Die Streptokokken sind wieder da
Infektionen mit A-Streptokokken-, insbesondere jene mit invasivem Verlauf, stellen nach wie vor auch in industrialisierten Ländern ein erhebliches medizinisches Problem dar. Folglich beschäftigten sich zahlreiche Präsentationen im Rahmen des diesjährigen European Congress of Clinical Microbiology & Infectious Diseases (ECCMID 2023) mit diesem Thema. Sie geben unter anderem Einblicke in das Infektionsgeschehen in verschiedenen europäischen Ländern und zeigen aktuell eine Inzidenz sowohl invasiver als auch nicht-invasiver Infektionen, die deutlich über den Zahlen der Jahre vor der Covid-Pandemie liegt.
Daten aus dem Vereinigten Königreich (UK) zeigen eine Zunahme des mit schweren Verlaufsformen assoziierten emm1-Stamms. Während es in den Jahren 2020 und 2021 infolge der Covid-19-Maßnahmen zu einer deutlich reduzierten Streptokokken-Übertragung, vor allem bei Kindern, gekommen war, stiegen die Infektionen mit dem Ende der Maßnahmen wieder deutlich an. Von dieser Entwicklung waren sowohl Scharlach als auch invasive Infektionen (iGAS) betroffen, wobei Letztere nach wie vor seltene Ereignisse darstellen. Im Dezember 2022 wurde eine ungewöhnlich hohe Inzidenz sowohl von Scharlacherkrankungen als auch von iGAS gemeldet. Die Scharlach-Inzidenz bewegt sich mittlerweile im Normalbereich, iGAS kommt allerdings für die Jahreszeit in erhöhtem Ausmaß vor. Insgesamt wurden im Jahr 2022 im UK 690 Fälle von iGAS gemeldet, das ist mehr als das Doppelte des langjährigen Durchschnitts vor Covid-19. Im Jahr 2022 kam es zu 60 Todesfällen im Zusammenhang mit iGAS-Infektionen, was einer Case Fatality Rate (CFR) von 9,2 Prozent entspricht. Auch die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit iGAS hat sich verglichen mit den Jahren vor der Pandemie verdoppelt.
Dies könnte mit einer Veränderung des Keimspektrums zusammenhängen. So wurde der Stamm emm1, der mit höherer Wahrscheinlichkeit invasive Infektionen verursacht, häufiger gefunden als in den Jahren vor Covid-19. Auf emm1 entfallen jetzt 48,8 Prozent der A-Streptokokken-Infektionen – im Vergleich zu 21 Prozent in den Jahren vor Covid-19. Gleichzeitig ist es bei den invasiven Infektionen auch zu einer sozialen Verschiebung gekommen. Waren früher vor allem sozial unterprivilegierte Personen von iGAS betroffen, so ist die Inzidenz jetzt in der gehobenen Mittelschicht, also in der zweithöchsten sozioökonomischen Quintile, am höchsten.1
Neuer Streptokokken-Stamm in Dänemark identifiziert
Sehr ähnliche Entwicklungen werden aus Dänemark berichtet. Mit dem Unterschied, dass die im Rahmen des ECCMID 2023 vorgestellte Studie2 sich auch mit höheren Altersgruppen beschäftigte und ab November 2022 einen Anstieg von A-Streptokokken-Infektionen inklusive iGAS sowohl bei älteren Menschen als auch bei Kindern fand. Während jedoch iGAS in der älteren Population zahlenmäßig häufiger auftrat, wurde bei Kindern ein besonders steiler Anstieg registriert. Von den steigenden Erkrankungszahlen waren alle Regionen des Landes betroffen, die Inzidenzraten erreichten mittlerweile das Dreifache der Zeit vor der Pandemie. Da Streptokokken-Infektionen in Dänemark nicht meldepflichtig sind, ist eine zusätzliche Dunkelziffer zwar möglich, aber vermutlich nicht hoch. Schätzungen ergaben, dass seit 2018 rund 90 Prozent aller iGAS-Isolate an das Statens Serum Institut (SSI) zur weiteren Charakterisierung und Sequenzierung übermittelt wurden. Eine Auswertung dieser Daten und aller verfügbaren Informationen aus der Danish Microbiology Database (MiBa) für die Zeit von 2018 bis 2023 ergab die höchste Inzidenz von iGAS in den Altersgruppen von 65–84 (4,0/100.000) und 85+ (5,2/100.000). Die Todesfälle stiegen mit der Inzidenz, die Case Fatality Rates blieben im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie unverändert. Das höchste Mortalitätsrisiko hatten Personen über 85 mit einer CFR von 30 Prozent. Bei Kindern war die Mortalität sehr niedrig.
Auch in Dänemark haben emm1-Stämme an Bedeutung gewonnen. ST28 emm1 (auch als M1 bezeichnet) und ST36 emm12, die in den Pandemie-Jahren praktisch verschwunden waren, sind aktuell für 53 bzw. 28 Prozent der iGAS-Infektionen verantwortlich. Eine 2022 erstmals aufgetretene Subvariante von M1 macht mittlerweile mehr als 30 Prozent aller iGAS-Erreger aus und produziert das Exotoxin SpeC, das mit hoher Virulenz assoziiert ist. Allerdings wurden bislang keine Hinweise gefunden, dass diese Variante virulenter wäre als andere M1-Varianten. Es wurde auch keine Assoziation mit erhöhter Letalität gefunden.
Ähnliches Bild in Frankreich
Eine französische Gruppe präsentierte Zahlen zur Inzidenz nicht-invasiver Infektionen mit A-Streptokokken, die bei niedergelassenen Kinderärzten in Frankreich diagnostiziert wurden. Die Studie zeigte ein ähnliches Bild wie die Arbeiten aus England und Dänemark. Während der Lockdowns gingen die Erkrankungen um 80 Prozent zurück. Mit der Normalisierung des öffentlichen Lebens und der Abschaffung der Maskenpflicht in Schulen ab März 2022 stiegen sie pro Monat um jeweils 18 Prozent auf ein Niveau, das weit über jenem der Prä-Covid-Jahre liegt. Im Rahmen ihrer Studie diagnostizierten 125 Pädiater insgesamt 262.959 Episoden infektiöser Erkrankungen bei 118.035 Kindern. In vier Prozent dieser Fälle konnten A-Streptokokken nachgewiesen werden. Primärer Endpunkt war die Inzidenz nicht-invasiver Infektionen mit A-Streptokokken gerechnet auf 10.000 Visiten. Aktuell liegt diese in der Region von 100, im Vergleich zu durchschnittlich 40 in den Jahren vor der Covid-Pandemie. Insbesondere werden A-Streptokokken aktuell besonders häufig bei Kindern mit Otitis media gefunden, was ungewöhnlich ist und auf eine hohe Zirkulation dieses Bakteriums hindeutet.3
- Guy R et al. Post-pandemic surge in group A streptococcal infections in children in England. Presented at ECCMID 2023, Abstract MMK0401
- Johannesen TB et al. Streptococcus pyogenes: rapidly increasing prevalence of serious invasive infections caused by ST28 emm1 from November 2022 through January 2023 in Denmark. Presented at ECCMID 2023, Abstract O0074
- Cohen J et al. Unexpected increase of non-invasive group A Streptococcus infections in French ambulatory paediatrics since March 2022. Presented at ECCMID 2023, Abstract MMK0403