11. Jän. 2024Pathologischer Umgang mit Sonnenlicht

ÖGDV: Zwischen Dermatologie und Psychiatrie

Dermatologische Symptome und Komplikationen primär psychiatrischer Erkrankungen treten in vielfältiger Form auf. Unter anderem kann das Verhältnis zum Sonnenlicht betroffen sein. Das Spektrum der möglichen Zustandsbilder reicht von der „Bräunungssucht“ als Suchterkrankung mit körperlichen Entzugssymptomen bis zum idiopathischen Lichtschmerz, der Sonneneinstrahlung unerträglich werden lässt.

Sfondo astratto soleggiato di estate di natura con il sole splen
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Sonnenlicht ist für die physische und körperliche Gesundheit unverzichtbar. Allerdings kann das menschliche Verhältnis zur Sonne auch (psycho)pathologische Züge annehmen, wie Prof. Dr. Piergiacomo Calzavara-Pinton von der Università degli Studi di Brescia ausführt. Dies ist beispielsweise bei einem als Tanorexie bezeichneten Syndrom der Fall. Betroffene werden im medizinischen Sinne süchtig auf Sonnenbaden – mit schweren Konsequenzen für die Gesundheit, bis hin zum frühen Tod. Diese „Bräunungssucht“ dürfte kein rein kulturelles Phänomen sein, sondern eine pathophysiologische Basis haben und in Zusammenhang mit einer UV-induzierten Produktion von Beta-Endorphinen in der Epidermis stehen. Tanorexie ist mit einer Vielzahl psychiatrischer Zustandsbilder assoziiert und kann ein Indikator für eine Zwangsstörung, Depression, Anorexie, eine Störung der Impulskontrolle oder eine saisonale affektive Störung sein.1 Tanorexie ist nicht selten und bedeutet körperliche Abhängigkeit vom Sonnenbaden, wie Calzavara-Pinton betont, der auch darauf hinweist, dass bei den Betroffenen häufig eine Assoziation mit Substanzabusus, verstärktem Konsum von Alkohol, Nikotin und illegalen Drogen sowie in vielen Fällen eine Angstsymptomatik auffallen.2 Typisches Entzugssymptom ist Agitation, die sich in gereiztem Verhalten und beispielsweise Partnerkonflikten äußert.3 Der maximale Schaden entsteht, wenn sich die Tanorexie zu einem TANS-Syndrom (Tanorexie, Anorexie, weißer Hautkrebs) entwickelt. In der Literatur werden Fälle von Betroffenen beschrieben, die trotz multipler Plattenepithelkarzinome zu keinerlei Verhaltensänderungen bereit sind und den Tod einer Behandlung und Verhaltensänderung vorziehen.4

Lichtschmerz: Sonnenlicht wird unerträglich

Auf der anderen Seite des Spektrums pathologischen Umgangs mit der Sonne stehen Menschen, die Sonnenlicht fürchten. Ein Grund dafür können ausgeprägte Schmerzen bereits nach kurzer Sonnenexposition sein, die so schwerwiegend sein können, dass die Betroffenen bei Tag nicht das Haus verlassen. Calzavara-Pinton berichtet von Patientinnen und Patienten an seinem Zentrum, die Termine ausschließlich am frühen Morgen wahrnehmen können, weil sie später das Tageslicht nicht mehr ertragen. In vielen Fällen bestehen zusätzlich zu den Schmerzen auch Begleitsymptome wie Fatigue, Schüttelfrost und leichtes Fieber; in manchen Fällen treten Synkopen auf, die durchaus gefährlich sein können, wenn sie sich beispielsweise im Straßenverkehr ereignen. Die Symptome begannen unmittelbar nach Beginn der Exposition und hielten einige Stunden nach Ende der Exposition an. Der Schmerz wird als brennend beschrieben. Sonnenschutz hatte keine präventive Wirkung. Morphologisch fiel allenfalls ein leichtes Erythem auf, manche Betroffene zeigten bizarre, jedoch mit dem freien Auge kaum sichtbare Läsionen, die zu keinem bisher beschriebenen Krankheitsbild passen. In den meisten Fällen waren allerdings überhaupt keine Hautmanifestationen zu sehen. Das Auftreten sichtbarer Hautveränderungen korreliert nicht mit der Schwere der Symptome. Das Bild entspricht keiner der bekannten Photodermatosen, so Calzavara-Pinton, und passt auch nicht in die Gruppe der photoaggravierten Dermatosen, also Hauterkrankungen, die sich bei Sonnenbestrahlung verschlimmern. Die Patientinnen und Patienten gaben auch keine Einnahme von Substanzen an, die die Lichtempfindlichkeit erhöhen können. Man habe zunächst geglaubt, es mit einer Form der Porphyrie zu tun zu haben, berichtet Calzavara-Pinton. Das Labor lieferte jedoch keinerlei Hinweise in diese Richtung.

Die betroffenen Personen wurden mit UVA und UVB auf Photosensitivität getestet. Calzavara-Pinton berichtet, dass die dabei festgestellte minimale Erythemdosis (MED) durch das gesamte Lichtspektrum unauffällig war. Allerdings traten bereits bei Dosen unterhalb der MED Symptome auf, die nicht auf die bestrahlten Hautareale beschränkt blieben, sondern in die Umgebung ausstrahlten. Eine Vermittlung über die Augen war ausgeschlossen, da einer der Patienten blind war. Photo-Hardening nach dem bei der Lichturtikaria eingesetzten Protokoll wurde mit einer einzigen Ausnahme von den Betroffenen nicht vertragen.

Häufige Assoziation mit Fibromyalgie und Depression

Im weiteren Follow-up der Patientinnen und Patienten wurden in vielen Fällen Fibromyalgie und/oder psychiatrische Erkrankungen (zumeist Depression) diagnostiziert und mit unterschiedlichen Substanzen medikamentös behandelt, womit es auch zu einer Verbesserung der Schmerzsymptomatik kam. Insbesondere Pregabalin und Duloxetin erwiesen sich als hilfreich, so Calzavara-Pinton.

Eine Literatursuche ergab Parallelen mit 2 bereits vor langer Zeit beschriebenen Zustandsbildern nämlich der Gesichts-Dysästhesie und dem zuweilen als schwerwiegende Komplikation der PUVA-Therapie (Psoralen plus UV-A) beobachteten PUVA-Schmerz5, der über das Absetzen der Therapie hinaus persistieren kann und schlecht auf Schmerzbehandlung anspricht. Auf Basis dieser Befunde entwickelten Calzavara-Pinton und seine Gruppe die Theorie, dass es sich beim Lichtschmerz um eine Form der Allodynie handelt, also um Schmerz, der durch einen üblicherweise unbedenklichen Stimulus ausgelöst wird. Ein Modell einer durch UV-B ausgelösten Allodynie wurde publiziert.6 Mittlerweile wurden neben der peripheren Sensibilisierung auch maladaptive zentrale Veränderungen als ursächlich für die Entwicklung einer Allodynie identifiziert. Auch die beim Lichtschmerz beobachtete Assoziation mit Depression und Fibromyalgie passt in dieses Bild. Da dermatologische Therapieversuche wenig erfolgversprechend sind, empfiehlt Calzavara-Pinton, Patientinnen und Patienten mit Lichtschmerz einem Psychiater bzw. einer Psychiaterin vorzustellen.

Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV), Vortrag „Idiopathic Sun Pain“, Salzburg, 30.11.2023