ÖAIE: Ein Blick in die Ernährung der Zukunft
Anlässlich des 25. Jubiläumskongresses „Ernährung: gesund, nachhaltig & leistbar“ lud das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE) zu einer Pressekonferenz, auf der Expertinnen und Experten Aktuelles und Zukunftsweisendes zu ernährungsrelevanten Themen präsentierten.
Bei der Art, wie die meisten Menschen sich derzeit ernähren, liegt vieles im Argen. Ernährungsbedingte Volkskrankheiten wie die Fettleber, Mikroplastik im Darm, unsichere Nahrungsmittelproduktion in Zeiten des Klimawandels sind nur einige Herausforderungen für die Ernährung der Zukunft. „Wir alle können so nicht weiterleben, denn wir haben nur eine Gesundheit und einen Planeten“, brachte Prof. PhDr. Sven-David Müller, MSc, Medizinjournalist, Fernsehmoderator und Diätassistent, die Situation auf den Punkt. Die Ernährungsgewohnheiten etwa in Österreich oder Deutschland seien nicht nachhaltig und gesund (zu viele tierische Lebensmittel mit hohem Anteil an gesättigten Fettsäuren sowie Zucker und Stärke an gesättigten Fettsäuren sowie Zucker und Stärke), sondern gegen die Ziele von Public Health und Public Health Nutrition gerichtet. Müller plädiert für eine gesunde Ernährungsweise, die auf Nachhaltigkeit setzt – mit regionalem Obst und Gemüse, Leguminosen, Nüssen und wenig Fleisch.
Um Menschen zu einer Änderung ihrer Ernährungsgewohnheiten zu bewegen, müsse Ernährungsberatung emotional vermittelt werden und erlebnisorientiert sein. Eine reine Faktenvermittlung und rational appellierende Ernährungsberatung sei obsolet und spreche die Menschen nicht an. „Verbote und ein erhobener Zeigefinger bringen nichts“, so Müller. Es seien neue Wege in der Kommunikation erforderlich, etwa über soziale Medien. So könnten zum Beispiel Leistungssportler als Vorbilder für eine bessere Ernährungsweise dienen.
Fettleber (MASLD) weit verbreitet
Eine Änderung des Ernährungsverhaltens wäre auch nötig, um das Krankheitsbild der Fettleber aus der Welt zu schaffen. „Die metabolisch bedingte steatotische Lebererkrankung (MASLD, früher: Nicht-alkoholische Fettlebererkrankung, NAFLD) ist die häufigste Lebererkrankung weltweit und betrifft etwa 30% der Gesamtbevölkerung, auch Kinder und Jugendliche“, erläuterte Univ.-Prof. Dr. Michael Trauner von der MedUni Wien. Die Hauptursache für das Entstehen der Fettleber ist eine zu hohe Kalorienaufnahme in Kombination mit zu wenig Bewegung, was in weiterer Folge zu Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen führen kann. Aktuell gibt es keine zugelassene Therapie gegen MASLD. Daher ist die Änderung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens die beste Maßnahme, um einer Fettleber vorzubeugen bzw. sie zu behandeln. Die Kalorienaufnahme sollte um etwa 500kcal/Tag reduziert werden. Allgemein empfiehlt Trauner eine mediterrane Ernährungsform. Außerdem wies er darauf hin, dass „personalisierte Ernährungsempfehlungen die beste Chance bieten, das volle Potenzial von Ernährungsinterventionen für jeden Einzelnen und jeden Einzelnen auszuschöpfen“. Mit diesem Thema befasst sich das neue Forschungsfeld der „Precision Nutrition“.
Erfolgreiches Präventionsprojekt EDDY für Kinder
Auch Kinder leiden häufig schon an Übergewicht und dessen Folgen. Wie erfolgreiche Prävention bereits im Kindesalter stattfinden kann, zeigt das Projekt EDDY des ÖAIE. Schulkinder einer Wiener Volksschule erhalten pro Semester jeweils 10 Stunden Ernährungsschulung und Sporttraining auf wissenschaftlich fundierter Basis. Dabei wird untersucht, wie sich diese Interventionen auf die Prävention von Übergewicht auswirken. „Wir sehen, dass durch diese Interventionen die Zahl der übergewichtigen Kinder gesunken ist, während sie an Vergleichsschulen ohne Interventionen stieg. Professionelle Intervention wirkt also – die besorgniserregende Zunahme an Übergewichtigkeit im Kindesalter kann erfolgreich eingebremst werden“, sagte Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm, Präsident der ÖAIE.
EDDY ist das bisher einzige auf wissenschaftlicher Basis evaluierte Präventionsprojekt in Österreich. Um weitere solche Projekte durchführen zu können, braucht es ein Budget und entsprechend ausgebildetes Personal. Außerdem hat sich gezeigt, dass Ernährungsschulung auf die unterschiedlichen Ernährungszustände von Untergewicht bis hin zu extremem Übergewicht Rücksicht nehmen muss. Erschwerend komme hinzu, dass in Österreich keine Daten zur Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei Schulkindern verfügbar sind, kritisierte Widhalm.
Mikroplastik im Darm von Menschen
Menschen nehmen Mikroplastik mit der Nahrung auf, laut Studien sollen es bis zu 5g pro Woche sein (das entspricht dem Gewicht einer Kreditkarte). Mikroplastik kann im Stuhl von Menschen, sogar schon von Neugeborenen, nachgewiesen werden. Die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus, insbesondere auf das Darm-Mikrobiom, sind noch unzureichend erforscht. „Bei Studien an Mäusen sehen wir, dass die Zufuhr von Mikroplastik über die Nahrung das Darmbiom verändert und negative Auswirkungen auf den Stoffwechsel hat“, erklärte Assoz.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Med Uni Graz. „Mögliche Schädigungsmechanismen sind u.a. die Auslösung von oxidativem Stress, Zytotoxizität, Störung von Stoffwechselprozessen und Auslösung von Inflammation. Mikroplastik kann aber auch als Vehikel für andere Toxine oder Mikroorganismen dienen, die an der Oberfläche der Partikel anhaften.“
Neben der Erforschung der Auswirkungen von Mikroplastik auf das Darm-Mikrobiom ist es auch wichtig, nach Lösungen zu suchen, wie die Schädigung durch Mikroplastik geringgehalten werden kann. Hier gibt es bereits erste Hinweise aus der Forschung, dass manche Bakterien Enzyme besitzen, die es ihnen erlauben, wenn sie in Teams zusammenarbeiten, Mikroplastik abzubauen. Ob dieser Ansatz auch eine Rolle für die menschliche Gesundheit spielt, ist noch unklar und wird weiter erforscht.
Gentechnik als Chance
Der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung wird vor allem in Europa kontrovers diskutiert und vielfach abgelehnt, während gentechnische Anwendungen im medizinischen Bereich meist begrüßt werden. „Auf wissenschaftlicher Basis konnten jedoch in den letzten Jahrzehnten keine gentechnisch spezifischen Risiken für Mensch, Tier und Umwelt festgestellt werden“, konstatierte Univ.-Prof. Dr. Klaus Dieter Jany vom Wissenschaftskreis Genomik und Gentechnik. „Echte“ gentechnisch veränderte Lebensmittel sind zurzeit in der EU ohnehin nicht zugelassen und nicht auf dem Markt. Allerdings sind rund 80% der verarbeiteten Lebensmittel bereits in irgendeiner Form mit Gentechnik in Berührung gekommen, aber sie selbst sind nicht gentechnisch verändert.
Besonders vielversprechend sind Verfahren, bei denen sequenzspezifisch Veränderungen (Mutationen) ins Genom von Organismen eingeführt werden. „Dabei handelt es sich nicht um artfremde genetische Informationen, sondern nur um solche, die auch von selbst in der Natur entstehen könnten. Diese sogenannte Genomeditierung bietet eine große Chance, den geänderten Anforderungen an die Landwirtschaft hinsichtlich Produktivität, Qualität, Klimaresilienz, Ressourceneffizienz und Erhalt der Biodiversität gerecht zu werden“, so Jany.
Pressekonferenz des ÖAIE „Gesund, nachhaltig, leistbar – Wege zur Ernährung der Zukunft“, Wien, 20.10.2023
Das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE) wurde 1996 auf Initiative des damaligen Präsidenten der Ärztekammer, Prim. Dr. Michael Neumann, mit dem Ziel gegründet, Ärztinnen und Ärzte im Fach Ernährungsmedizin fortzubilden. Das ÖAIE ist interdisziplinär ausgerichtet und vereint unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm Expertinnen und Experten aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Ernährungswissenschaften, Diätologie, Sportwissenschaften und Nahrungsmittelproduktion. Als führende Fortbildungs- und Forschungsinstitution für Ernährungsmedizin in Österreich richtet es regelmäßig wissenschaftliche Veranstaltungen aus und publiziert vierteljährlich das „Journal für Ernährungsmedizin“. Weitere Informationen unter: www.oeaie.org