„Mir wurden meine Ängste genommen“
Die Zusammenarbeit zwischen Beate Wimmer* und ihrem behandelnden Rheumatologen Prim. Univ.-Prof. Dr. Kurt Redlich verdeutlicht den Stellenwert einer tragfähigen Beziehung zwischen Arzt und Patientin gerade bei seltenen Erkrankungen: Erst durch das Gespräch mit dem Rheumatologen habe sie Mut gefasst, eine systemische medikamentöse Therapie zu beginnen und begleitende Maßnahmen zu ergreifen. Voll des Lobes zeigt sich Wimmer dabei über die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Patientenorientierung an der Rheumatologie der Klinik Hietzing in Wien.
Bereits 2016 erhielt die heute 59-jährige Angestellte Beate Wimmer die Diagnose „Systemische Sklerose“ bzw. „Sklerodermie“, nachdem sie bereits längere Zeit „Probleme mit den Händen“ hatte. „Die zunächst in einer Ordination durchgeführten Untersuchungen deuteten bald auf eine rheumatische Erkrankung hin“, schildert Wimmer. Die Diagnose erfolgte schließlich unter anderem aufgrund des Morbus Raynaud, typischer Veränderungen an den Fingern der Patientin sowie nachgewiesener antinukleärer Antikörper im Blutbefund.
Die folgende „Konsultation bei Dr. Google“ verunsicherte die Patientin jedoch sehr: „Ich wollte danach einfach nur abwarten, wie es weitergeht.“ Immer wieder versuchte Wimmer zwar angesichts zunehmender Beschwerden komplementärmedizinische Behandlungen wie Akupunktur oder homöopathische Arzneien; „2021 wurden die Symptome jedoch so stark, dass ich auf Anraten meiner Tochter einen Rheumatologen gesucht habe und somit zu Professor Redlich gekommen bin“, erzählt Wimmer weiter.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Kurt Redlich, Vorstand der 2. Medizinischen Abteilung – Zentrum für Diagnostik und Therapie rheumatischer Erkrankungen an der Klinik Hietzing in Wien, erinnert sich an den Erstkontakt mit Beate Wimmer: „Frau Wimmer war damals sehr verzweifelt, auch weil sie bei Dr. Google gelesen hatte, sie habe eine Lebenserwartung von nur mehr zehn Jahren.“ Dabei hat gerade die systemische Sklerose – auch unbehandelt – eine enorme Bandbreite an möglichen Verlaufsformen: Diese Autoimmunerkrankung kann ganz mild bis sehr dramatisch verlaufen, Organe wie Haut, Niere, Lunge oder Gastrointestinaltrakt sind jeweils ganz unterschiedlich betroffen, erklärt Redlich.
„Ein genaues Bild machen“
Als Rheumatologe macht er sich stets ein möglichst genaues Bild von den Patient:innen und ihren Symptomen und fragt gezielt nach Hinweisen wie etwa charakteristische Hautveränderungen. „Herr Professor Redlich wollte von mir etwa wissen, ob ich Probleme mit dem Zungenbändchen habe, und hat sich auch meine Hände ganz genau angesehen oder nach weiteren Hautveränderungen gefragt“, schildert Wimmer im gemeinsamen Gespräch. So ist Morbus Raynaud zwar charakteristisch, geht aber nicht nur mit einer systemischen Erkrankung wie Sklerodermie einher. Typisch dafür sind laut Redlich beispielsweise ebenso periorale Hautfalten, eine Verdickung des Zungenbändchens oder der Haut an den Händen (Sklerodaktylie), die zu Bewegungseinschränkungen führen kann, sowie bleistiftartige Striche unter den Fingernägeln.
„Schon das erste Gespräch mit Professor Redlich bedeutete für mich eine enorme Erleichterung, vor allem da er mir erklärt hat, dass ich mit Sicherheit eine leichte Verlaufsform habe. Nachdem ich jahrelang sprichwörtlich den Kopf in den Sand gesteckt hatte, habe ich damit Mut gefasst und meine weitere Behandlung ihm und dem Team an seiner Abteilung anvertraut.“
Spezialambulanz an der Klinik Hietzing
Durch die Spezialambulanz für Sklerodermie, die am Krankenhaus Hietzing von OA Dr. Boris Lindner geleitet wird, hat das Team dort hohe Expertise bei dieser seltenen rheumatischen Erkrankung. „Zudem haben wir an der Abteilung ein Board für Interstitielle Lungenerkrankungen – zu denen auch die Systemische Sklerose gehört – und können gemeinsam mit Fachbereichen wie Dermatologie, Pulmologie, Radiologie oder Nephrologie die Vorgangsweise für jeden Patienten und jede Patientin besprechen“, betont Redlich. „Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist für mich als Patientin stark spürbar und mir werden stets alle Informationen gut verständlich wiedergegeben. Ich fühle mich hier einfach gut aufgehoben“, sagt dazu Wimmer.
Redlich, der in seiner ärztlichen Laufbahn bislang rund 60 von Sklerodermie betroffene Patient:innen betreuen durfte, betont die Notwendigkeit der individuellen Behandlung in Abstimmung mit den Betroffenen: „Mit Frau Wimmer haben wir uns entschlossen, ihre Durchblutungsstörungen möglichst breit zu erfassen, da sie beruflich viel mit den Händen arbeitet und dabei keine Handschuhe tragen kann“, erklärt der Facharzt. Wimmer erhält dazu aktuell Infusionskuren mit einem Prostacyclin-Analogon, zusätzlich nimmt sie Sildenafil ein. Aufgrund der fortschreitenden Hautveränderungen und einer diskreten Lungenfibrose wurde zudem die Behandlung mit dem Interleukin-6-Rezeptor-Antagonist Tocilizumab begonnen, der in dieser Indikation etwa bereits in den USA zugelassen ist. „Wir kennen diese Substanz sehr gut von der Behandlung der rheumatoiden Arthritis, sodass wir uns nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung auch bei Frau Wimmer zu deren Einsatz entschlossen haben. Da müssen wir sagen, dass wir in Österreich in der glücklichen Lage sind, Medikamente im Bedarfsfall off-label einzusetzen“, betont Redlich.
Motivation und Krankheitsmanagement
„Mit der Therapie komme ich im Alltag mit den Symptomen gut zurecht, zusätzlich hat mich das Team super motiviert, begleitende Maßnahmen zu ergreifen: So gehe ich regelmäßig zur Ergotherapie und führe selbstständig Übungen zum Erhalt der Mobilität der Hände durch. Ich mache auch möglichst viel Bewegung und achte besonders darauf, meinen Körper warm zu halten“, berichtet Wimmer.
Redlich seinerseits appelliert an seine Kolleg:innen in der niedergelassenen Praxis, bei entsprechenden Symptomen möglichst frühzeitig auch an Sklerodermie zu denken: „Es ist zwar eine seltene Erkrankung, die sich jedoch interdisziplinär gut erkennen und behandeln lässt, auch in enger Zusammenarbeit zwischen niedergelassenem und Spitalsbereich.“
* Der Name wurde geändert
Fakten-Check: Systemische Sklerose (Sklerodermie)
Die systemische Sklerose ist eine generalisierte Erkrankung der kleinen Arterien, der Mikrogefäße und des Bindegewebes. Sie ist gekennzeichnet durch Fibrose und Gefäßobliterationen in der Haut und anderen Organen, besonders in Lunge, Herz und Verdauungstrakt. Angaben zur Häufigkeit schwanken zwischen 1:6.500 und 1:100.000 (Quellen: orpha.net; Rheumaliga Schweiz), fest steht jedoch, dass Frauen etwa viermal häufiger betroffen sind als Männer und sich die Erkrankung vorwiegend ab dem 50. Lebensjahr manifestiert.
Das Raynaud-Phänomen mit charakteristischen Rot- und Blaufärbungen der Finger in kalter Umgebung ist oft erstes Zeichen der Krankheit. Zudem bestehen Hautveränderungen, häufig eine Motilitätsstörung des Ösophagus mit gastro-ösophagealem Reflux und manchmal Dysphagie. Mögliche Komplikationen sind Lungenfibrose und seltener Lungenarterien-Hochdruck.
Die Behandlung erfolgt überwiegend symptomatisch, vor allem durch gefäßerweiternde Medikamente sowie bei Bedarf durch die medikamentöse Behandlung der Lungenfibrosen. Hinzu kommen umfangreiche Möglichkeiten des nicht-medikamentösen Krankheitsmanagements mit Bewegungsübungen, Wärmemanagement oder Maßnahmen gegen die oft bestehende Mundtrockenheit.
Wie bei vielen anderen seltenen Erkrankungen ist bislang die Evidenz durch klinische Studien limitiert: „Wir versuchen immer wieder, Patient:innen in Studien einzubringen; erschwert wird dies bei der Sklerodermie jedoch zusätzlich durch die heterogenen Verlaufsformen“, sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Kurt Redlich. Seitens der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) gebe es jedoch Bemühungen, Studien auf diesem Gebiet zu fördern. Ansprechpartner im Bereich Selbsthilfe ist in Österreich die Rheumaliga.
Serie: Die Gesichter Seltener Erkrankungen
Seltene Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und bestmöglich zu behandeln bzw. zu managen gehört zu den größten Herausforderungen der Medizin im dritten Jahrtausend. Mitunter sind es vielleicht nur zehn, zwölf Menschen in Österreich mit derselben Diagnose, die oft erst nach jahrelangen Wegen durch Ordinationen und Ambulanzen wissen, woran sie tatsächlich leiden. Die Diagnose erhielten sie meist von engagierten Ärztinnen und Ärzten, die auf den richtigen Pfad kamen und sich um Therapie und Management bemühen.
In der medonline-Serie in Kooperation mit dem Referat für Seltene Erkrankungen der Ärztekammer Wien wollen wir die Gesichter Seltener Erkrankungen vorstellen mit dem Ziel, das Bewusstsein dafür zu stärken: Seltene Erkrankungen sind zwar selten, aber es gibt sie! Mitunter sind sie aber viel zu wenig bekannt. Wir stellen Ihnen daher engagierte Ärztinnen und Ärzte und ihre Patientinnen und Patienten bzw. deren Eltern vor. Ihre Erfahrungen sollen dazu beitragen, Seltene Krankheiten besser bekannt zu machen und vielleicht rascher zur richtigen Diagnose und zur bestmöglichen Behandlung zu kommen.
Mag. Christina Lechner (Koordinierende Redakteurin) und Mag. Patricia Herzberger (Redakteurin medonline, CR Medical Tribune) mit Dr. Christoph Buchta (Ärztekammer Wien/Referat für Seltene Erkrankungen)
In Kooperation mit der Ärztekammer Wien
Referat für Seltene Erkrankungen