Fragen Sie das Arzneimittelregister!

Bis 31. Dezember 2020 müssen Pharmaunternehmen barrierefreie Online-Versionen ihrer Gebrauchsinformationen bereitstellen. Was dabei auf sie zukommt, erzählt Medical Affairs Managerin Eva Bauer, MSc. 

 

Frau Bauer, bis 31. Dezember müssen Gebrauchsinformationen auf barrierefreie Online-Versionen umgestellt werden. Was ist der Anlass?

In einem Schlichtungsverfahren gemäß Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz wurde festgestellt, dass ein Großteil der im Arzneispezialitätenregister des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) veröffentlichten Gebrauchsinformationen nicht barrierefrei zugänglich war. Bis 31. Dezember 2020 müssen nun alle Gebrauchsinformationen im Arzneispezialitätenregister barrierefrei abrufbar sein. Um das zu gewährleisten, sind alle, die es betrifft, also Inhaber österreichischer Zulassungen, Registrierungen bzw. Genehmigungen zum Parallelimport, verpflichtet, bis zum Stichtag barrierefreie Versionen ihrer Gebrauchsinformationen für das BASG bereitzustellen.

Hat es vorab Bedarfserhebungen gegeben?

Laut einer Broschüre von „Digitales Österreich“ ist eine Barrierefreiheit für zehn Prozent der Bevölkerung essenziell und für 40 Prozent der Bevölkerung notwendig. Komfortabel ist die Barrierefreiheit allerdings für die gesamte Bevölkerung, denn jeder kann von einem hindernisfreien Umfeld profitieren. Die Idee dahinter nennt sich „Design For All“, d.h. alle Produkte sollten grundsätzlich für alle Nutzer ohne zusätzliche Anpassungen verwendbar sein.

Welche Maßnahmen für welche Zielgruppen sind notwendig?

Die Barrierefreiheit von Gebrauchsinformationen garantiert das reibungslose Arbeiten von Screenreadern, also Programmen, die Text vorlesen. Damit soll sie alle potenziellen Zielgruppen bedienen. Primär wird man natürlich an Personen mit eingeschränktem Sehvermögen wie Blinde und Sehbehinderte, aber auch farbenblinde Personen denken. Es könnten aber beispielsweise auch Menschen mit Leseschwäche davon profitieren.

Und welche Merkmale machen Gebrauchsinformationen barrierefrei?

Eva Bauer, MSc, studierte Biomedizin und Biotechnologie in Wien und war mehrere Jahre international in der Forschung aktiv. Seit Juni 2016 ist sie als Medical Writer und Medical Affairs Manager bei DRE HM Pharma GmbH tätig. Das Unternehmen bietet Beratung und Dienstleistungen für die Pharma- und Lebensmittelbranche.

Barrierefreie Texte unterscheiden sich von normalen Texten hauptsächlich durch ihre elektronische Formatierung, genauer gesagt, in Überschriftenstruktur und Gliederung des Inhalts. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die inhaltliche Textgestaltung in Form von einfachen Tabellen und Listen sowie Alternativtexten zu Symbolen und Abbildungen. Alternativtexte beschreiben den Inhalt eines Symbols oder Bildes für sehbeeinträchtigte Personen, und werden ebenfalls vom Screenreader vorgelesen. Wesentlich ist hier, die Bedeutung eines Symbols bekannt zu geben. Ein Beispiel ist das „schwarze Dreieck“, das in Gebrauchsinformationen darauf hinweist, wenn ein Arzneimittel einer zusätzlichen Überwachung unterliegt.

Der Alternativtext „schwarzes Dreieck“ alleine wäre für Personen mit eingeschränktem Sehvermögen nicht aussagekräftig, während der Alternativtext „Symbol: Achtung“ die Bedeutung des Symbols eindeutig beschreibt. Die Mindestanforderung dabei ist, dass das Dokument bei – auch technischer – Prüfung barrierefrei ist. Die Verantwortung dafür liegt beim Inhaber der Zulassung, Registrierung bzw. Genehmigung zum Parallelimport und wird vom BASG nicht mehr nachkontrolliert.

Apropos Zulasser: Was erwartet die Regulatory Affairs Manager der Pharmaunternehmen nun?

Die Gebrauchsinformationen aller im österreichischen Arzneispezialitätenregister vorhandenen Produkte müssen in MS Word umformatiert werden. Auf der BASG Homepage findet man entsprechende Vorlagen als Hilfestellung. Am Ende wird die Datei in ein spezielles PDF-Format gebracht, geprüft und eingereicht. Nach Ersterstellung ergibt das für die Regulatory Affairs Manager kaum Mehraufwand. Die Umstellung von bestehenden Gebrauchsinformationen kann im Lifecycle vorgenommen werden. Es empfiehlt sich, die Gebrauchsinformation per se als barrierefreies Dokument zu führen, und je nach Bedarf in das gewünschte PDF-Format zu bringen.

Welche Vorlaufzeit benötigen Pharmaunternehmen mindestens? Haben Sie eine Empfehlung, wann man spätestens mit der Umstellung beginnen sollte?

Wie gesagt, Frist ist der 31. Dezember 2020. Pauschal kann man zur Vorlaufzeit keine genaue Angabe machen. Die eigentliche Umformatierung der bestehenden Dokumente ist recht schnell erledigt, sobald sich eine Routine etabliert hat. Wie lange es tatsächlich dauert, hängt vom Umfang der Gebrauchsinformationen und der internen Prozesse sowie vom Lifecycle des Arzneimittels, insbesondere dem textrelevanten Lifecycle, ab.

Wird diese Umstellung Auswirkungen auf die Pharmakovigilanz haben, z.B. mehr Meldungen?

Das ist schwierig zu beantworten. Einerseits wäre es denkbar, dass Personen, die früher für die Meldung von Nebenwirkungen vom Arzt oder Apotheker abhängig waren, jetzt eher den Mut fassen, das selbst zu tun. Andererseits ist das natürlich auch davon abhängig, wie verankert das Arzneispezialitätenregister in den Köpfen der Bevölkerung ist und ob auch tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Im Grunde ist es aber eine Erweiterung der Zielgruppe, es könnte also durchaus passieren, dass es zu mehr Nebenwirkungsmeldungen kommt.

Was haben Apotheker von der Umstellung zu erwarten?

Durch die Barrierefreiheit ändern sich nur die auf der Behörden-Website verfügbaren Dokumente, die der Packung beigelegte Gebrauchsinformation bleibt inhaltlich unverändert. Manche Personen waren bisher davon abhängig, dass medizinisches Fachpersonal sie mit dem entsprechenden Wissen über ein Arzneimittel versorgt. Durch die barrierefreien Online-Versionen der Gebrauchsinformation haben diese Menschen dann auch die Möglichkeit, sich die Informationen selbst einzuholen. Ein mögliches Szenario wäre also, dass Apotheker der Zielgruppe weniger häufig Auskunft über ein Arzneimittel geben müssen bzw. im Gegenzug gezielt auf die Online-Verfügbarkeit der barrierefreien Gebrauchsinformation hinweisen.

Danke für das Gespräch.