18. Jän. 2022«Selbst gut Operierte haben eine chronische Erkrankung»

Erwachsene mit angeborenen Herzvitien brauchen lebenslange Betreuung

Immer mehr Menschen mit angeborenen Herzfehlern erreichen das Erwachsenenalter. Was sie besonders bedroht, sind chronische Herzinsuffizienz und plötzlicher Herztod – jeder Zweite stirbt an einem von beiden. Evidenzbasierte Präventionsstrategien fehlen mitunter.

medonline-Logo Bildplatzhalter

Die Folgen von Krankheit und operativer Korrektur begleiten Patienten von Kindesbeinen bis ins hohe Alter, weiß Prof. Dr. Helmut Baumgartner, Universitätsklinikum Münster. Der Kollege ist Erstautor der neuen europäischen Leitlinie zur Betreuung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH)1 und betonte: „Selbst gut operierte Patienten haben eine chronische Erkrankung.“ Sie leiden unter Belastungsintoleranz, psychischen Problemen und reduzierter Lebensqualität, aber auch unter schwerwiegenden Akutkomplikationen wie Endokarditis oder Schlaganfall.

Mit zunehmendem Alter bestimmen nicht mehr Schwere des Herzfehlers und Operationsresultat die Prognose, sondern das Auftreten von Arrhythmien, Herzinsuffizienz und plötzlichem Herztod. Außerdem gefährden kardiovaskuläre Risikofaktoren die Patienten unabhängig vom Herzfehler mindestens ebenso wie andere Menschen. Jeder Betroffene sollte deshalb mindestens einmal im spezialisierten Zentrum vorgestellt und vom Kardiologen (mit) betreut werden. Für die Prognose bedeutet Letzteres einen großen Unterschied, wie eine Auswertung von Krankenkassendaten zeigt (s. Kasten unten).

Bei praktisch jeder EMAH-Variante kann ein ganzes Potpourri von Herzrhythmusstörungen auftreten, erklärte Dr. Joachim Hebe, Elektrophysiologie Bremen am Klinikum Links der Weser. „Die Patienten überleben immer länger, die Komplexität der Eingriffe nimmt zu und in der Folge die der Arrhythmien ebenfalls.“

Der Kardiologe macht den Unterschied

Erwachsene mit angeborenem Herzfehler, die regelmäßig einen Kardiologen sehen, haben signifikant bessere Überlebenschancen. Das ergab eine Studie auf Basis von Daten einer deutschen Krankenkasse, die mehr als 24.000 Betroffene überblickt. Betrachtet wurden Verlaufszahlen über drei Jahre. Ziemlich genau die Hälfte dieser Patienten befand sich in diesem Zeitraum in rein hausärztlicher Betreuung. EMAH, die (auch) den Kardiologen besuchten, hatten ein fast 20 % geringeres Sterberisiko und ein um 15 % geringeres Risiko für schwere Komplikationen.

Alte OP-Berichte sind oft nicht mehr zu bekommen

Bei vielen angeborenen Herzfehlern finden sich arrhythmogene Substrate. Und die Operationen setzen mit Narben, Nähten und Patches iatrogen noch eins drauf. „Wir haben bis heute keine systematische Strategie zur Arrhythmieprävention bei der Operation oder Reoperation angeborener Herzfehler“, kritisierte Hebe. Eine Möglichkeit wäre, gezielt Kryoläsionen im Herzmuskel zu platzieren.

Hinzu kommt die hohe Individualität der Herzfehler und der operativen Eingriffe. Da Operationsberichte vielfach nicht mehr zu bekommen sind, ist kaum noch nachzuvollziehen, was genau gemacht wurde. Die OP-Technik scheint das Arrhythmierisiko aber nicht wesentlich zu beeinflussen. Anders das Alter des Patienten: Deshalb versuchen die Kardiochirurgen heute, so früh wie möglich zu operieren.

Durch diese komplexe Gemengelage kann auf individueller Ebene ein Mix verschiedener Arrhythmien entstehen: ein Nebeneinander bradykarder und tachykarder ventrikulär und supraventrikulär getriggerter Störungen. Atriale Tachykardien stellen bei EMAH die häufigste Rhythmusstörung dar. Jeder Zweite, der den 20. Geburtstag überlebt, wird eine solche Arrhythmie entwickeln. Und diese ist „nicht per se benigne“, betonte Hebe. Betroffene haben ein deutlich erhöhtes Risiko, ventrikuläre Arrhythmien zu entwickeln. Je nach Situation sind die kardialen Kompensationsmöglichkeiten durch eingeschränkte ventrikuläre Funktion und Koronarreserve sowie Klappen- und/oder Gefäßstenosen bzw. -insuffizienzen reduziert.

Die Therapieprinzipien sind – abgesehen von der Reoperation – die gleichen wie bei Erwachsenen ohne angeborenen Herzfehler. Antiarrhythmika punkten zwar mit ihrer Multisubstratwirkung, sind aber aufgrund ihrer vielfältigen unerwünschten Effekte gerade bei EMAH langfristig keine attraktive Option. Nicht zuletzt deshalb befinden sich Katheterablationen auf dem Vormarsch.

Eine schwierige Frage ist die nach der Antikoagulation bei atrialen Rhythmusstörungen. „Bei eingeschränkter systemventrikulärer Funktion hat so ein Patient dasselbe Risiko für einen Schlaganfall wie jeder erwachsene Patient mit normal angelegtem Herzen“, sagte Hebe, der sich deshalb für eine großzügige Indikationsstellung aussprach. Zunehmend kommen auch NOAK statt Vitamin-K-Antagonisten zum Einsatz.

Die Haupttodesursache liegt jedoch in der chronischen Herzinsuffizienz (CHF), die viele Patienten mit kongenitalen Herzerkrankungen entwickeln, insbesondere jene mit atrialen Arrhythmien. Bei EMAH ist die CHF keine durch Komorbiditäten getriebene Alterskrankheit, erklärte Prof. Dr. Christoph Maack vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz, Universitätsklinikum Würzburg.

Neue Wege mit neuen Substanzen

SGLT2-Hemmer, die Newcomer in der aktuellen Herzinsuffizienz-Leitlinieder ESC, könnten sich auch bei EMAH im Einzelfall sinnvoll einsetzen lassen, meinte PD Dr. Corinna Lebherz, Universitätsklinik der RWTH Aachen. Immerhin ist es die einzige Wirkstoffklasse, die prognostisch günstige Effekte über ein breites Ejektionsfraktions-Spektrum von 15–60 % gezeigt hat. Tatsächlich gibt es Analysen, die den Ansatz stützen, wenn auch keine Studien, die sich explizit den EMAH gewidmet haben.

Rechter Ventrikel kann weniger kompensieren

Die ersten Zeichen lassen sich schon in jungen Jahren nachweisen und die Überlebenschancen stehen noch schlechter als bei anderen Herzinsuffizienten. Entsprechend früh heißt es gegensteuern.

Der linke Ventrikel bezieht seine Kraft aus den drei Muskellagen. Der rechte Ventrikel besteht aus zwei Schichten, er muss sich vor allem auf die Längsfaserkontraktion verlassen. Das erklärt die geringere Pumpkraft und die geringere Toleranz bei steigender Nachlast.

Bei EMAH fällt anfangs vor allem die hämodynamische Belastung ins Gewicht. Infolge der Funktionsverschlechterung setzen dann autonome Dysregulation und neuroendokrine Aktivierung ein, zu erkennen am Anstieg von natriuretischen Peptiden, Endothelin, Noradrenalin und RAS-Mediatoren. Dieser laborchemische Anstieg korreliert gut mit der NYHA-Klasse. BNP und NT-proBNP können also auch bei EMAH zur CHF-Diagnostik herangezogen werden.

BNP und NT-proBNP zur Diagnostik heranziehen

Hinsichtlich Pathophysiologie, Behandlungsindikationen und Verlauf einer Herzinsuffizienz bei EMAH sieht die Leitlinie zahlreiche Evidenzlücken. Orientierung in der Therapie gibt ein Positionspapier der ESC*.2 Demnach sollten hämodynamisch wirksame Residuen der kongenitalen Erkrankung beseitigt sein, wenn man sich der CHF widmet. Bei fehlenden Symptomen und normaler systolischer Ventrikelfunktion reicht ein regelmäßiges Follow-up. Symptomatische Patienten sind Kandidaten für eine medikamentöse Therapie, vor allem wenn erhöhte natriuretische Peptide eine überproportionale Belastung des Herzmuskels anzeigen. Die Behandlung folgt denselben Prinzipien wie bei Erwachsenen ohne angeborenen Herzfehler.

Das Positionspapier gibt noch differenziertere Empfehlungen je nach Art des Herzfehlers. „Diese (...) basieren aber im Wesentlichen auf Expertenmeinung und leider auf nicht viel Evidenz“, bedauerte Maack. „Die Durchführung größerer Therapiestudien ist sicher notwendig.“

* European Society of Cardiology

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) Herztage 2021

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune