Feministische Pionierin – Helenefriderike Stelzner
Die Ärztin und Frauenrechtlerin Helenefriderike Stelzner, geborene Westmann, wird am 18.4.1861 als Tochter eines Rittergutsbesitzers auf dem Meierhof Spörnig bei Niemes (tschechisch Mimoň) in Böhmen geboren und stirbt im März 1937 in Berlin.
Die Einzelheiten ihrer Kindheit und frühen Jugend liegen weitestgehend im Dunkeln. Sie besucht das Freimaurerinstitut in Dresden und erhält anschließend Privatunterricht bei Hauslehrern. Zwischen 1871 und 1877 absolviert sie eine Schule für höhere Töchter in Chemnitz und heiratet anschließend Julius Stelzner, einen Exporteur von Produkten aus Baumwollsamenöl.
Studienjahre
Nachdem Helenefriderikes Ehemann im März 1897, im Alter von nur 43 Jahren stirbt, beginnt sie mit einer privaten Vorbereitung auf das Abitur, das sie im selben Jahr noch in Luzern ablegt. Nachdem deutsche Universitäten zu dieser Zeit noch keine weiblichen Studenten zulassen, nimmt Stelzner ein Medizinstudium in Zürich auf.
Als sich die Situation mit Ende 1899 zu ändern beginnt und es Frauen zumindest erlaubt wird, im Ausland begonnene Studien an deutschen Universitäten fortzuführen, gehört sie zu den Ersten, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Zwischen 1900 und 1902 setzt sie ihr Medizinstudium an der Universitätsklinik in Berlin und am Physikum in Halle an der Saale fort. Im Juli 1902 promoviert sie sich dort und gehört damit zu den ersten 10 Medizinerinnen im Deutschen Kaiserreich.
Berufliche Tätigkeit
Stelzner ist in der Folge zwischen 1903 und 1904 als erste Volontärassistentin an der Charité, Psychiatrische Kliniken, in Berlin tätig und wird 1905 als erste Schulärztin in Charlottenburg eingestellt. Im selben Jahr lässt sie sich dort in einer Praxis für „Nervenkrankheiten und Elektrotherapie“ nieder, die sie bis 1933 betreibt. 1907 übernimmt Stelzner die ärztliche Betreuung der weiblichen Fürsorgezöglinge im Magdalenenstift der Diakonissenanstalt Teltow. Ab 1927 ist sie auch auf dem Fachgebiet der Inneren Medizin tätig.
Sozialpsychiatrische Forschung
Helenefriderike Stelzner ist publizistisch überaus aktiv. Sie veröffentlicht mehrere von der Fachwelt als originelle und überzeugend fundierte Beiträge zur Sozialpsychiatrie gewürdigte Monografien und verfasst zahlreiche, mitunter sehr umfangreiche Beiträge für Fachzeitschriften. Dabei stützt sie sich nicht nur auf ihre fundierte psychiatrische Ausbildung, sondern nach eigenen Angaben auch auf ihre natürliche Fähigkeit, als Frau mit weiblichen Kranken, Kindern und Jugendlichen umzugehen.
Ein durchgängiges Thema ihres wissenschaftlichen und publizistischen Werks ist die Kritik der gesellschaftlichen Beschränkungen und der in der Medizin tradierten Vorurteile, mit denen Frauen zu kämpfen haben.
Ihre vielfältigen Arbeiten beschäftigen sich darüber hinaus mit dem weiblichen Suizid, mit der Differenzialdiagnose von Intelligenz-, Charakter- und Entwicklungsdefiziten bzw. psychischen Erkrankungen bei Mädchen und weiblichen Jugendlichen wie mit Ursachen und Prognose von jugendlicher Kriminalität und Prostitution.
Kontroverse Eugenik
Als Auslöser für jugendliche Devianz sieht sie in vielen Fällen eine familiäre Disposition zur Asozialität, aber auch Verwahrlosung und Inzest. In den Debatten der 1920er Jahre tritt sie für die Straffreiheit des ärztlichen Schwangerschaftsabbruchs ein, wobei sie aus psychiatrischer Sicht vor allem die eugenische Indikation und die Sterilisation von Geisteskranken und Asozialen befürwortete.
Stelzners Funktionen als feministische Pionierin und Vorreiterin einer modernen Sozialpsychiatrie wie ihre Prädisposition für die menschenverachtenden Lehren der Eugenik verdeutlichen, dass historische Persönlichkeiten in der Regel nur im Wortsinn als Kreaturen ihrer Zeit verstanden werden können, die weder schwarz noch weiß, sondern in Grautönen gezeichnet sind.