HDL-C verliert seinen Heiligenschein
HDL-C hat sich in den Köpfen von Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzten als etwas Gutes festgesetzt. Doch die Rolle des Lipoproteins ist weitaus komplexer als allgemein angenommen.
In der klinischen Praxis braucht es leicht verständliche Konzepte zur Einschätzung des kardiovaskulären Risikos, die man auch an Patientinnen und Patienten vermitteln kann. Da eignet es sich, von einem „bösen“ und einem „guten“ Cholesterin zu sprechen. Doch vor allem das „gute“ HDL-C muss differenzierter betrachtet werden, schreiben Prof. Dr. Arnold von Eckardstein, Universitätsspital Zürich et al. Denn die Assoziation zwischen HDL-C und kardiovaskulären Ereignissen ist komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht.
Zwar sind niedrige Plasmaspiegel ein Risikomarker für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Lipoprotein ist jedoch nicht per se das „gute Cholesterin“, weshalb auch nicht gilt: je höher, desto besser. Die Assoziationen von HDL-C mit Gesamt- und krankheitsspezifischen Mortalitäten, einschließlich kardiovaskulärer Mortalität, ist U-förmig. Der Tiefpunkt der U-Kurve liegt für Männer bei etwa 2,3–2,4mmol/l, für Frauen bei 1,8–1,9mmol/l. Jenseits davon erhöht sich das Sterberisiko allmählich.
HDL-Cholesterin vergleichbar mit HbA1c
Um die Rolle von HDL-C in der Atherosklerose zu erklären, ziehen die Forschenden eine Parallele zum Glukosestoffwechsel. Dessen Dysfunktion äußert sich unter anderem durch ein hohes HbA1c. Eine kausale Rolle wird dem HbA1c nicht zugeschrieben, weshalb das Molekül selbst auch nicht Ziel therapeutischer Bemühungen ist. Ähnlich ist es wahrscheinlich beim HDL-C. Menschen mit niedrigen Werten haben häufig auch andere Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Ereignisse, insbesondere eine Hypertriglyzeridämie, Übergewicht oder eine systemische Entzündung. Ein niedriges HDL-C ist möglicherweise nur ein indirekter Langzeitindikator für postprandiale Hypertriglyzeridämie und deren Atherogenität – vergleichbar mit einem erhöhten glykosylierten Hämoglobin als Langzeitmarker für den gestörten Glukosestoffwechsel.
Dies würde erklären, warum HDL-modifizierende Medikamente bisher erfolglos geblieben sind. Weder Fibrate noch Niacin noch Inhibitoren des Cholesterinester-Transferproteins waren in randomisierten Studien in der Lage, die Rate an kardiovaskulären Ereignissen zu senken. Ganz vom Tisch ist HDL-Cholesterin als Zielmolekül von Medikamenten noch nicht. Denn die meisten der bisher entwickelten Stoffe sind nicht spezifisch auf das Lipoprotein gerichtet, sondern haben weitere Wirkansätze. Ein protektiver Effekt durch die Erhöhung von HDL-C ist damit noch nicht widerlegt, schreiben die Forschenden. Einige Substanzen befinden sich noch in der Pipeline. In einer laufenden Phase-III-Studie verabreicht man beispielsweise Patientinnen und Patienten mit Myokardinfarkt Infusionen von HDL-Analoga, die Ergebnisse werden noch in diesem Jahr erwartet.
Zu kurz greift man zudem, wenn man ausschließlich die Effekte von HDL auf Atherosklerose betrachtet. Aufgrund der vielfältigen biologischen Auswirkungen der Partikel (s. Kasten) ergeben sich Assoziationen mit weiteren Erkrankungen. Beim Diabetes mellitus gibt es Hinweise darauf, dass HDL-C einen protektiven Effekt auf die Betazellen des Pankreas haben könnte. Niedrige Serumspiegel sind bei Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes häufig und gehen der Manifestation der Hyperglykämie voraus.
Wo HDL überall mitmischt
HDL besteht aus einer Vielzahl von Proteinen und Lipiden. HDL-C repräsentiert nur den Cholesteringehalt von HDL, keinesfalls aber dessen gesamte biologische Funktionalität. Zu den pleitropen Funktionen der verschiedenen Subklassen von HDL gehören:
- Schutz des Endothels durch antiaggregatorische und antikoagulatorische Effekte
- Einfluss auf die Endothelfunktion, z.B. auf Vasorelaxation, Proliferation und Junction-Stabilität
- Förderung des Überlebens von Betazellen
- Einfluss auf die Cholesterin-Homöostase
- Hemmung von Infektionen, Leukozytenadhäsion und Zytokinsekretion
- Inaktivierung und Entfernung von Lipidperoxiden
Niedrige HDL-C-Spiegel sind kein Behandlungsziel
Bei der Niereninsuffizienz scheint es eine U-förmige Assoziation zwischen eGFR und HDL-C-Spiegeln zu geben. Der Mechanismus ist allerdings unklar, womöglich geben High-Density-Lipoproteine schützende Moleküle wie Sphingosin-1- Phosphat an die Niere ab. Auch in puncto Infektionen fanden sich Zusammenhänge. Ein niedriges HDL-C erhöht die Inzidenz und Letalität einer Sepsis. Andererseits schützen bestimmte HDL vor Protozoen, z.B. vor Trypanosoma brucei.
Niedrige Serumspiegel sollen zudem das Risiko für Autoimmunerkrankungen wie Zöliakie, Morbus Sjögren, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und Morbus Basedow erhöhen. Außerdem diskutiert man in der Forschung die Verbindung zwischen niedrigem HDL-C und und Krebs.
Hohe Werte sollen ebenfalls Folgen haben: Sie sind mit der Entwicklung einer Alzheimerdemenz und der altersbedingten Makuladegeneration assoziiert.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Praxis? Niedrige HDL-C-Spiegel sind weiterhin als Risikomarker für kardiovaskuläre Ereignisse einzuschätzen, fassen von Eckardstein et al. zusammen. Das gilt vor allem für asymptomatische Patientinnen und Patienten ohne lipidmodifizierende Therapie. Ein Behandlungsziel stellen niedrige Werte allerdings nicht dar. Stattdessen soll bei ihrem Nachweis die Kontrolle anderer Risikofaktoren (Rauchen, Bewegung, Übergewicht, Blutdruckkontrolle) optimiert und ein gleichzeitig erhöhtes LDL-C mit Statinen gesenkt werden.
Bei hohen HDL-C-Werten ist es wichtig, sich von ihrem Mythos als Schutzfaktor zu verabschieden. Denn sie bedeuten keinesfalls, dass das kardiovaskuläre Risiko niedriger ist oder etwa hohe LDL-C-Spiegel damit ausgeglichen werden. Stattdessen ist ein erhöhter Spiegel an High-Density-Lipoproteinen Marker für ein gesteigertes Infektionsrisiko und eine erhöhte Sterblichkeit. Um das Risiko nicht zu unterschätzen, sollten Quotienten aus HDL und LDL laut den Forschenden nicht mehr bestimmt werden. Sie empfehlen, bei hohen HDL-C-Spiegeln andere Risikofaktoren für die assoziierten Erkrankungen zu senken. Dazu gehört neben den oben bei niedrigen Werten genannten Faktoren vor allem auch, den Alkoholkonsum zu reduzieren.
von Eckardstein A et al. Dtsch Med Wochenschr 2023; 148: 627–35; doi: 10.1055/a-1516-2731