Psychosoziale Probleme bei Rare Diseases sind nicht selten!
Noch viel zu wenig beachtet werden psychosoziale Stressoren und psychische Komorbiditäten bei Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen. Selbsthilfeorganisationen könnten zwar einen Teil des Bedarfes abfedern, dazu müssten Gesundheitsdienstleister jedoch auch darüber noch mehr informieren.
Insgesamt hat in Österreich in den letzten Jahren das Bewusstsein für die psychische Gesundheit zugenommen. Verschiedene Initiativen und Medien-Kampagnen tragen dazu bei, das Thema „Mentale Gesundheit“ aus der Tabuzone zu holen, vor allem wenn es um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geht. Doch für die große Gruppe von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen und ihre Angehörigen gibt es noch große Lücken in der psychosozialen Versorgung. „Spezifische Belastungen ergeben sich vor allem durch die oft lange Wartezeit bis zur Diagnose, den unberechenbaren Krankheitsverlauf und die geringen Therapieoptionen, aber genauso durch psychische Komorbiditäten“, betont Claas Röhl, Vorstandsmitglied von Pro Rare Austria und Obmann von „NF Kinder“ (vgl. Serie Gesichter Seltener Erkrankungen, Teil 12)
Beim Kongress für Seltene Erkrankungen in Wien präsentierte Röhl im vergangenen Oktober die Ergebnisse eines Projektes von Pro Rare Austria zur psychosozialen Gesundheit und Versorgung. Die Online-Befragung, bei der 73 Personen vollständige Angaben machten, zeigte unter anderem, dass die Hälfte im Rahmen der medizinischen Versorgung nicht über psychosoziale Angebote informiert wurde. Nur 21% wurde überhaupt eine psychosoziale Versorgung angeboten, 22 bzw. 19% erhielten Informationsmaterialien bzw. Verweise auf externe Angebote (Mehrfachantworten möglich).
Gute Wirkung, aber mangelhafte Finanzierung
Von jenen Patientinnen und Patienten, die eine psychiatrische Behandlung oder psychosoziale bzw. psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch nahmen bzw. diese etwa bei einer Reha erhielten, spricht die Mehrheit über gute Erfahrungen. 74% bestätigen in der anonymen Befragung, dies habe positive Auswirkungen auf sie gehabt. 41% geben an, bei sich selbst oder bei einem Familienmitglied sei eine psychiatrische Erkrankung zusätzlich zur seltenen Krankheit diagnostiziert worden.
Als Hürde für die weitere psychosoziale Betreuung erweist sich allerdings oft die mangelhafte Finanzierung: Fast jeder und jede 5. konnte das Angebot aufgrund finanzieller Fragen nicht annehmen oder fortsetzen. Zudem fühlt sich die Hälfte nicht ausreichend über Finanzierungsmöglichkeiten informiert.
Selbsthilfe-Angebote
Auch wenn die „positive Verzerrung“ berücksichtigt wird – es nahmen überwiegend Personen teil, die bereits Kontakt zur Selbsthilfe haben –, so bestätigt sie dennoch eindrücklich den wahrgenommenen Support durch Selbsthilfe-Angebote. „Die befragten Personen fühlen sich überwiegend (96%, Anm.) positiv unterstützt.“ Geschätzt wird unter anderem der Austausch von Informationen rund um die Erkrankung sowie die Gemeinschaft mit anderen Betroffenen. „Dabei haben viele Organisationen jedoch Schwierigkeiten, Mitglieder zu finden“, ergänzt Röhl. Dies liege zum Teil an der schwierigen Verbreitung der relevanten Informationen im Gesundheitsbereich. Ein kleiner Teil der befragten Patientinnen und Patienten von Selbsthilfeorganisationen fühlte sich zudem durch die Auseinandersetzung mit schweren Krankheitsverläufen belastet.
Ansätze zur Verbesserung
Seitens Pro Rare Austria liegt der Verbesserungsbedarf im psychosozialen Bereich für Menschen mit seltenen Erkrankungen auf der Hand. Niederschwellige Angebote für die ganze Familie, vor allem bei erkrankten Kindern, sowie die gleichzeitige Aufklärung über medizinische und psychosoziale Angebote wären erste Ansätze in die richtige Richtung. Aussagen von Patientinnen und Patienten wie „Nach der Diagnose hätte ich wen gebraucht“ oder „Dem Patienten zuhören und gemeinsam Lösungen finden“ unterstreichen die Notwendigkeit, nicht nur bei Diagnose und medizinischer Behandlung, sondern auch im psychosozialen Bereich die Betreuung zu optimieren. „Ein Beratungstermin sollte bei der Diagnosestellung jedenfalls angeboten werden“, unterstreicht Röhl.
Seit April 2022 arbeitet das Team von Pro Rare Austria am Projekt „Booster.NAP.se“, das im Rahmen der „Gemeinsamen Gesundheitsziele“ gefördert wird und auf dem Nationalen Aktionsplan für seltene Erkrankungen (NAP.se) beruht. Mit der Neu-Priorisierung von Maßnahmen, die kurz- und mittelfristig zur Verbesserung der Situation der Patientinnen und Patienten führen können, wurde auch das Thema psychische Gesundheit in den Fokus gerückt.
Mehr Infos finden Sie hier bei Pro Rare Austria.