Arthrose-Patienten ihre Feinmotorik zurückgeben
Arthrose und Arthritis können den Fingergelenken so zusetzen, dass eine Arthrodese oder ein Kunstgelenk erforderlich wird. Die Therapieentscheidung hängt u.a. von Achsabweichung, Stabilität und betroffenem Gelenk ab.
Arthrosen schädigen vor allem die End- und Mittelgelenke (DIP- bzw. PIP-Gelenke), entzündlich-rheumatische Erkrankungen eher die Fingergrundgelenke (MCP-Gelenke), erklärte Dr. Stephan Schindele, Handchirurg von der Schulthess Klinik in Zürich. Vor dem Griff zum Skalpell steht meist der Versuch, die Beschwerden mit konservativen Maßnahmen wie Steroidinfiltrationen, Radionuklidbehandlung und Bestrahlung zu lindern.
Doch wenn die Schmerzen nicht beherrschbar sind, die Beweglichkeit deutlich eingeschränkt ist und/oder Instabilitäten mit Achsabweichungen vorliegen, ist eine Operation indiziert. Die Entscheidung zwischen Arthrodese oder Gelenkersatz richtet sich nach dem Befund, der Lokalisation (DIP-, PIP- oder MCP-Gelenk) und den Ansprüchen an die postoperative Beweglichkeit.
Bei den DIP-Gelenken gilt die Arthrodese zwar als Goldstandard. Soll das Endgelenk allerdings postoperativ noch feinmotorisch bewegt werden können, kommt auch ein Silikongelenk (s. Kasten) infrage. Vorausgesetzt, das Gelenk ist ansonsten stabil, gelingt es mit einem Silikonimplantat recht gut, kleine Gegenstände zu greifen. Meist bleibt ein leichtes Streckdefizit, was den ästhetischen Eindruck stören kann. Prinzipiell setzt Schindele das Silikongelenk eher an den ulnaren Fingern ein, bei den radialen empfiehlt er meist die Arthrodese.
PIP-Arthrodese wird von Patienten schlecht akzeptiert
Am MCP-Gelenk ist die Sache genau andersherum: Weil eine Arthrodese die Bewegung sehr einschränkt, kommt sie an den Grundgelenken nur äußerst selten zum Einsatz. Goldstandard ist hier stattdessen die Silikon-Arthroplastik. Sie korrigiert den Ulnardrift, behebt die Schmerzen und ermöglicht eine Beweglichkeit von 50–60°.
Bei geschädigten PIP-Gelenken sind prinzipiell sowohl Arthrodesen als auch Kunstgelenke möglich. Die PIP-Arthrodese führt zwar weitgehend zu Schmerzfreiheit, wird aber aufgrund der Bewegungseinschränkungen oft nur schlecht akzeptiert, berichtete Schindele. Deshalb kommt i.d.R. ein Kunstgelenk zum Einsatz – nach wie vor überwiegend aus Silikon, obwohl dies am PIP zu Problemen führt.
Zum einen mangelt es an lateraler Stabilität. Sitzt das Silikongelenk z.B. im Zeigefinger, kann man damit kaum einen Schlüssel im Schloss umdrehen, weil einfach die Kraft fehlt, erläuterte Schindele. Außerdem werden präoperative Achsabweichungen, wie sie z.B. bei der Bouchard-Arthrose vorkommen, nicht dauerhaft korrigiert. Deshalb kommt für den Handchirurgen bei den PIP-Gelenken eine Silikonprothese nur infrage, wenn ein ulnarer Fingerstrahl betroffen ist, die Knochenverankerung ausreicht und keine Achsabweichung vorliegt.
Eine Alternative zum PIP-Silikongelenk bietet der Oberflächenersatz. Er wird vor allem bei Achsabweichungen und für den radialen Fingerstrahl empfohlen. Bei den herkömmlichen, seit etwa 15 Jahren verwendeten PIP-Oberflächenersatzprothesen handelt es sich um Zweikomponenten-Gelenke aus verschiedenen Materialien (z.B. PyroCarbon, Keramik, Titan/PE). Nachteil dieser Kunstgelenke: Aufgrund fehlender Osseointegration kommt es nicht selten zu Migration und Lockerung. Außerdem haben sie relativ lange Schäfte, was die Erstimplantation komplikationsanfällig macht und Revisionen erschwert. Doch die herkömmlichen Implantate haben auch ihre Vorteile, betonte Schindele. Gelingt der Einsatz ohne Komplikationen, bieten diese Gelenke weitgehende Schmerzfreiheit und erweisen sich als langlebig.
Um Stabilität, Standzeiten und Ästhetik weiter zu verbessern, haben Schindele und sein Team gemeinsam mit der ETH Zürich vor zehn Jahren einen neuen Oberflächenersatz (CapFlex) entwickelt. Vorbild waren die Implantate für die großen Gelenke, z.B. Knie. So besteht auch bei CapFlex die Rückfläche aus Co/Cr mit Titanium, das Gelenk hingegen aus Polyethylen (PE). CapFlex wird unter minimaler Knochenresektion und Erhalt der Seitenbänder zementfrei von dorsal eingesetzt. Die Osseointegration funktioniert gut, dennoch lässt sich das Kunstgelenk bei Bedarf leicht wieder entfernen. Schmerzen werden deutlich reduziert, die laterale Stabilität ist besser als mit Silikon. Die 5-Jahres-„Überlebensrate“ der Implantate beträgt etwa 87%.
Ist die Knochensubstanz an einem PIP-Gelenk sehr schlecht, sind weder Oberflächenersatz noch Silikongelenke möglich, ein Implantat muss dann medullär verankert werden. In diesen Fällen greifen Schindele und sein Team zu anderen Modellen, z.B. mit PE-Kopf, Metall-Basis und kleinerem Schaft.
Prinzipiell ermöglichen alle Implantate die gleiche Beweglichkeit, betonte Schindele. An den DIP- und MCP-Gelenken ist Silikon quasi alternativlos, bei den PIP-Gelenken ist der Oberflächenersatz vor allem an den radialen Fingern eine gute Alternative. Langzeitergebnisse gibt es bisher aber nur für Silikon. Auch deshalb ist das Silikongelenk für die meisten Fälle heute noch der Goldstandard, so das Fazit von Schindele.
Fingergelenkersatz aus Silikon
1959 wurde in Deutschland das erste gekoppelte Scharniergelenk aus Metall eingesetzt. Bis in die 1980er-Jahre hat man weltweit Modelle aus verschiedenen Materialien entwickelt, darunter Metall, Keramik, Karbon und Silikon. Bis auf Letztere hatten alle eine hohe Lockerungsrate und sind wieder vom Markt verschwunden. Heute kommen für den Fingergelenkersatz meist Silikonimplantate zum Einsatz, die bei Beugewinkeln von 50–60° zu guten Langzeitergebnissen und einer niedrigen Revisionsrate führen. Das relativ locker sitzende Silikongelenk wird von einer bindegewebigen Kapsel umhüllt. Seine Biokompabilität ist gut, im Gegensatz zu Knie- oder Handgelenken entwickelt sich an den Fingern nur selten eine Silikonsynovialitis. Ähnlich wie bei Gummi besteht allerdings die Gefahr, dass es nach Jahren zur Degradation kommt und das Implantat bricht, was aber in den meisten Fällen keine Revision erfordert.
Deutscher Rheumatologie Kongress 2021