4. Apr. 2023Künstliche Intelligenz in der Medizin

Menschen und Maschinen sind aufeinander angewiesen

Inwieweit der Einsatz künstlicher Intelligenz zu einer Demokratisierung der Medizin führen könnte, wo es Limitationen gibt und was virtuelle Patient:innen sind, erklärten Expert:innen beim Innovation Hub Austria.

Künstliches Gehirn mit bunten Kabeln.
Ivan Bajic/GettyImages

Bei der Veranstaltung „KI als Wegbereiter für Innovationen im Gesundheitsbereich?“ des Innovation Hub Austria wurden viele höchst interessante Anwendungsgebiete und Überschneidungspunkte von KI-Forschung und Medizin diskutiert.

So berichtete beispielsweise Univ.-Prof. Dr. Schmidt-Erfurth, Professorin für Augenheilkunde und Optometrie an der Medizinischen Universität Wien, über ein auf künstlicher Intelligenz (KI) beruhendes Tool, das die Bilder, die durch den Einsatz der optischen Kohärenztomografie (OCT) erzeugt werden, automatisch auf Veränderungen der Netzhaut untersucht. „Die Netzhaut jedes einzelnen Menschen ist Big Data“, so die Augenärztin. „Über 100 Millionen Pixel verstecken sich auf jeder Makula – aber nur so lange, bis eine KI aus jedem Pixel medizinische Information macht. Eine entsprechende KI wurde über ein Christian Doppler Labor und über den WWTF* von Computerexpert:innen und Kliniker:innen gemeinsam entwickelt!“

Damit habe man das erste automatische Netzhaut-Diagnosetool in Geräte gebracht, führte Schmidt-Erfurth aus. „Das ist die erste komplett autonome AI-Zulassung, die dafür sorgt, dass Augenärzt:innen weltweit zu jeder Zeit und bei jeder Patientin/jedem Patienten eine genaue Auswertung der Netzhautsituation machen können. Das ist nicht nur medizinisch effizient, sondern auch sozioökonomisch besonders wichtig, weil es bedeutet, dass jede Patientin/jeder Patient die gleiche Qualität an Medizin erfahren kann. Wir können dadurch also wirklich eine Demokratisierung der Medizin erleben. Für die Anwendung müssen die Ärztinnen und Ärzte – oder Human Experts, wie sie in der Literatur in diesem Feld genannt werden – entsprechend ausgebildet werden, damit sie das Tool anwenden können“, erklärte die Expertin.

Die Bedeutung nicht-überwachten Lernens in der Medizin

Die Informatikerin Univ.-Prof. Dipl.-Inform. Univ. Dr. Claudia Plant, Head of Research Group Data Mining and Machine Learning, Universität Wien, bemühte sich, die Hintergründe aus der Datenseite verständlich zu machen. „Die verfügbare Datenmenge steigt rasant an – jährlich verdoppelt sich die Menge! Durch das Vorhandensein dieser freien Daten und die Verfügbarkeit von günstigen Hardware-Ressourcen hat die Forschung einen Boom erlebt, wo Deep-Learning-Methoden, die tiefe neuronale Netzwerke realisieren, zum maschinellen Lernen eingesetzt werden“, so Plant.

Ein derartiges tiefes neuronales Netzwerk sei zwar etwas ganz anderes als unser biologisches neuronales Netzwerk, aber es gebe auch Gemeinsamkeiten: „In beiden werden sehr komplexe Zusammenhänge modelliert durch sehr, sehr einfache Einheiten, die Informationen verarbeiten und lokale Entscheidungen treffen bzw. Funktionen berechnen. Es sind sehr einfache Berechnungsprimitive, die die künstlichen Neuronen mit unglaublichen Möglichkeiten ausstatten, sodass auch sehr komplexe Fragestellungen wie z.B. Retinadiagnostik unterstützt werden können“, erklärt sie.

In ihrer Forschung beschäftige sie sich mich mit dem nicht-überwachten maschinellen Lernen. Dabei soll ein Algorithmus alleine erkennen, welche Strukturen es in den Daten gibt. „Das ist für Algorithmen noch immer schwierig, wäre aber wichtig für die Medizin, da es hier nicht immer vollständig gelabelte Daten gibt, die aus verschiedenen Quellen stammen.“

Im Interview mit medonline erklärte Plant, was genau nicht-überwachtes maschinelles Lernen ist und welche praktischen Anwendungsfelder es für ihre Forschung in der Medizin gibt.

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Einsatz in der Dermatologie mit Limitationen

Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Posch, PhD, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Vorstand der Dermatologischen Abteilung der Kliniken Hietzing und Ottakring, sprach über die Einsatzgebiete von KIs in der Dermatologie – und zeigte auch gleich die Probleme auf. So seien die Apps, die bereits im Einsatz sind, um zu erkennen, ob ein Muttermal ein Melanom sein könnte, mit Vorsicht zu genießen. „Die Algorithmen dieser Apps wurden mit breiten Datensätzen gefüttert und erkennen Bilder, die sie kennen besser, als Menschen es können. Allerdings nimmt die Präzision dieser Algorithmen sehr schnell ab, wenn neue Bilder vorgelegt werden. Und so kann es passieren, dass diese Systeme auch einen braunen Fleck auf einer Banane als Melanom diagnostizieren“, brachte er ein plakatives Beispiel.

Über die Tools, die derzeit im Einsatz sind, und deren Limitationen sprach er auch mit uns im Interview.

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KI und virtuelle Patient:innen in der Wirkstoffforschung und -entwicklung

Künstliche Intelligenz hat auch in der Wirkstoffforschung und -entwicklung Einzug gehalten, wie Dr.Britta Wagenhuber, Head of Translational Disease Modeling I&I, R&D – Data & Data Science, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, erzählte. „KIs kommen wirklich überall zum Einsatz: in Frühforschung, um Zielzelle, -rezeptor und -organ zu diagnostizieren, die gut geeignet ist, um eine Erkrankung zu behandeln. Des Weiteren, wenn es darum geht, aus der riesigen Molekülmenge den richtigen Wirkstoff zu finden. Außerdem hilft die KI in der klinischen Entwicklung, um Studien besser zu planen, zu optimieren und die Erfolgswahrscheinlichkeit, den richtigen Wirkstoff zu finden, deutlich zu erhöhen“, so die Mathematikerin.

In der klinischen Entwicklung kommen virtuelle Patientinnen und Patienten zum Einsatz. Was das ist und welche Ziele damit verfolgt werden, erklärte sie im Interview.

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* Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds

Quelle: KI als Wegbereiter für Innovationen im Gesundheitsbereich?, Wien, 29. März 2023