Dicke Haut, die nicht guttut
Eine Mutation im Keratin-9 Gen führt dazu, dass bei Angelika Eiter genauso wie bei ihrem Vater oder anderen Familienmitgliedern starke Verhornungen an Hand- und Fußsohlen auftreten. Bislang gibt es nur symptomatische Behandlungsmöglichkeiten, doch erste Schritte zur Therapie mittels „Genschere“ sind gemacht, berichtet Univ.-Prof. Dr. Matthias Schmuth, Direktor der Universitätsklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie in Innsbruck.
Die autosomal vererbte Erkrankung mit der Bezeichnung Keratoderm (Keratin-9; siehe Fakten-Check) macht sich meist schon bei Babys im Alter von zwei, drei Monaten bemerkbar, erzählt die Tiroler Diätologin Angelika Eiter. Starke Verhornungen an Handflächen und Fußsohlen sind charakteristisch für diese Form der Verhornungsstörung. „Eine meiner Nichten etwa krabbelt auf den Fäusten, um ihre Handflächen zu schonen.“ Ihr selbst machte die Erkrankung im Kindesalter vor allem durch negative Bemerkungen anderer Kinder über ihre „sonderbaren Hände“ zu schaffen. Sie habe daher gelernt, die Hände besser nicht zu zeigen, berichtet Eiter. Auch heute werde sie im Berufsleben durchaus von Patienten darauf angesprochen. „Allerdings bin ich nach wie vor bemüht, nicht zu viel von meinen Händen zu zeigen und verwende bei Erklärungen in Patientengesprächen etwa einen Stift, wenn ich auf etwas zeigen muss.“
Was die Füße angeht, so trägt Eiter stets nur geschlossene Schuhe, idealerweise mit gutem Fußbett. Wie Eiter schildert, verursacht die dicke Haut vor allem bei längeren Wanderungen starke brennende Schmerzen an den Fußsohlen.
An die Innsbrucker Universitäts-Hautklinik kam sie selbst erst als Erwachsene auf Überweisung ihres Hautarztes. „In meiner Familie hieß es immer: Dagegen kannst du sowieso nichts machen.“ Tatsächlich ist bei Verhornungsstörungen bis heute nur eine rein symptomatische Behandlung möglich und die bedeutet in erster Linie tägliches Abtragen der Hornhaut. „Enorm hilft mir dabei ein kosmetisches Schleifgerät“, sagt Eiter. Abgesehen davon heißt es, die Haut durch Cremen vor dem Austrocknen zu schützen, ebenso Kälte zu meiden und regelmäßig Ergo- oder Physiotherapie zu machen, vor allem um die Beweglichkeit der Hände zu fördern. Auch ein Kuraufenthalt an einem für Hauterkrankungen spezialisierten Zentrum habe ihr geholfen, ergänzt Eiter.
Symptom-Management
„Tatsächlich sind die Patienten selbst in puncto Abtragen der Haut erfahrungsgemäß ihre besten Therapeuten“, bestätigt Dermatologe Univ.-Prof. Dr. Matthias Schmuth, der sich auf Verhornungsstörungen spezialisiert hat. Vor etwa 40, 50 Jahren begannen zudem Studien mit oralen Retinoiden, von denen man wusste, dass sie die Verhornung unterbinden können. „Anfangs waren die Substanzen allerdings noch zu hoch dosiert, sodass es zu Rissen oder Blutungen kam. Bei richtiger Dosierung können jedoch einige Patienten gut davon profitieren, wenn es auch kein durchschlagender Erfolg ist“, erklärt Schmuth. Angelika Eiter übt jedoch Vorsicht, da bei ihr selbst die topische Anwendung der Vitamin-A-ähnlichen Substanz die Blutspiegel zu stark erhöhte, was besonders Frauen im gebärfähigen Alter vermeiden sollten.
Schmuth und sein Team arbeiten derzeit gemeinsam mit Kollegen an anderen Zentren daran, diese Seltene Krankheit eines Tages mithilfe der Genschere CRISPR/Cas heilen zu können. „Im Prinzip geht es darum, in den Hautzellen die Mutation zu beheben – das ist in Zellkulturen von Patientenproben bereits gelungen. Ein Team in Madrid untersucht aktuell an dreidimensionalen Haut-Organoiden, die auf die Rücken von Mäusen transferiert wurden, die Wirkung dieser Therapie in einem lebenden Organismus“, schildert Schmuth weiter.
Diese Vorgangsweise könnte, so Schmuth, künftig auch bei anderen Verhornungsstörungen wie der Ganzkörperschuppenkrankheit Ichthyose untersucht werden. Die Tatsache, dass die Entdeckung der „Genschere“ 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis gewürdigt wurde, habe diesen Ansätzen sicher Aufwind gegeben.
Forschung vorantreiben
Die Reaktion von Patientin Angelika Eiter auf diese Bestrebungen? „Es löst bei mir Neugier, aber auch Skepsis aus und ich frage mich natürlich, ob ich unter den ersten sein möchte, die eine solche Behandlung bekommt. Zugleich bin ich aber sehr froh, dass es auch bei einer so seltenen Erkrankung überhaupt Forschung gibt.“
Bei einer ähnlichen genetisch bedingten Verhornungsstörung – Pachyonychia Congenita – gelang es übrigens einer Patientenorganisation in den USA, durch Fundraising eigene Forschungsprojekte zu initiieren, weiß Schmuth. „Das ist eine bemerkenswerte Initiative und sie hilft damit – genauso wie dieser Bericht –, Erkrankungen besser bekannt zu machen, von denen nur die wenigsten wissen.“
Eiter weiß zudem von der Vernetzung von Patienten mit verschiedenen Verhornungsstörungen in einer Facebook-Gruppe zu berichten: „Da gibt es viel Austausch über Erfahrungen mit der symptomatischen Behandlung, ebenso Diskussionen über Gentests.“ In Österreich existiert bislang noch keine eigene Selbsthilfegruppe. „Für die Vernetzung der Patienten halfen in der Vergangenheit Informationsveranstaltungen an der Klinik, solche sind jedoch in Zeiten einer Pandemie leider erschwert“, ergänzt Schmuth.
Fakten-Check: Keratoderm (Keratin 9)
Die Erkrankung, die bis vor kurzem als „Palmoplantare Hyperkeratose Typ Vörner“ bezeichnet wurde, wird heute in der Nomenklatur „Palmoplantare Hyperkeratose (Keratin 9)“ oder „Palmoplantares Keratoderm (Keratin 9)“ genannt. „Wenn die Mutation bekannt ist, dann wird zudem die Genbezeichnung in Klammern angeführt“, erläutert dazu Univ.-Prof. Dr. Matthias Schmuth von der Universitäts-Hautklinik in Innsbruck.
„Wir wissen heute auch, dass es mehrere Keratin-Gene gibt, die in unterschiedlichen Hautarealen aktiv sind. Keratin 9 ist nur an Hand- und Fußsohlen aktiv, das erklärt die ausgeprägten Verhornungen der Patienten in diesen Bereichen.“ Die Erkrankung wird autosomal dominant vererbt: Das bedeutet, wenn ein Elternteil Genträger und erkrankt ist, dass Kinder mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent ebenfalls betroffen sind. Aktuell betreuen Schmuth und sein Team etwa 25 Patienten jedes Lebensalters aus sieben Familien mit Keratoderm, etwa dreimal so viele Personen dürften in Österreich betroffen sein. „Das ist aber nur eine grobe Schätzung anhand unseres Registers.“
Serie: Die Gesichter Seltener Erkrankungen
Seltene Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und bestmöglich zu behandeln bzw. zu managen gehört zu den größten Herausforderungen der Medizin im dritten Jahrtausend. Mitunter sind es vielleicht nur zehn, zwölf Menschen in Österreich mit derselben Diagnose, die oft erst nach jahrelangen Wegen durch Ordinationen und Ambulanzen wissen, woran sie tatsächlich leiden. Die Diagnose erhielten sie meist von engagierten Ärztinnen und Ärzten, die auf den richtigen Pfad kamen und sich um Therapie und Management bemühen.
In der neuen medonline-Serie in Kooperation mit dem Referat für Seltene Erkrankungen der Ärztekammer Wien wollen wir die Gesichter Seltener Erkrankungen vorstellen mit dem Ziel, das Bewusstsein dafür zu stärken: Seltene Erkrankungen sind zwar selten, aber es gibt sie! Mitunter sind sie aber viel zu wenig bekannt. Wir stellen Ihnen daher engagierte Ärztinnen und Ärzte und ihre Patientinnen und Patienten bzw. deren Eltern vor. Ihre Erfahrungen sollen dazu beitragen, Seltene Krankheiten besser bekannt zu machen und vielleicht rascher zur richtigen Diagnose und zur bestmöglichen Behandlung zu kommen.
Mag. Christina Lechner (Koordinierende Redakteurin) & Mag. Ulrike Krestel (Redaktionsleitung medonline) mit Dr. Christoph Buchta (Ärztekammer Wien/Referat für Seltene Erkrankungen)
In Kooperation mit der Ärztekammer Wien
Referat für Seltene Erkrankungen