Bipolare Störung: In affektiver Episode für Sicherheit sorgen
Bis zur Diagnose einer bipolaren Erkrankung und der effektiven Pharmakotherapie ist es oft ein langer Weg. Neben der Akutbehandlung ist die Erhaltungstherapie entscheidend. Denn die Betroffenen haben ein lebenslanges Risiko, erneut an einer Manie oder Depression zu erkranken.
Der eine oder andere hat sicher schon einmal an sich beobachten können, wie er sowohl die Höhen einer Ekstase als auch die Tiefen einer Melancholie durchlebt und vielleicht sogar „genossen“ hat. Solche Stimmungsschwankungen gehören zum Leben dazu und machen manchmal dessen den Reiz aus. Mit den Depressionen und Manien, die Menschen mit bipolarer Störung durchleben müssen, hat das jedoch nichts zu tun. Für sie ist dieser extreme Gegensatz mehr als Pathos.
Wiederkehrende Wechsel von (Hypo-)Manien und Depressionen zeichnen das Bild der bipolaren Störung. Haben Betroffene zumindest eine vollständige, d.h. die normale soziale und berufliche Funktion störende, manische Episode und zusätzliche depressive Episoden erlebt, wird die Diagnose der bipolaren Störung vom Typ 1 gestellt. Dominiert hingegen die Depression und kommt es „nur“ zu hypomanen Phasen, handelt es sich um den Typ 2. Als Drittes nennen der Psychiater Prof. Dr. Andre F. Carvalho von der University of Toronto und Kollegen die Zyklothymia, bei der sich hypomane und depressive Perioden abwechseln. Im Gegensatz zu einer bipolaren affektiven Störung sind die Symptome deutlich schwächer ausgeprägt.
Der Leidensdruck mit einer bipolaren Störung ist immens. Zudem müssen die Betroffenen meist noch mit weiteren Erkrankungen klarkommen, psychischen wie körperlichen. Fast drei Viertel der Patienten sind mit begleitenden Ängsten konfrontiert, über die Hälfte muss sich mit Substanzmissbrauch herumschlagen, und mehr als jeder Dritte von ihnen bekommt zusätzlich die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung gestellt. Körperlich dominieren das metabolische Syndrom (37%), Migräne (35%), Übergewicht (21%) und der Typ-2-Diabetes (14%).
In der Regel entwickelt sich eine bipolare Störung um den 20. Geburtstag herum. Die Kranken geraten in eine erste Depression, die deutlich länger anhält als die manischen oder hypomanischen Episoden. Häufig wird dann fälschlicherweise eine Major Depression diagnostiziert. Bis zu 15 % der vermeintlich depressiven Patienten in US-amerikanischen Hausarztpraxen sind einer Studie zufolge tatsächlich an einer bipolaren Störung erkrankt.Die Weltgesundheitsorganisation gibt für die psychische Störung eine Lebenszeitprävalenz von 2,4% an.
Medikamente allein genügen nicht
Hausärzte haben es vermutlich häufiger mit bipolaren Patienten zu tun. Beispielsweise liefert fast jeder zehnte New Yorker einen positiven Screeningtest ab. Schon aus diesem Grund ist es so wichtig, dass Hausärzte die Zeichen dieser Störung erkennen und eine Behandlung zügig einleiten, schreiben die Psychiater.
Es besteht Konsens, dass eine bipolare Störung medikamentös behandelt wird. Jedoch erinnern die Autoren daran, dass jeder Patient ein individuelles Muster an Symptomen und Begleiterscheinungen zeigt. Der Medikationsplan sollte das widerspiegeln und unbedingt mit psychosozialen und psychotherapeutischen Interventionen kombiniert werden.
Steckt ein Patient in einer akuten affektiven Episode, muss – wegen erhöhter Suizidgefahr – unbedingt für seine Sicherheit gesorgt werden. Viele der Kranken werden aggressiv, sich selbst oder anderen gegenüber. Therapeutisch kommen Stimmungsstabilisierer zum Einsatz, allen voran Lithiumsalze.
Sprechen die Betroffenen nicht binnen ein bis zwei Wochen darauf an, lässt sich z.B. auf Antikonvulsiva wie Carbamazepin oder Lamotrigin wechseln. Meistens muss jedoch mit atypischen Antipsychotika kombiniert werden, etwa mit Risperidon, Olanzapin oder Aripiprazol.
Bei akuten depressiven Episoden hängt stets die Gefahr eines Abrutschens in die Manie wie ein Damoklesschwert über dem Patienten. Die Autoren halten eine Therapie mit Quetiapin sowie die Kombination aus Olanzapin und Fluoxetin für zuverlässig.
Himmelhoch jauchzend
Eine manische Episode belastet die Betroffenen und ihr Umfeld mit einer Fülle von Symptomen.
Allen gemein ist die Übersteigerung: Größenwahn, Redseligkeit, unverhältnismäßige Geselligkeit, Irrationalität. Es wird viel Geld ausgegeben, immerzu muss etwas passieren, wenige Stunden Schlaf reichen.
Bis zu drei Viertel der Erkrankten berichten von psychotischen Symptomen wie Halluzinationen.
Lithiumtherapie trotz Nebenwirkungen essenziell
Mit der Behandlung der akuten Phasen alleine ist es noch nicht getan. Um den erreichten stabilen Zustand der Patienten zu erhalten und Rückfälle zu vermeiden, muss eine Erhaltungstherapie folgen. Trotz der Nebenwirkungen – beschrieben sind etwa ein feinschlägiger Tremor, Polyurie und Polydipsie sowie Nierenschäden – gilt Lithium als Arzneimittel der Wahl. Bis dato konnte nur für diese Medikamente ein antisuizidaler Effekt bei bipolaren Störungen gezeigt werden. Angesichts einer Selbsttötungsrate von 6–7% der Betroffenen kein unwesentlicher Aspekt.
Carvalho AF et al. N Engl J Med 2020; 383: 58–66; doi: 10.1056/NEJMra1906193
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