Herz-Transplantation bei Propionazidämie
Der 15-jährige Aaron leidet an einer Propionazidämie – eine Erkrankung, die unter anderem zu Schäden am Herzmuskel führen kann. Aaron ist der zweite weltweit bekannte Patient dem aufgrund einer Herzschwäche bei Propionazidämie Herz-transplantiert wurde. Mitverantwortlich für die erfolgreiche Therapie sind die hervorragende interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die enge Kooperation zwischen Familie und Klinik-Team.
Dass Aarons Diagnose bereits in den ersten Lebenswochen feststand, ist dem erweiterten Neugeborenenscreening zu verdanken. „10 Tage nach der Geburt bekam ich einen Anruf von der Klinik in Innsbruck. Ich sollte mit Aaron sofort zu weiteren Untersuchungen kommen, da eine Auffälligkeit gefunden wurde“, berichtet Aarons Mutter, Alberta Fuchs. Aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit als Pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin hatte sie bereits Medikamentenbestellungen für erkrankte Kinder vorgenommen. So wie nun auch für ihren Sohn Aaron bedeutet die Diagnose unter anderem, dass selbst die Muttermilch schon zu viel Eiweiß für seinen Organismus enthält, musste er auf Teilstillen und Spezialnahrung umgestellt werden.
Die Stoffwechselerkrankung betrifft unter anderem das Immunsystem, jeder Infekt mit Fieber, Erbrechen oder Durchfall birgt die Gefahr einer Stoffwechselentgleisung und erfordert einen Krankenhausaufenthalt. „Man hat uns zunächst sogar geraten, von Osttirol nach Innsbruck zu ziehen, um stets in der Nähe der Klinik zu sein. Aarons ältere Schwestern waren aber hier sehr gut integriert, sodass ein Umzug für uns nicht in Frage kam.“ Für die oft abrupten Krankenhausaufenthalte erhielt Familie Fuchs Unterstützung durch den Verein KiB – Children Care, der unter anderem „über Nacht“ eine Familienhelferin zur Verfügung stellte oder Rechtsberatung anbot.
Risiko Herzmuskelschwäche
Da die Erkrankung auch eine Kardiomyopathie verursachen kann, wurde Aaron regelmäßig kardiologisch untersucht. „Bislang ist noch nicht genau bekannt, warum etwa ein Viertel der Patientinnen und Patienten mit Propionazidämie eine Herzschwäche entwickelt. Möglicherweise hängt es mit den häufigen Infekten und metabolischen Krisen zusammen“, erklärt Dr. Irena Odri Komazec, Pädiaterin und Kinder-Kardiologin am Department für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Innsbruck.
Allerdings, so Odri Komazec, sind etwa Geschwisterpaare mit der gleichen Mutation aber unterschiedlichen Symptomen bzw. Ausprägungen der Erkrankung bekannt.
Aaron entwickelte im Alter von etwa dreieinhalb Jahren erstmals eine Herzschwäche, die jedoch zunächst medikamentös gut behandelt werden konnte. Im Alter von 12 Jahren kam es jedoch neuerlich zu einer Verschlechterung der Pumpfunktion der linken Herzkammer und Reduktion der körperlichen Belastbarkeit. „Ein Schulbesuch war für Aaron zwar weiterhin möglich, er brauchte allerdings viele Pausen. Dennoch wurde trotz Ausschöpfen aller medikamentösen Optionen seine Herzfunktion zunehmend schlechter. Dabei hatte Aaron sich erstaunlich gut an seine reduzierte Herzleistung angepasst“, schildert die Kinder-Kardiologin. Aaron war etwa bei schulischen und anderen Aktivitäten im Freundeskreis gut integriert. Eine Corona-Infektion mit Erbrechen, Durchfall und weiterem Gewichtsverlust bedeutete für Aaron wiederum eine Stoffwechselentgleisung und weitere Verschlechterung der Herzfunktion.
„Zunächst wurde die medikamentöse Therapie weiter ausgeschöpft. Prinzipiell wird auch versucht bei Patientinnen und Patienten mit Propionazidämie eine Lebertransplantation zu machen, um mit der Besserung der Stoffwechselsituation auch eine Besserung der Herzfunktion zu erzielen“ erklärt Odri Komazec. Eine Herzpumpe wäre eine weitere Option gewesen, dazu gibt es jedoch bislang nur Fallberichte bei Propionazidämie, gleichzeitig ist das Risiko für Komplikationen hoch. Auch war Aarons Zustand, der zu diesem Zeitpunkt intensivmedizinisch behandelt wurde, mittlerweile so schlecht, dass das Team nicht weiter zuwarten wollte.
„Wir wissen zudem, dass eine Transplantation auch bei Kindern mit anderen schweren Herzerkrankungen eine lebensverlängernde Therapie ist.“ Die Dringlichkeit gab für das Team den Ausschlag, die Indikation für Herztransplantation zu stellen. Aarons gute Lebensqualität vor der Verschlechterung der Herzfunktion sowie die gute Compliance der Familie trugen ebenfalls zur Entscheidung bei. „Wir haben schließlich auch Verantwortung für das gespendete Organ und bei Familie Fuchs konnten wir ganz sicher sein, dass sie alle therapeutischen Maßnahmen exakt einhalten“, sagt Odri Komazec.
Herz-Transplantation
Anfang Februar 2021 wurde Aaron transplantiert – eine Entscheidung, der seine Eltern ohne Zögern zustimmten, da ihnen mitgeteilt wurde, dass wahrscheinlich nur eine Herztransplantation Aarons Leben verlängern würde. „Es ging ihm zu diesem Zeitpunkt wirklich sehr schlecht.“ Zum Zeitpunkt des Interviews Ende August 2021 konnte Aaron bereits mit seinem Vater eine Tour mit dem E-Bike unternehmen. „Es geht ihm gut, auch ein dreiwöchiger Rehabilitationsaufenthalt hat sich günstig auf seine Leistungsfähigkeit ausgewirkt“, berichtet Aarons Mutter. Alleine beim 6-Minuten-Gehtest stieg Aarons Leistung innerhalb der 3 Wochen um 100 Meter.
Zu den bisher 32 Tabletten für die Behandlung der Stoffwechselerkrankung kommen nun weitere 23 für das Herz bzw. zur Immunsuppression dazu. Wöchentliche Blutspiegelkontrollen erfolgen bei einem niedergelassenen Pädiater in Lienz, der enge Kontakt mit der Klinik in Innsbruck ist jedoch nach wie vor gegeben. Neben der Compliance und dem engen Kontakt der Familie zur Klinik ist für Odri Komazec das hervorragende Teamwork zwischen allen involvierten Fachdisziplinen ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Therapie. „Jedes Glied in der Kette steht absolut dahinter.“
Üblicherweise werden Kinder mit Propionazidämie mit Spezialnahrung ernährt. In Abstimmung mit Stoffwechsel-Spezialistin Ao.Univ.-Prof. Dr. Daniela Karall wurde es Aaron allerdings bald weitgehend selbst überlassen, seine Ernährung gewissermaßen zu steuern, sodass er wenn auch geringe Mengen an natürlichem Eiweiß zu sich nehmen kann. Aaron isst fast ausschließlich Kohlenhydrat- und Fetthaltige Lebensmittel, etwa eine Semmel mit Mayonnaise oder bestimmte Sorten Gemüse. „Wir haben uns bemüht, niemals Druck auszuüben, wenn er etwa wegen starkem Brechreiz gerade nichts essen konnte“, schildert Fuchs weiter. Ihre detaillierten Ernährungsprotokolle bestätigen, dass der eingeschlagene Weg stimmt.
Fakten-Check: Propionazidämie
Die Propionazidämie (PA) ist eine Organische Azidurie mit fehlender Aktivität der Propionyl- Coenzym A(CoA)-Carboxylase. Kennzeichnend sind lebensbedrohliche Krisen durch Stoffwechselentgleisung, neurologische Ausfälle und Kardiomyopathie. Ursache der PA sind Mutationen entweder im PCCA-Gen (13q32) oder im PCCB-Gen (3q21-q22). Zu den Komplikationen gehören Intellektuelle Beeinträchtigung, Optikusneuropathie, Kardiomyopathie, Long QT-Syndrom, Pankreatitis, Dermatitis und Immundefekte.
Österreich ist eines der wenigen Länder, in denen die PA bereits im Neugeborenenscreening erfasst wird. „In Ländern ohne ein solches erweitertes Screening dauert es dagegen oft lange, bis bei Säuglingen mit Symptomen wie Erbrechen, Durchfall oder Krampfanfällen die Diagnose gestellt wird“, betont Kinderärztin und Kinder-Kardiologin Dr. Irena Odri Komazec. Zentrales Ziel der Behandlung in einer Stoffwechselkrise ist die Umkehr des Katabolismus unter anderem durch vorübergehende Senkung der üblichen Proteinzufuhr und Zufuhr von Nichtprotein-Kalorien über i.v.-Infusionen. Unerlässlich für die Langzeittherapie ist eine protein-reduzierte Ernährung.
Quelle: Orpha.net
Serie: Die Gesichter Seltener Erkrankungen
Seltene Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und bestmöglich zu behandeln bzw. zu managen gehört zu den größten Herausforderungen der Medizin im dritten Jahrtausend. Mitunter sind es vielleicht nur zehn, zwölf Menschen in Österreich mit derselben Diagnose, die oft erst nach jahrelangen Wegen durch Ordinationen und Ambulanzen wissen, woran sie tatsächlich leiden. Die Diagnose erhielten sie meist von engagierten Ärztinnen und Ärzten, die auf den richtigen Pfad kamen und sich um Therapie und Management bemühen.
In der neuen medonline-Serie in Kooperation mit dem Referat für Seltene Erkrankungen der Ärztekammer Wien wollen wir die Gesichter Seltener Erkrankungen vorstellen mit dem Ziel, das Bewusstsein dafür zu stärken: Seltene Erkrankungen sind zwar selten, aber es gibt sie! Mitunter sind sie aber viel zu wenig bekannt. Wir stellen Ihnen daher engagierte Ärztinnen und Ärzte und ihre Patientinnen und Patienten bzw. deren Eltern vor. Ihre Erfahrungen sollen dazu beitragen, Seltene Krankheiten besser bekannt zu machen und vielleicht rascher zur richtigen Diagnose und zur bestmöglichen Behandlung zu kommen.
Mag. Christina Lechner (Koordinierende Redakteurin) & Mag. Ulrike Krestel (Redaktionsleitung medonline) mit Dr. Christoph Buchta (Ärztekammer Wien/Referat für Seltene Erkrankungen)
In Kooperation mit der Ärztekammer Wien
Referat für Seltene Erkrankungen