11. Mai 2021Guter Draht zum Senior

Älteren mit akutem Koronarsyndrom den Stent nicht vorenthalten

Das EKG mit Ableitung an den Extremitäten (l.) und an der Brustwand (r.) zeigt einen STEMI.

Betagte Patienten mit akutem Koronarsyndrom erhalten oft keine interventionelle Therapie – wegen Begleiterkrankungen oder eines erhöhten Blutungsrisikos. Dabei gibt es inzwischen genügend Evidenz dafür, dass gerade diese Gruppe von der Revaskularisierung profitiert.

Schon jetzt sind 40% der Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom (ACS) über 75 Jahre alt, Tendenz steigend. Komorbiditäten sowie das größere Risiko für Komplikationen lassen viele Ärzte vor einer interventionellen Behandlung der Älteren zurückschrecken. Für Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) im Alter über 75 Jahre zeigt aber eine Metaanalyse eine klare Überlegenheit der perkutanen Koronarintervention (PCI) mit Stentimplantation gegenüber der Lysetherapie. Demgemäß konstatieren die europäischen Leitlinien, dass es für die PCI bei STEMI keine Altersbeschränkung gibt. Betroffene sollte man primär interventionell behandeln, wenn dies innerhalb von zwei Stunden nach dem ersten Arztkontakt möglich ist.

Ein Jahr Acetylsalicylsäure plus Ticagrelor

Anschließend wird für Patienten ohne oralen Antikoagulationsbedarf eine zwölfmonatige duale Plättchenhemmung (DAPT) angeraten. Sie erfolgt vorzugsweise mit einer Kombination von Acetylsalicylsäure (75–100 mg/d) und einem P2Y12-Inhibitor. Als Mittel der Wahl gilt Ticagrelor, schreiben Dr. Luise Gaede von der Medizin 2 am Universitätsklinik Erlangen und Prof. Dr. Helge Möllmann, Klinik für Innere Medizin I am St.-Johannes-Hospital Dortmund. Für Prasugrel besteht ab einem Alter von 75 Jahren keine Empfehlung mehr, es kann aber bei Unverträglichkeiten von anderen P2Y12-Hemmern in niedrigerer Dosierung (5 mg/d) eine Option bieten.

Wegen der erhöhten gastrointestinalen Blutungsgefahr sollten alte Patienten zusätzlich einen Protonenpumpenhemmer einnehmen. Bei einem besonders hohen Hämorrhagie-Risiko kann die DAPT verkürzt werden. Eine Studie zur Umstellung auf eine Monotherapie mit Ticagrelor nach drei Monaten ergab ein geringeres Blutungsrisiko ohne vermehrte ischämische Ereignisse.

Immer mehr alte Menschen leiden an einem Herzinfarkt ohne erkennbare ST-Hebung (NSTEMI). Dabei gibt die häufig atypische Präsentation Anlass zu Fehldiagnosen und verzögerter Therapie. So findet sich das Leitsymptom Brustschmerz nur bei etwa 40 % der über 85-Jährigen. Viele Senioren klagen stattdessen über Luftnot. Synkopen oder Übelkeit bzw. Erbrechen deuten ebenfalls häufig auf einen NSTEMI hin. Mitunter ist sogar eine neu aufgetretene Verwirrtheit das erste Zeichen des akuten Koronarsyndroms.

Die mediale rechte Herzkranzarterie ist durch einen Thrombus verschlossen.

Nach einer Ballondilatation (l.) und Stenteinlage ist das Gefäß wieder frei (r.).

Invasives Vorgehen senkt die Mortalität signifikant

Die Troponin-Erhöhung zählt zu den wichtigsten Säulen in der Diagnostik des NSTEMI. Der Nachweis ist auch im Alter sehr sensitiv, aber wesentlich weniger spezifisch als bei jüngeren Patienten. Je nach Testverfahren weisen mehr als die Hälfte der über 75-Jährigen auch ohne ACS gesteigerte Werte auf. Zudem können zahlreiche nichtkardiale Erkrankungen den Spiegel anheben (s. Tabelle). Die Interpretation hängt deshalb entscheidend von der klinischen Einschätzung ab. Außerdem hilft die zeitliche Dynamik: Eine akute Ischämie des Myokards sollte zu einem signifikanten Anstieg führen. Ein (fast) stabiler Wert spricht gegen ein ACS.

Über 75-Jährige mit NSTEMI profitieren ebenfalls von einer Koronarangiografie und – wenn erforderlich – einer Revaskularisierung mittels Stent. Registerdaten zufolge senkt das invasive Vorgehen die Mortalität signifikant (6,0% vs. 12,5%).

Sogar über 90-jährige Patienten haben noch einen Benefit von der Herzkatheteruntersuchung, betonen die Autoren. Die Hochbetagten neigen zwar verstärkt zu Blutungen, aber auch in diesem Kollektiv lässt sich die Sterblichkeit durch eine Koronarintervention deutlich reduzieren. Die neuen europäischen Leitlinien zum NSTEMI weisen deshalb explizit darauf hin, dass das Alter allein noch keinen Grund für eine rein konservative Behandlung darstellt. Maßgebliche Bedeutung haben Lebenserwartung, Lebensqualität, Begleiterkrankungen und natürlich der Wunsch des Patienten.

Was hinter einem erhöhten Troponinwert stecken kann

kardial
nicht kardial
- Myokardinfarkt
- Tachyarrhythmia absoluta
- Herzinsuffizienz
- Myokarditis
- hypertensive Entgleisung
- Tako-Tsubo-Kardiomyopathie
- strukturelle Herzerkrankungen
- Lungenembolie
- Schlaganfall
- Aortendissketion
- zerebrale Blutung
- Rhabdomyolyse
- Niereninsuffizienz
- Hypo-/Hyperparathyreoidismus
- Critical Care Illness (z.B. Sepsis, Schock)

Triple-Therapie spätestens nach einer Woche beenden

Grundsätzlich kommt eine Koronarintervention nur in Betracht, wenn die nachfolgende antithrombozytäre Behandlung möglich ist. Eine Triple-Therapie sollte wegen der erhöhten Blutungsgefahr spätestens eine Woche nach der PCI beendet werden, Ausnahme: Patienten mit besonders hohem Ischämierisiko, wie etwa einer Stent-Thrombose. In der Kombi mit der oralen Antikoagulation gilt für die Plättchenhemmung Clopidogrel als Mittel der Wahl, Prasugrel und Ticagrelor sind kontraindiziert. Nach einem Jahr Clopidogrel plus NOAK darf man sich bei ACS-Patienten generell auf die orale Antikoagulation beschränken.

Ein typischer Fall

  • Ein 88-jähriger Patient leidet seit einer halben Stunde an Brustschmerzen und zeigt deutliche ST-Hebungen im EKG (s. Abb. unten).
  • kardiale Risikofaktoren: Hypertonie
  • Vorerkrankungen: Z.n. Prostatakarzinom (2001), Hüft-TEP beidseits (2002/2005), Z.n. Magenulkus (2010)
  • Therapie: Erfolgreiche Rekanalisation der thrombotisch verschlossenen rechten Koronararterie mit Ballondilatation und Stentimplantation
  • Medikation bei Entlassung: ASS 100 mg, Ticagrelor 2 × 90 mg (für 12 Monate), Pantoprazol 40 mg (für zunächst 12 Monate), Atorvastatin 40 mg, Ramipril 2 × 5 mg

Quelle Text und Abb.: Gaede L, Möllmann H. „Der alte Patient mit akutem Koronarsyndrom”, Dtsch Med Wochenschr 2021; 146: 48–57; doi: 10.1055/a-1212-9393.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune