Körperliche und soziale Aktivität gegen Demenz
In einem gleichermaßen amüsanten wie klugen Vortrag im Rahmen der Grazer Fortbildungstage erklärte der Münchner Psychiater Prof. Hans Förstl, warum Bewegung und soziale Kontakte eine so herausragende Rolle in Prävention und Therapie der Demenz spielen.
„Wie Sie es auch machen, am Schluss kommt immer das Risiko einer Demenz heraus“, stellte Dr. Hans Förstl, emeritierter Professor von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Technischen Universität München (TUM), fest. „Wenn Sie Ihren Job gut machen, wird der Patient sehr alt – und damit steigt das Demenz-Risiko. Wenn Sie Ihren Job nicht gut machen, steigt das Demenz-Risko ebenfalls, aber schon vorher.“
Patienten kommen zu früh oder zu spät
Grundsätzlich kommen Patientinnen und Patienten mit der Frage Demenz entweder zu früh oder zu spät zur Untersuchung. Dabei mache es sehr wohl einen Unterschied, ob die Ehefrau den Mann zum Arzt schleppt und sagt: „Da stimmt was nicht!“, oder ob der neurotische Universitätsprofessor mit enormen Ansprüchen an sich selbst den Arzt aufsucht und klagt: „Es geht nicht mehr so wie früher“. Letzterer hat vermutlich keine eindeutige Demenz, macht Förstl klar. Als „entlarvend“ und daher heikel in Hinblick auf die Arzt-Patienten-Beziehung – aber dennoch enorm wichtig – bezeichnet der Psychiater die MMSE (Mini-Mental Status Examination). „Den Test müssen Sie kennen!“, nimmt der Psychiater das Publikum in die Pflicht. Nicht zu verwechseln sei die MMSE mit dem MoCA-Test (Montreal Cognitive Assessment). Dieser ist geeignet, um frühe Demenzstadien und leichte kognitive Einbußen zu erkennen. „Wenn der Patient beim MoCA-Test 20 Punkte hat, können Sie ihm im Nachhinein das Abitur-Zeugnis überreichen.“
Weniger (Medikation) ist mehr
Einmal nach Auftreten der Symptome muss auch eine Hirnbildgebung gemacht werden, um wichtige andere Ursachen für die kognitiven Einbußen auszuschließen (vaskuläre Veränderungen, Subduralhämatom, frontotemporale Atrophie). Differenzialdiagnostisch gilt es auch an ganz andere Grund- und Begleiterkrankungen, etwa eine Hypothyreose oder Depression, zu denken.
Unfreiwilliges soziales Jahrzehnt
Die erste Frage bei der Therapie sollte lauten: Was kann ich weglassen? Förstl: „Sie brauchen sich keine einzelnen Namen zu merken: Jedes Medikament ist verwirrend. Alles ist anticholinerg!“ Mit Cholinesterasehemmern wird hingegen das cholinerge System unterstützt. Memantin reguliert die Erregung vor allem im Hippocampus etwas herunter. „Die noch vitalen Neurone sind nämlich übererregt und erschöpfen sich mit der Zeit“, so Förstl. Die Wirkung der beiden Medikamente sei in Studien eindeutig belegt, wenn sie auch beim Einzelnen sehr unterschiedlich ausfalle. Sehr vorsichtig sein sollte man mit supprimierenden Medikamenten, sprich jenen Medikamenten, die bei Schlaf- und Verhaltensstörungen eingesetzt werden.
„Das Dümmste, was Sie machen können, ist Schlafmittel zu geben“, erklärt der Psychiater schonungslos. Das Gehirn wird nämlich nachts entgiftet. Dabei spielt das sogenannte glymphatische System eine Rolle, das während des Tiefschlafs aktiv ist und Alzheimer-Protein aus dem Gehirn herausspült. „Das funktioniert aber nur, wenn der Patient keine Schlafmittel und keinen Alkohol zu sich genommen hat.“
„Ohne Hund ist meiner Meinung nach kein gutes Leben möglich“, leitet Förstl zum nächsten Kapitel über. Denn ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung ist das Um und Auf in der Prävention der Demenz. „Mit jedem Schritt produzieren Sie Irisin“, erklärt Förstl. Es handelt sich dabei um ein Zytokin, das das Alzheimer-Vorläuferprotein spaltet. „Das ist Ihr körpereigenes Mittel gegen Demenz!“
Ein weiterer wichtiger Faktor in der Prävention der Demenz sind soziale Kontakte. Förstl: „Wenn Menschen einsam und depressiv sind, sind sie von oben bis unten entzündet.“ Sein Vorschlag als Gegenmittel wäre „das unfreiwillige soziale Jahrzehnt, dafür gibt’s dann die Rente!“ Im „Stundenplan“ sollten Aktivitäten wie gemeinsames Kaffee-Trinken, Einkaufen, Versorgung von Nachbarn, Kochen, Werken, Tanzen, Turnen, Sprach-, Literatur- und Kunstkurse sowie gemeinsame Gartenarbeit und Ausflüge stehen. Männer tun sich mit dem Halten sozialer Kontakte in der Regel viel schwerer als Frauen. Für sie wäre das „unfreiwillige soziale Jahrzehnt“ also noch wichtiger. In diesem Sinne zitiert Förstl zum Schluss Karl Valentin: „Warum gehen die Kinder gern in die Schule? Weil sie müssen!“
Prof. Dr. Hans Förstl ist emeritierter Professor an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am TUM Klinikum rechts der Isar in München.