Musiker:innen erreichen kritische Schallpegel schon beim individuellen Üben
Für Musiker:innen und andere Menschen, die von Berufs wegen auf ein vollkommenes Gehör angewiesen sind, kann bereits ein geringer Hörverlust das Ende der Karriere bedeuten. Das macht die spezielle Prävention, Diagnostik und Therapie von Ohrerkrankungen und insbesondere von Hörstörungen für diese Personen so wichtig.
Der bedeutendste beeinflussbare Risikofaktor für eine Schwerhörigkeit bei Berufsmusiker:innen ist der Lärm. Gleiches gilt für Instrumentenbauer:innen, Klavierstimmer:innen und Sonar-Techniker:innen, aber auch für Tonmeister:innen, Logopäd:innen und Ornitholog:innen, schreibt ein Autor:innenteam um DDr. David Bächinger vom Universitätsspital Zürich. Übermäßiger Lärm schädigt bereits nach wenigen Stunden die Haarzellen, was die permanente Anhebung der Hörschwelle zur Folge hat. Außerdem weiß man inzwischen, dass schon kurzzeitiger Krach zwar keinen Haarzellschaden zur Folge hat, sehr wohl aber den Hörnerv beeinträchtigen kann.
Bereits unverstärkte Musik beim individuellen Üben oder beim Stimmen eines Instruments kann kritische Schallpegel aufweisen. Ein Gehörschutz wird in Orchestern aber kaum getragen – nicht nur wegen des eingeschränkten Höreindrucks, sondern auch aufgrund des vermeintlichen Stigmas des von außen erkennbaren Schutzes. Außerdem unterschätzen viele Musiker schlichtweg die Lautstärke.
Aktive Systeme ähneln Hörgeräten
Aufgrund des günstigeren Schalldämpfungsprofils und des besseren Tragekomforts empfehlen die Expert:innen primär individuell angepasste Gehörschutz-Otoplastiken. Inzwischen gibt es auch aktive Systeme, die bei unverstärkter Musik zusätzlich zur passiven Protektion wie ein Hörgerät mit Mikrofon, Prozessor und Lautsprecher ausgestattet sind. Bei verstärkter Musik lässt sich solch ein Apparat zusätzlich mit einem In-Ohr-Monitor verbinden.
Neben dem Krach zählen ototoxische Pharmaka zu den häufigsten Ursachen für eine sensorineurale Schwerhörigkeit. Mehr als 100 ohrschädigende und teils frei verkäufliche Wirkstoffe sind bekannt, darunter Aminoglykoside, Zytostatika, Salicylate, verschiedene NSAR, Schleifendiuretika und Anti-Malaria-Mittel. Auch das Tabakrauchen ist mit einem erhöhten Risiko für Hörverlust und Tinnitus verbunden. Außerdem sollten Menschen, die auf gutes Hören angewiesen sind, bei der Arbeit auf Alkohol verzichten, da dieser das Hörvermögen vorübergehend stark beeinträchtigt. Günstig wirkt sich hingegen die optimale Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Hyperlipidämie, Diabetes und Adipositas aus.
Zum Hörscreening und für die rechtzeitige Diagnostik empfehlen die Autor:innen eine audiometrische Untersuchung zu Beginn der Ausbildung beziehungsweise beim Start in den Beruf. Später ist eine regelmäßige Kontrolle der Hörfähigkeit alle ein bis zwei Jahre ratsam. Außerdem sollte der Kontakt zu einer HNO-ärztlichen Anlaufstelle vermittelt werden, wo man Erfahrung mit Berufstätigen hat, die in besonderer Weise auf ein vollkommen intaktes Gehör angewiesen sind.
Eine oft gestellte Frage betrifft die korrekte Reinigung des Gehörgangs. Eine solche ist nicht prinzipiell notwendig, kann aber falsch durchgeführt das Hörvermögen erheblich mindern. Falls etwa durch den Einsatz eines Gehörschutzes oder durch Einsteckkopfhörer vermehrt Cerumen entsteht, empfehlen die Autor:innen das selbstständige Spülen mit lauwarmem Wasser und Cerumenolytika wie 3-prozentiger Wasserstoffperoxid-Lösung. Letztere wirkt zusätzlich desinfizierend. Wattestäbchen, Haarnadeln und sogenannte Ohrkerzen, mit denen man sich selbst das Ohr putzt, sind tabu.
Die Hörrehabilitation bei chronischer sensorineuraler Hypakusis erfolgt durch Hörgeräte. Diese sollten bereits bei leichter Beeinträchtigung verordnet und durch einen spezialisierten Hörgeräteakustiker angepasst werden. So lässt sich auch für Musiker:innen und andere Personen, die von Berufs wegen auf sehr gute Hörfähigkeit angewiesen sind, ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielen.
Gefangen im Teufelskreis
Eine wichtige Differenzialdiagnose bei Hörbeschwerden, für die sich keine organische Ursache finden lässt, sind funktionelle Ohrerkrankungen. Diese Störungen können sich in jeglicher Änderung des Hörvermögens äußern, etwa als Hörverlust, Ohrdruck oder als Tinnitus. Zu Beginn besteht gelegentlich eine objektiv feststellbare Veränderung, die vom Patienten/der Patientin, der/die um sein perfektes Gehör bangt, übersteigert wahrgenommen und psychisch verstärkt wird.
Oft lässt sich dieser Teufelskeis schon mit einer verständnisvollen und informativen Aufklärung über die Ursache der Erkrankung und die Zusammenhänge unterbrechen. In schweren Fällen ist Psychotherapie erforderlich.
Mit leichten Infekten darf weiter musiziert werden
Eine kurzzeitig bestehende obstruktive Tubenventilationsstörung ist zwar ungefährlich, kann aber Symptome wie Schwerhörigkeit, Ohrdruck und Tinnitus nach sich ziehen. Therapeutisch empfehlen die Autor:innen primär das Valsalva-Manöver. Bei einer Flugreise sollten Patient:innen während des Starts und der Landung regelmäßig gähnen, schlucken und kauen, um die Tubenöffnung zu erleichtern. Zur medikamentösen Behandlung eignet sich z.B. orales Phenylephrin. Abschwellende Nasentropfen wirken in der Akuttherapie kaum.
Mit chirurgischen Interventionen sollte man bei Patient:innen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit auf ein hochleistungsfähiges Gehör angewiesen sind, sehr vorsichtig sein. Denn schon kleine Trommelfelldefekte können zum Hörverlust führen. Bei chronisch gestörter Tubenventilation ist bei diesen Personen nach Ansicht der Expert:innen die Ballondilatation der Eustachischen Röhre der Einlage eines Paukenröhrchens vorzuziehen. Leichte Infekte der oberen Atemwege stellen wohl keine generelle Kontraindikation für die Berufsausübung dar, schreiben sie, begünstigen aber eine Tubenventilationsstörung.
Im Falle einer akuten Otitis media ist gegebenenfalls eine rasche primäre Antibiotikatherapie sinnvoll. Hörsturz und akut aufgetretener Tinnitus rechtfertigen die frühzeitige Behandlung mit hoch dosierten oralen Glukokortikoiden, trotz mäßiger Evidenz für diese Strategie. Bei der Therapieentscheidung muss bedacht werden, dass Menschen, die im Berufsleben auf gutes Hören angewiesen sind, durch Ohrerkrankungen und insbesondere Schwerhörigkeit wesentlich früher und stärker beeinträchtigt sind als der durchschnittliche Patient.
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