptomatik. Die Erreger sind häufig Non-Albicans-Stämme. Die Betroffenen sind oft immunkompromittiert, stehen unter immunsupprimierender Therapie oder weisen Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus auf. Typische Symptome sind Pruritus, Dysurie, Dyspareunie, Schmerz, Schwellung und Rötung. Viele Patientinnen zeigen einen bröckeligen Fluor vaginalis, ein vulväres Ödem, Fissuren und Exkoriationen. Eine schwere oder rezidivierende Candidose wird von den Betroffenen als sehr belastend empfunden – von der Beeinträchtigung der Lebensqualität her etwa mit einer Migräne vergleichbar. Die Therapie kann schwierig sein – und das nicht nur bei den Non-Albicans Pilzen, sondern auch bei der scheinbar banalen Candida-Albicans-Infektion.
Candida-Infektion nur nach erfolgreichem Erregernachweis behandeln
Allerdings können diese Symptome auch auf eine Reihe anderer Erkrankungen hinweisen, denn, so Dr. Claudia Heller-Vitouch, Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Ärztliche Leiterin des Pilzambulatoriums Hietzing, nicht alles, was im Genitalbereich Juckreiz und Rötung verursacht, ist auch ein Pilz. Infrage kommen etwa eine Dermatitis, eine Infektion mit Beta-Streptokokken der Gruppe A sowie in seltenen Fällen auch eine Psoriasis inversa. In manchen Fällen hilft nur die histologische Diagnose. Heller-Vitouch: „Eine antimykotische Therapie allein aufgrund der Symptomatik wird in der Praxis zwar oft gewählt, führt jedoch bei einer erheblichen Anzahl von Patientinnen zu Overtreatment.“ Man müsse bedenken, dass die vulvovaginale Candidose in der Bevölkerung letztlich nur für 15–30% aller vulvovaginalen Symptome verantwortlich ist. Eine Diagnose kann unter dem Mikroskop aus dem Nativpräparat oder nach Gramfärbung erfolgen. Eine weitere Option bildet die Kultur. PCR ist zu sensitiv und findet auch eine klinisch irrelevante Anwesenheit von Candida. Ein Nachweis von Candida in Abwesenheit von Symptomen, der bei rund 20% aller Frauen möglich ist, stellt keine Behandlungsindikation dar, so Heller-Vitouch und betont auch, dass sich Candida als „innocent bystander“ in aller Regel auch durch Behandlung nicht eradizieren lässt. Beim Mann ist Candida der häufigste Verursacher einer Balanitis. In STD-Kliniken werden etwas mehr als 10% der Patienten wegen einer Balanitis vorstellig. Meist, aber keineswegs immer, handelt es sich um sexuell erworbene Infektionen. Auch antibiotische Therapien oder Diabetes mellitus prädisponieren zur Entwicklung einer Pilz-Balanitis.1,2
Kontinuierlicher Anstieg der Syphilis-Erkrankungen in Europa
Heller-Vitouch betont, dass neben Candida eine Reihe weiterer Erreger vulvovaginale Infektionen mit starkem Juckreiz verursachen können. Oft wird Trichomonas vaginalis als häufigste nicht-virale sexuell übertragbare Krankheit (STI) gefunden. Einen wichtigen klinischen Hinweis liefert schaumiger Fluor statt des für Candida typischen bröckeligen Fluors. Die Prävalenz ist höher als jene von Chlamydien, Gonorrhoe und Syphilis zusammen, in unterschiedlichen Regionen und Bevölkerungsgruppen jedoch unterschiedlich hoch. Weltweit geht man von 5% aus, in Österreich liegen die Zahlen deutlich niedriger. Trichomonas vaginalis betrifft auch Männer und dabei verstärkt Männer im Alter von mehr als 30 Jahren. Ein Erregernachweis kann aus der Kultur oder anhand der DNA erfolgen, wobei sich durch Letzteres die Nachweishäufigkeit deutlich erhöht hat.
Auch in Europa werden aktuell Syphilis-Erkrankungen mit steigender Häufigkeit gesehen. Europaweit wurde in den Jahren 2013–2022 ein Anstieg um 81% verzeichnet. Auch in Österreich steigt die Zahl der Erkrankungen nach einem kurzen Rückgang während der Pandemie derzeit wieder an. Heller-Vitouch: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie in Ihrer Ordination eine Syphilis sehen, steigt.“ Die Expertin betont die vielfältige Klinik dieser Erkrankung, die bis zum Nachweis des Erregers irreführend sein kann. Eine Verwechslung mit einer Pilzinfektion ist in manchen Fällen durchaus möglich. Beispielsweise kann eine Balanitis auch durch Infektion mit Triponema pallidum verursacht werden und präsentiert sich in solchen Fällen erosiv, desquamativ und eher trocken. Der Erreger kann mittels Dunkelfeldmikroskopie direkt nachgewiesen werden („point of care test“), was allerdings Erfahrung voraussetzt. Der Test kann aufgrund der Empfindlichkeit des Erregers nur an Ort und Stelle durchgeführt werden. Höhere Spezifität und Sensitivität sowie insbesondere Untersucher-Unabhängigkeit bietet die PCR, die auch mit versendeten Abstrichen durchgeführt werden kann.
Als eine weitere oft übersehene Ursache von Entzündungen am Meatus urethrae des Mannes nennt Heller-Vitouch eine Infektion mit Adenoviren. Diese zählen zu den häufigsten nicht durch Chlamydien oder Gonokokken verursachten Urethritiden des Mannes. Die Urethritis am Meatus ist oft mit Konjunktivitis sowie mit Gelenksbeschwerden vergesellschaftet, die Erkrankung tritt saisonal gehäuft im Herbst und Winter auf und heilt in aller Regel komplikationslos ab. Der wichtigste Risikofaktor ist kondomloser Oralverkehr.
Auch größere Parasiten können Juckreiz verursachen
Juckreiz im Genitalbereich kann jedoch auch durch größere Lebewesen verursacht werden Skabies-Befall kann sich optisch mit einem Bild äußern, das durchaus mit einer Candida-Infektion verwechselt werden kann. Einen wichtigen klinischen Hinweis liefert verstärktes Jucken in der Nacht und bei Wärme. Bei genauerer Nachsicht mit dem Dermatoskop oder im Präparat sind die Parasiten leicht erkennbar. Mit freiem Auge sichtbar sind hingegen Filzläuse. Pediculosis pubis kann grundsätzlich alle Hautareale mit apokrinen Drüsen betreffen. Neben dem Anogenitalbereich sind das auch Axillen, Brust und Bauch. In seltenen Fällen ist auch ein Befall am Auge, im Bereich der Wimpern, möglich. Neben Pruritus sind Blutpunkte in der Unterhose typisch für den anogenitalen Befall. Die Diagnose kann mit der Lichtlupe erfolgen. Heller-Vitouch empfiehlt bei positiver Diagnose ein Screening auf weitere STDs, da Ko-Infektionen häufig vorkommen. Die Behandlung erfolgt mittels mechanischer Entfernung sichtbarer Tiere und mit topischer (z.B. Permethrin) und/oder oraler Medikation (Ivermectin). Hinzu kommen allgemeine Maßnahmen, die nicht zuletzt eine Neuinfektion verhindern sollen. Unter anderem soll Wäsche mit mindestens 60 Grad gewaschen oder über 24 Stunden auf minus 18 Grad eingefroren werden. Verbesserte Hygiene und Rasur der Schambehaarung sind hilfreich. Eine empirische Sexualpartnerbehandlung wird für die 3 Monate vor der Diagnose empfohlen.
Auch Mollusken (Molluscum contagiosum) können im Genitalbereich auftreten, jucken allerdings in aller Regel nicht. Sie werden durch das Molluscum-contagiosum-Virus, ein Pockenvirus, verursacht und sind im Genitalbereich als STD zu werten. Allerdings müsse man bei extragenitalem Auftreten auch an eine HIV-Infektion denken, so Heller-Vitouch. Mollusken treten auch als Teil eines immunrekonstitutionellen inflammatorischen Syndroms (IRIS) auf.3
Immer mehr HSV-1-Infektionen im Genitalbereich
Eine weitere virale Infektion, die sich im Genitalbereich mit einem sehr variablen Bild präsentieren kann, ist Herpes (HSV2). Eine Infektion bleibt in rund der Hälfte der Fälle symptomlos, kann jedoch auch schwer mit Fieber, Neuralgien, geschwollenen Lymphknoten und Miktionsbeschwerden verlaufen. Zu solchen klinisch schwerwiegenden Manifestationen kommt es meist nur im Rahmen der primären Infektion, während die Rezidive milder verlaufen. Schwer betroffene Patienten müssen häufig hospitalisiert werden. Heller-Vitouch: „Das klassische Bild mit intakten kleinen Bläschen sehen wir im Genitalbereich selten. Meist ist die Decke der Bläschen schon verschwunden und es zeigt sich ein erosives Bild. Pruritus wird von vielen Betroffenen als Prodromalsyndrom angegeben, in 20% bleibt die Symptomatik mild.“
Herpes genitalis ist eine der häufigsten STDs weltweit und in Europa die häufigste Ursache genitaler Ulzerationen. Die serologische Gesamtprävalenz von HSV2 liegt in der erwachsenen Gesamtbevölkerung zwischen 25 und 40%. Rund die Hälfte der Infizierten wissen davon nichts, weitere 20% erinnern sich erst an die Symptome, wenn sie die Diagnose erfahren. Neben HSV2 kann auch HSV1 symptomatische Infektionen im Genitalbereich verursachen. In einer australischen Studie war das sogar bei fast der Hälfte der genitalen Herpesinfektionen der Fall, wobei eine starke Altersabhängigkeit auffällt. Bei Patienten und Patientinnen unter 50 Jahren entfielen mehr als 80% der Infektionen auf HSV1. Bei älteren Menschen ist HSV 1 im Genitalbereich selten.4 Der Grund dafür dürfte einerseits in veränderten Sexualpraktiken, darüber hinaus aber auch in verbesserter Hygiene liegen. Da orale Herpesinfektionen („Fieberblasen“) immer seltener werden, kommen jüngere Menschen oft bei Sexualkontakten erstmals mit Herpes in Kontakt.
Quelle: „Tag der Venerologie – Let’s talk about sex“, Wien, 2.3.2024