24.000 Euro Prämie für Wiens Spitalsangestellte
Angesichts der durch den zunehmenden Personalmangel immer prekärer werdenden Zustände in Wiens Spitälern fordert die Ärztekammer für Wien nun Rückkehr- und Bleibeprämien für alle dort angestellten oder kürzlich abgegangenen Angehörigen der Gesundheitsberufe.
Nachdem die Ärztekammer für Wien Ende 2022 und Anfang 2023 Alarm ob der „düsteren Aussichten für Wien Spitäler“ geschlagen hatte, ist es in den letzten Wochen ruhig geworden. Doch „nach mehreren Monaten der Gesprächsverweigerung des Wiener Gesundheitsverbundes (WiGev) und der Stadt Wien haben wir uns entschlossen, uns wieder an die Öffentlichkeit zu wenden“, so Dr. Stefan Ferenci, Geschäftsführender Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, bei einer Pressekonferenz am 3.5.2023.
Nach dem Gesundheitsgipfel am 21.2.2023, zu dem Bürgermeister Michael Ludwig geladen hatte, habe die Ärztekammer für Wien und der WiGev den Auftrag erhalten, in Verhandlungen zu treten, um den Personalmangel in Wiens Spitälern entgegenzuwirken. Die Ärztekammer hat dazu einen „10-Punkte-Plan zur Rettung der Wiener Spitäler“ erarbeitet, in dem auch Lösungen enthalten sind. „Der ist aber sinnlos, wenn wir es nicht schaffen, endlich mit den Verhandlungen zu beginnen“, betonte Ferenci. „Es ist schon ein Witz, dass man zwei Monate keinen Gesprächstermin zusammenbringt, der auf Wunsch des Bürgermeisters stattfinden sollte. Also wie sollen solche Manager es schaffen, das Gesundheitswesen aus der Krise zu führen?“, zeigte sich der Standesvertreter sichtlich verärgert. Man habe sich an eine Vereinbarung mit der Stadt Wien gehalten und alle medialen Tätigkeiten eingestellt. „Uns wurde ja sogar vorgeworfen, dass wir die Probleme herbeireden. Aber siehe da, sie sind auch nach unserem Schweigen noch da!“, so Ferenci, der endlich Veränderungen zugunsten der Spitalsangestellten und vor allem der Patientinnen und Patienten sehen möchte.
„Statistisch gesehen ist ein ganzes Spital gesperrt!“
Dr. Eduardo Maldonado-González, stellvertretender Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, berichtete unterdessen, wie sich die Situation in exemplarisch herausgegriffenen Krankenhäusern der Bundeshauptstadt derzeit darstellt. So sei auf der Neurochirurgischen Abteilung der Klinik Donaustadt seit Monaten aufgrund des Personalsmangels die Hälfte der Betten gesperrt. „Die Lösung des WiGev ist es, dass die Patient:innen jetzt über das ganze Haus verteilt werden. Und so kommt es, dass neurochirugische Patient:innen beispielsweise von HNO-Pflegekräften betreut werden müssen, denen natürlich die Expertise fehlt“, so Maldonado-González, der selbst als Internist an diesem Standort tätig ist. „Im ganzen Donauspital kommt es zu OP-Verschiebungen und Stopps. Neue OPs werden nicht mehr geplant und müssen in anderen
Häusern durchgeführt werden, die auch an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen!“ Aufgrund des eklatanten Pflegemangels wurden Nachtdienste der Pflege z.B. durch Physiotherapeut:innen ersetzt, berichtet der Internist weiter. Auch Pflegeassistent:innen würden immer öfter die Arbeit von diplomiertem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal übertragen bekommen. Diese seien zwar zweifellos eine gute Unterstützung, aber kein Ersatz, wodurch die Qualität der Betreuung von Patient:innen leide: „Man kann ja auch keinen Maler durch einen Elektriker ersetzen!“, vergleicht Maldonado-González plakativ.
Auch aus der Klinik Ottakring, in der Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen nun selbst an OP-Tischen instrumentieren müssen, weil keine OP-Pflegerinnen und Pfleger mehr da sind und Dienste an der Kindernotfallaufnahme von fachfremden Ärztinnen und Ärzten übernommen werden müssen, oder von Missständen auf der Anästhesieabteilung in der Klinik Favoriten (18 von 36 Posten nicht besetzt) präsentiert Maldonado-González aktuelle Zahlen. „Diese Informationen stammen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den jeweiligen Häusern. Wir reden sehr viel mit der Pflege und allen anderen. Alle sind komplett am Ende, die Belastung immens und Wertschätzung nicht vorhanden. Diese Zustände sind auch für Patientinnen und Patienten nicht tragbar!“
Mittlerweile sei man an einem Punkt angekommen, an dem – alle Betten zusammengenommen – ein komplettes Krankenhaus gesperrt sei. „Wenn wir jetzt nicht handeln, passiert was! Es geht nicht, die Augen zuzumachen und zu warten, dass das vorbeigeht. Es muss sich was ändern!“, fordert Maldonado-González.
„Eine politische Bankrotterklärung!“
Den Lösungsvorschlag der Stadt Wien, die Ausbildungsplätze für Pflege und Ärzt:innen zu erhöhen, lehnen die beiden Standesvertreter ab. „Es gibt keinen allgemeinen Ärztemangel! Den Mangel gibt es nur im öffentlichen System! An sich gibt es auch ausreichend Studierende. Das Problem ist, dass wir ein Drittel der Absolventinnen und Absolventen verlieren, weil die Arbeitsbedingungen nicht attraktiv genug sind. Und so verlassen in absoluten Zahlen gerechnet sogar mehr österreichische als ausländische Medizinerinnen und Mediziner das Land“, so Ferenci. Die Studienplätze zu erhöhen ist seiner Ansicht nach ökonomisch nicht sinnvoll und eine politische Bankrotterklärung.
Um das System vor dem Kollaps zu bewahren, seien Sofortmaßnahmen vonnöten. Diese sind u.a.:
- Eine Rückkehr- und Bleibeprämie von 24.000 Euro steuer- und versicherungsfrei soll an alle Angestellten von Gesundheitsberufen, die die Wiener Spitäler in den letzten Jahren am Laufen gehalten haben, und die, die sie in den letzten fünf Jahren verlassen haben, ausbezahlt werden, wenn sie sich dazu verpflichten, zukünftig zwei Jahre hindurch in einem Wiener Spital zu arbeiten.
Die Bleibeprämie allein belaufe sich auf maximal 675 Millionen Euro. „Uns ist bewusst, dass dieser Betrag budgetär veranschlagt werden muss. Deshalb war es uns auch ein Anliegen, die Verhandlungen mit dem WiGev bis zum Sommer abzuschließen, um Zusatzkosten für die Rettung des öffentlichen Gesundheitssystems jedenfalls auch im Finanzausgleich zu berücksichtigen“, erklärt Ferenci. Angesichts der zig Milliarden Euro an Covid-Förderungen erscheinen ihm die 675 Millionen Euro für die viel beklatschten Heldinnen und Helden der Pandemie als Tropfen auf dem heißen Stein. - Marktkonforme Gehälter, die Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste, Rufbereitschaften und die körperlich sowie emotional belastende Spitalstätigkeit adäquat abgelten
- Substanzielle Zulagen für akute Mangelfächer
- Die Etablierung externer Pooldienste zur Herstellung von Dienstplansicherheit, solange der Personalmangel akut ist
- Eine rechtzeitige Nachbesetzung bzw. überlappende Besetzung von geplanten und absehbaren Personalabgängen. Es kommt immer wieder zu monatelangen Leerläufen, weil es dem Management offenbar nicht gelingt, vorausschauend zu planen und Übergänge vorzubereiten bzw. den entsprechenden Wissenstransfer rechtzeitig sicherzustellen. Für uns, die wir täglich im Spital arbeiten, ist es unverständlich, wie man sich bei den bestehenden Personalproblemen auch noch solche handwerklichen Fehler leisten kann“, kommentiert Maldonado-González die Forderung.
- Anrechnung von allen Vordienstzeiten, unabhängig vom Dienstgeber und Dienstort
- Wertschätzung: Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte würden sich oft von ihren Vorgesetzten nicht wahrgenommen fühlen. Die Kultur müsste sich also ändern. Es gäbe auch noch immer Abteilungen, wo man nicht Stunden reduzieren kann, berichtet Maldonado-González.
- Vermehrtes Zulassen freiberuflicher Tätigkeiten im Spital.
- Schaffung und Ausbau interner Jobbörsen, um zu garantieren, dass alle Jobs transparent ausgeschrieben werden.
Am 15.5.2023 wurde Ferenci nun zu einem Gespräch mit Stadtrat Peter Hacker geladen, von dem er sich einen offenen, aufrichtigen Austausch erhofft.
Pressekonferenz der Ärztekammer für Wien, „Sofortmaßnahmen zu Rettung der Wiener Spitäler: Wiener Ärztekammer fordert Rückkehr- und Bleibeprämie“, 3.5.2023