6. Nov. 2023Interview Univ.-Prof. Dr. Martin Benesch

Krebs im Kindesalter: Symptomwahrnehmungen ernst nehmen!

In Österreich erkranken jährlich etwa 300 Kinder an Krebs. Unterschiede im Vergleich zu Erwachsenen finden sich vor allem im Entitätenspektrum, aber auch in den Möglichkeiten der zielgerichteten Therapie. Im Rahmen der Grazer Fortbildungstage stand der Leiter der Klinischen Abteilung für pädiatrische Hämato-Onkologie in Graz, Univ.-Prof. Dr. Martin Benesch, Rede und Antwort.

medonline: Welche Krebserkrankungen zählen zu den häufigsten im Kindes- und Jugendalter?

Martin Benesch: Am häufigsten sind, mit einem Drittel aller Malignome, die akuten Leukämien, die zusammen mit den Lymphomen 50% aller malignen Erkrankungen ausmachen. Die zweite Hälfte wird in der Häufigkeit von den ZNS-Tumoren angeführt. Dann folgen die Knochen- und Weichteil-Tumore, Keimzell-Tumore und die Gruppe der sogenannten unreifen embryonalen Tumoren.

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LKH-Univ. Klinikum Graz/Kurt Remling

Univ.-Prof. Dr. Martin Benesch, Leiter der Klinischen Abteilung für pädiatrische Hämato-Onkologie am Universitätsklinikum Graz

Letztere treten vor allem im Säuglings- und Kleinkindalter auf und werden als Blastome bezeichnet, z.B. Retinoblastom, Nephroblastom, Neuroblastom oder Hepatoblastom. Das heißt, man kann sagen: 50% sind hämatologische Systemerkrankungen, 50% sind solide Tumoren.

Viele der Symptome, die auf eine maligne Erkrankung hindeuten, sind eher unspezifisch. Was sind die red flags bei den genannten Malignomen?

Je jünger die Kinder sind, desto unspezifischer sind die Symptome. Die red flags bei den hämatologischen Systemerkrankungen sind Blässe, blaue Flecken, Blutungszeichen und gehäufte Infekte. Ein sehr ernst zu nehmendes Symptom, das – vor allem in Kombination mit anderen Symptomen – auf eine Leukämie hinweisen kann, sind Knochenschmerzen. Typische Symptome für Lymphome sind Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsabnahme – die sogenannte B-Symptomatik. Hinweisgebend für ZNS-Tumoren kann das viel diskutierte morgendliche Erbrechen sein; weiters Kopfschmerzen, die über eine Woche dauern, an Intensität zunehmen und Analgetika benötigen, sowie jegliche fokale Symptomatik. Das können Doppelbilder oder eine plötzlich auftretende Gangunsicherheit sein. Bei soliden Tumoren außerhalb des Zentralnervensystems ist es meist die Schwellung im muskuloskelettalen Bereich ohne begleitende Infektzeichen, die aufhorchen lassen sollte. Eine Zunahme des Bauchumfangs ist vor allem dann verdächtig, wenn sie nicht durch eine Obstipation erklärt werden kann.

In der Erwachsenen-Medizin haben zielgerichtete Krebstherapien große Fortschritte gebracht. Wie sieht es diesbezüglich in der Kinderonkologie aus?

Bei den zielgerichteten Krebstherapien im Kindes- und Jugendalter gibt es Fortschritte, aber bei Weitem nicht im gleichen Ausmaß wie bei Erwachsenen. Die akuten lymphoblastischen Leukämien stehen an erster Stelle jener Malignome, die mit zielgerichteter Therapie behandelt werden können. Monoklonale Antikörper beginnen hier zunehmend die extrem toxische Polychemotherapie – auch in der Erstlinie – abzulösen. Welche Risikopopulationen von diesen Antikörpern besonders profitieren, ist derzeit noch Gegenstand von klinischen Studien. Diese sind allerdings bei Kindern und Jugendlichen besonders schwer durchzuführen, weil die Fallzahlen so gering sind.

Und bei den soliden Tumoren?

Bei den soliden Tumoren haben wir nur für sehr wenige Entitäten eine gezielte Krebstherapie. Es handelt sich um Erkrankungen mit ganz speziellen genetischen Veränderungen, sogenannten Genfusionen. Eine sehr wirksame gezielte Therapie steht zum Beispiel für die NTRK-fusionierten Weichteilsarkome zur Verfügung. Kleine Moleküle blockieren hier die funktionellen Folgen der Genfusion, nämlich das ungebremste Wachstum. Beforscht werden auch die CAR-T-Zellen. Das sind gentechnisch manipulierte T-Zellen, die bei Leukämien im Rezidiv-Setting schon zum Einsatz kommen. Aufgrund der aufwendigen und extrem teuren Herstellung dieser CAR-T-Zellen und der letztlich noch lange nicht bewiesenen Wirksamkeit sind wir von einem Einsatz bei soliden Tumoren im Kindesalter jedoch noch weit entfernt.

Welche Rolle spielen niedergelassene Ärztinnen und Arzt in der Weiter- bzw. Nachbetreuung junger onkologischer Patientinnen und Patienten?

Eine sehr große! Die Langzeit-Nachsorge, d.h. die Nachsorge ab dem 10. Jahr nach Therapieende und/oder im Erwachsenenalter erfolgt bei uns an der Klinik in der sogenannten „Erwachsenen-Sprechstunde“. Dieses als „Grazer Modell“ bezeichnete Projekt wird nicht vom Krankenanstalten-Erhalter, sondern von der steirischen Kinderkrebshilfe finanziert. Für jede Erkrankung gibt es einen eigenen Nachsorgeplan. Mit Kolleginnen und Kollegen im niedergelassenen Bereich besteht eine enge Vernetzung. Sie klären zum Beispiel organspezifische Spätfolgen ab und behandeln diese. Die Patientinnen und Patienten bringen die Befunde und Therapievorschläge in die Sprechstunde mit, wo der Nachsorgeplan entsprechend angepasst und besprochen wird. Auch die notwendige Bildgebung wird großteils in den niedergelassenen Bereich ausgelagert.

Haben Sie eine Take-home message für Ihre niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen?

Ich habe 3 Take-home messages:

1. Bitte nehmen Sie Symptomwahrnehmungen von Eltern immer ernst! Nur ein Beispiel: Die Eltern berichten bei einem Säugling einen weißen Pupillenreflex oder -schatten. Das ist ein ernst zu nehmendes Symptom, das auf ein Retinoblastom hinweisen kann. Bitte weisen Sie unbedingt sofort zu, auch wenn Sie das Symptom bei der Untersuchung in der eigenen Praxis nicht verifizieren können!

2. Bei Unklarheiten oder Unsicherheiten rufen Sie bitte bei uns an! Wir stehen gerne zur Verfügung. Oft lässt sich eine Unsicherheit in der Interpretation eines Symptoms durch ein kurzes Telefonat klären. Bei ausgeprägter Symptomatik heißt es natürlich sofort zuweisen!

3. Setzen Sie wenig belastende Untersuchungsverfahren großzügig ein! Ein Blutbild mit den zunehmend verfügbaren Countern zu machen, kann schon einiges bringen. Und bei allem, was sich im Abdomen abspielt, rasch zur Sonografie zuweisen!

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune