Wie Magen-Darm-Beschwerden mit Essstörungen zusammenhängen
Essstörungen sind häufig mit chronischen gastrointestinalen Erkrankungen und Symptomen assoziiert – und umgekehrt. Ein frühzeitiges Erkennen des psychischen Leidens erleichtert die Therapie insgesamt.
Gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Bauchschmerzen und Blähungen finden sich gehäuft bei Patientinnen und Patienten mit verändertem Essverhalten. Dabei spielt die Interaktion zwischen Darm und Gehirn eine wichtige Rolle. Viele Patientinnen und Patienten mit veränderter Nahrungsaufnahme erfüllen auch die Kriterien für eine funktionelle Darmerkrankung. Am häufigsten ist das Reizdarmsyndrom, erklären Prof. Dr. Kyle Staller von der Harvard Medical School in Boston und Kollegenschaft.
Auch funktionelle Dyspepsie ist oft mit Essstörungen assoziiert und die Refluxkrankheit tritt gehäuft bei bulimischen Patientinnen und Patienten auf. Eine weitere bekannte Folge von Ess-Brech- und Magersucht ist die verzögerte Magenentleerung. Die Anorexie verlangsamt eventuell sogar den Kolontransit. Nicht zu unterschätzen ist die akute Magendilatation, ihre negativen Folgen reichen bis hin zu gastraler Nekrose und Perforation.
Umgekehrt können diverse Magen-Darm-Erkrankungen eine Essstörung auslösen oder aggravieren, wenn die Patientinnen und Patienten eine Diät einhalten (müssen). Ein Beispiel dafür ist die Zöliakie. Betroffene leiden häufiger an einem veränderten Essverhalten. In einer Studie trugen die Teilnehmenden mit Glutenunverträglichkeit ein um 46% erhöhtes Risiko für eine Anorexie.
Zunehmen kann dem Magen zusetzen
Normalisiert sich durch die Behandlung einer Essstörung das Körpergewicht von zuvor untergewichtigen Patientinnen und Patienten, führt das meistens zu einer Verbesserung der gastrointestinalen Symptome. Fallberichten zufolge drohen jedoch auch Komplikationen wie eine akute Magendilatation, eine Pankreatitis oder ein Ileus. Auch erholen sich bspw. die Magenmotilität und die Beckenbodenfunktion offenbar bei vielen Betroffenen nicht.
Fehldiagnose der EoE als psychische Störung vermeiden
Fallberichte sprechen zudem für einen Zusammenhang zwischen Essstörungen und der eosinophilen Ösophagitis (EoE): Im Kindesalter behandelte Patientinnen und Patienten leiden als Jugendliche vermehrt an einer Störung der Nahrungsaufnahme. Um eine Fehldiagnose der eosinophilen Ösophagitis als genuin psychische Störung zu vermeiden, empfehlen die Autorinnen und Autoren deshalb eine bildgebende Diagnostik.
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen erfordern zwar selten eine spezifische Kostbeschränkung. Aber die zugehörigen Beschwerden können eine Essstörung auslösen oder verschlimmern. Eine wichtige Rolle spielt wahrscheinlich eine aus Angst vor Symptomen eigenmächtig begonnene Diät. Krankheitszeichen wie Bauchschmerz, Erbrechen und Gewichtsverlust können Anlass zu einer Fehleinstufung als psychische Störung geben.
Auch andere GI-Erkrankungen beeinträchtigen mitunter infolge einer selbst verordneten Kostmodifikation das Essverhalten. Bekannt ist das z.B. für Gastroparese, funktionelle Dyspepsie, Reizdarm und Obstipation. In einer Studie vermieden Jugendliche mit RDS potenziell auslösende Nahrungsmittel, verzichteten trotz Hunger auf Mahlzeiten oder übergaben sich danach. Eine Arbeit zur chronischen Obstipation ergab, dass 19% der Teilnehmenden die Kriterien für eine Essstörung erfüllten. Auch die beim Colon irritabile oft verschriebene Low-FODMAP-Diät* ist mit einem erhöhten Risiko für Essstörungen verbunden.
Persisitierende Symptome erschweren Psychotherapie
Trotz Erfolgen in der Behandlung der psychischen Erkrankung leiden viele Betroffene weiterhin an gastrointestinalen Beschwerden. Diese können maladaptive Verhaltensweisen wieder aufleben lassen oder verstärken. Außerdem hat die Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme eventuell langfristige neurosensorische Konsequenzen, darunter eine viszerale Überempfindlichkeit und Dysmotilität. Bei der Anorexie verbessert sich mit der Gewichtsrestitution auch das intestinale Mikrobiom (Zellzahl, Vielfalt), aber die hungerbedingten Veränderungen bilden sich mitunter nicht vollständig zurück (s. Kasten).
Zur Verbesserung der Diagnostik empfehlen die Autorinnen und Autoren, dass alle Patientinnen und Patienten mit anhaltenden Magen-Darm-Beschwerden beim Hausarzt, bei der Hausärztin oder spätestens beim Gastroenterologen, bei der Gastroenterologin auf eine Essstörung gescreent werden sollten. Dabei helfen neben Fragebogen (z.B. SCOFF) die Erhebung der Vitalparameter sowie Labortests und ein EKG. Bei Patientinnen und Patienten mit Zöliakie gilt als „Red Flag“, wenn die Betroffenen neben Gluten noch weitere Nahrungsmittel meiden. Liegen Reizdarm oder eine eosinophile Ösophagitis vor, ist von einer alimentären Störung auszugehen, wenn trotz inaktiver Erkrankung Nahrungsrestriktionen eingehalten werden.
Staller K et al. Lancet Gastroenterol Hepatol 2023; 8: 565-578; doi: 10.1016/S2468-1253(22)00351-X
* FODMAP: fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole