26. Juni 2023EASL-Kongress 2023

Alkoholische Lebererkrankung: Hohes Risiko auch für die nächste Generation

Alkoholabusus zeitigt neben gesundheitlichen auch schwerwiegende soziale Konsequenzen – von denen nicht selten auch die Kinder alkoholabhängiger Patientinnen und Patienten betroffen sind. Wie die medizinischen und sozialen Folgen von Alkoholismus zusammenhängen können, zeigt eine dänische Studie, die untersuchte, wie es Kindern von Patientinnen und Patienten mit alkoholischer Lebererkrankung (ALD) geht. Die einfache Antwort: nicht gut.

Junger Mann mit Leberschmerzen, Hepatitis-Impfung, Behandlung von Leberkrebs, Welt-Hepatitis-Tag
SewcreamStudio/GettyImages

„Menschen mit alkoholischer Lebererkrankung haben in der Regel mindestens zehn bis 20 Jahre schwer getrunken, bevor sie ihre Diagnose erhalten“, sagt Dr. Gro Askgaard vom Aarhus Universitätsspital in Dänemark. „Viele haben in dieser Zeit Kinder bekommen und großgezogen. Damit waren diese Kinder einer Umgebung ausgesetzt, in der starker Alkoholkonsum normal war.“ Diese Exposition kann das Risiko für diese Kinder, selbst ein Alkoholproblem zu entwickeln, verstärken. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, dass diese ein erhöhtes genetisches Risiko tragen, bei starkem Alkoholkonsum eine Lebererkrankung zu entwickeln. Damit stellen sich die Fragen, ob diese Kinder im späteren Leben auf Lebererkrankungen gescreent werden sollen und ob sie verstärkte Beratung benötigen, um einer Alkoholsucht vorzubeugen oder diese zu behandeln.

Die von Askgaard präsentierte Studie1 wurde durch die umfassenden Register möglich, die in Dänemark für die epidemiologische Forschung zur Verfügung stehen. Aus den Registern wurden 30.000 Personen identifiziert, bei denen in den Jahren 1996 bis 2018 die Diagnose einer alkoholischen Lebererkrankung (ALS) gestellt worden war. Für das Follow-up standen Krankenhausdaten zur Verfügung. Die Register ermöglichten es auch, die Kinder dieser Personen ausfindig zu machen. Zu diesen Kindern wurden jeweils 20 gematchte Kontrollen ohne Eltern mit ALD identifiziert. Als Endpunkte erhoben wurden das Risiko dieser Kinder, selbst eine ALD zu entwickeln, die Risiken, verschiedene andere medizinische Probleme zu bekommen, sowie der Einfluss der ALD-Diagnose eines Elternteils auf die Entwicklung des Kindes.

Mehr ALD auch bei den Kindern von ALD-Patientinnen und Patienten

Die Auswertung zeigte zunächst, dass die Kinder zum Zeitpunkt der ALD-Diagnose eines Elternteils bereits erwachsen und im Median 31,8 Jahre alt waren. Bei rund 65% war der Vater betroffen, bei ca. 32% die Mutter und in weniger als 2% beide Elternteile. Insgesamt wurden 60.708 Kinder von Eltern mit ALD identifiziert. Diese hatten im Vergleich zu den Kontrollen ein um den Faktor 2,7 höheres Risiko von ALD. Nach der Diagnose entsprach die Prognose der ALD genau jener, die auch bei Kontrollen mit ALD beobachtet wurde. Askgaard betont, dass das absolute Risiko auch in dieser Hochrisikopopulation noch relativ niedrig war und selbst mit 55 Jahren, dem Alter mit der höchsten Inzidenz, bei weniger als 2% 10-Jahres-Risiko lag.

Das Risko der Kinder von ALD-Patienten und -Patientinnen, im Zusammenhang mit Alkohol, Frakturen oder anderen Verletzungen hospitalisiert zu werden, war im Vergleich zu den Kontrollen in etwa auf das Doppelte erhöht. Ein besonders hohes Risiko hatten Personen, bei denen beide Elternteile unter ALD litten. Auch Probleme mit anderen Substanzen waren ebenso wie psychiatrische Erkrankungen und Vergiftungen häufiger. Die Gesamtmortalität war um rund 50% erhöht.

Die Risiken waren in hohem Maß von sozioökonomischen Begleitumständen anhängig. So zeigte sich eine starke Korrelation mit dem Bildungsniveau der Eltern. Hatten diese lediglich eine Grundschule absolviert, so erhöhte sich das ALD-Risiko im Vergleich zu den Kontrollen um den Faktor 2,63. Hatten die Eltern studiert, war das Risiko um den Faktor 1,6 erhöht. Ganz ähnliche Ergebnisse wurden für den Gebrauch anderer Drogen festgestellt.

ALD-Diagnose als Chance für Intervention in den Familien

In einer weiteren Analyse wurde untersucht, welche Auswirkungen die ALD-Diagnose der Eltern auf deren Kinder hatte. Dabei zeigte sich im Hinblick auf Verletzungen keine Auffälligkeit in der Zeit nach Diagnosestellung. Sehr wohl nahm jedoch bei jungen Erwachsenen das Risiko von Vergiftungen in dieser Zeit zu. Man könne also annehmen, so Askgaard, dass es in dieser Zeit häufiger zu selbstschädigendem Verhalten kommt. Ebenso kam es in dieser Phase vermehrt zu Hospitalisierungen wegen Alkohol sowie zu psychiatrischen Diagnosen. Diese Zahlen zeigen, so Askgaard, wie wichtig es sei, bei Patientinnen und Patienten mit ALD auch die familiären Umstände im Blick zu haben und den Familien Hilfe anzubieten. Eine ALD-Diagnose könne sogar als Gelegenheit genützt werden, um mit den betroffenen Kindern in Kontakt zu treten. Man könne davon ausgehen, dass diese Probleme kein dänisches Phänomen seien, sondern in ähnlicher Form zumindest auf andere europäische Länder zutreffen. Die Effekte von Screening und Interventionen müssten jedoch zunächst wissenschaftlich evaluiert werden, bevor man Empfehlungen geben könne.

Kongress der European Association for the Study of the Liver (EASL), Wien, 21.–.24.6.2024