Im Selbstversuch: Werner Forßmann und die erste Herzkatheterisierung
Wie ein junger deutscher Arzt 1929 in einem riskanten Selbstversuch die Grundlagen der modernen Herzkatheter-Diagnostik und -Behandlung schuf.

Werner Theodor Otto Forßmann kommt am 29. August 1904 in Berlin zur Welt, als einziger Sohn von Julius Forßmann, einem Juristen, und dessen Frau Emmy, geborene Hindenberg. Die Familie seines Vaters stammt aus Finnland, die Wurzeln der Mutter liegen in Preußen. Sein Vater wird 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, zum Militärdienst eingezogen und fällt im September 1916 im galizischen Swistelniki. Von da an wächst der Junge bei seiner Mutter und seiner Großmutter auf, die ihn nach preußischen Idealen erziehen. Als Kind besucht er oft seinen Onkel, der als Landarzt in Altstrelitz ordiniert und dessen Beispiel großen Einfluss auf Werners Lebenslauf haben wird. Forßmann besucht in der Folge das humanistische Askanische Gymnasium in Berlin-Tempelhof, das er 1922 mit dem Abitur abschließt. Im Herbst 1922 beginnt er sein Medizinstudium an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin (der heutigen Humboldt-Universität) und schließt sich dort der Studentenverbindung Akademische Liedertafel Berlin an. Nachdem er unter anderem unter dem Anatomen Rudolf Fick und dem Pathologen Otto Lubarsch studiert hat, legt er 1928 das Staatsexamen ab.
Die klinische Ausbildung absolviert Forßmann am Universitätsklinikum in Berlin, dem ehemaligen Krankenhaus Moabit. Hier arbeitet er unter Chefarzt und Professor Georg Klemperer und wird unter anderem von Moritz Borchardt, Lydia Rabinowitsch-Kempner, Ernst Haase, Karl Frik, Karl Bonhoeffer und Louis Lewin unterrichtet. 1929 promoviert Werner Forßmann in Berlin zum Dr. med.
Nachdem er eine von Klemperer zuerst angebotene Stelle als Volontär am Universitätsklinikum doch nicht erhält, wechselt er als Chirurg an eine private Frauenklinik in Spandau. Von seinen Aufgaben dort unterfordert, beginnt Forßmann schon nach drei Monaten nach einer neuen Stelle zu suchen und schafft es schließlich über persönliche Empfehlungen, als Assistenzarzt an die Auguste-Victoria-Klinik, dem heutigen Werner-Forßmann-Krankenhaus, in Eberswalde, nördlich von Berlin. Dort arbeitet er unter dem Chirurgen und Klinikleiter Richard Schneider, der ihm von Beginn an zahlreiche Untersuchungen und Operationen anvertraut und ihn umfassend in Chirurgie ausbildet.
Selbstversuch zur Herzkatheterisierung im Sommer 1929
Im Sommer 1929, im Alter von etwa 25 Jahren, gelingt ihm in Eberswalde der erste Selbstversuch einer Herzkatheterisierung, bei dem er einen Katheter über die linke Vena cephalica bis in den rechten Vorhof führt. Er entwickelt das Konzept, einen Katheter über die Vena cephalica im Arm in das rechte Herz zu führen – inspiriert durch Tierexperimente von Claude Bernard und Auguste Chauveau an Haustieren, vorwiegend Hunden und Pferden. Chefarzt Richard Schneider lehnt dahingehende Patientenversuche aber ab. Über die Geschichte seines weiteren Vorgehens wird Forßmann selbst zwei verschiedene Varianten lancieren. In seiner Publikation zum Selbstversuch 1929, in der Zeitschrift Klinische Wochenschrift, gibt er zu Protokoll, dass die Punktion der Vene durch einen Kollegen erfolgte. In diesem Vorversuch führte dieser einen gut geölten Gummischlauch etwa 35 Zentimeter in die Vene ein, bevor er das Experiment aus Angst vor möglichen Gefahren abbrach. Nach dieser Schilderung führte Forßmann den Versuch dann etwa eine Woche später allein durch. In seiner Autobiografie Selbstversuch. Erinnerungen eines Chirurgen schreibt Forßmann, entgegen dem Verbot Schneiders eine Krankenschwester überredet zu haben, die medizinischen Geräte für eine Blutentnahme sowie einen Blasenkatheter aus vulkanisiertem Kautschuk vorzubereiten, und dann einen Ureterkatheter selbst etwa 65 cm weit bis ins rechte Herz eingeführt zu haben.
Anschließend geht er zur Röntgenabteilung, überprüft die Katheterlage im Herzen mittels Fluoroskopie und lässt ein Röntgenbild anfertigen, das die Katheterspitze im rechten Vorhof zeigt.

Das Röntgenbild von Werner Forßmanns im Selbstversuch durchgeführten Herzkatheterisierung.
Veröffentlichung, Kritik und erste klinische Anwendung
Noch im November 1929 veröffentlicht Forßmann seinen Bericht „Die Sondierung des rechten Herzens“ in der Klinischen Wochenschrift, versehen mit Röntgenbildern. Er berichtet darin außerdem von einer Behandlung einer schwerkranken Patientin mit eitriger Bauchfellentzündung, bei der ein Katheter für mehrere Stunden überlebenswichtige Medikamente direkt ins Herz verabreichte. Forßmanns Selbstexperiment sorgt für großes Aufsehen, allerdings von unerwarteter Seite. Während die Resonanz in den Fachzeitschriften bestenfalls verhalten ist, stürzt sich die Boulevardpresse auf das Thema. Dann wird Forßmann von Ernst Unger und Fritz Bleichröder mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Die beiden hatten wenige Jahre vor Forßmann die Applikation von Wirkstoffen durch einen Katheter in herznahe Gefäße untersucht. Dabei legte Unger einen Katheter an Bleichröder an. Bei einem Versuch, bei dem Bleichröder über Brustschmerzen klagte, hatten sie wahrscheinlich auch das Herz katheterisiert, dies jedoch nicht dokumentiert. Sauerbruch, der nichts von dieser Publikation wusste, entlässt Forßmann daraufhin mit den Worten: Mit solchen Kunststücken habilitiert man sich in einem Zirkus und nicht an einer anständigen deutschen Klinik.
Trotz dieses Rückschlags und des geringen Interesses der medizinischen Community verfolgt Forßmann seine Selbstversuche weiter und entwickelt eine Methode, einen Katheter über die V. femoralis zur V. cava inferior vorzuschieben. Er wendet sich der Kontrastdarstellung des Herzens zu und führt mit Willi Felix im Krankenhaus Neukölln Tierversuche durch. Dabei zeigt er, dass Kontrastmittel im Herzen nicht schädlich sind, und fertigt erste Röntgenbilder an. Im Selbstversuch injiziert er sich Kontrastmittel über einen Herzkatheter, doch die damalige Röntgentechnik liefert keine klaren Bilder. Die Ergebnisse werden veröffentlicht, bleiben aber auch nach einem Vortrag 1931 ohne große Resonanz – vermutlich wendet sich Forßmann daraufhin von der Kardiologie ab.
Wechsel zur Urologie und Kriegsdienst
Anfang der 1930er Jahre findet Forßmann keine Anstellung in der Kardiologie und wechselt nach Mainz. Dort macht er Karriere in der Urologie und heiratet 1933 die Urologin Dr. Elsbet Engel, mit der er sechs Kinder haben wird. Bereits 1932 tritt er der NSDAP bei, später auch der SA und dem Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund. 1936 wird er Oberarzt in Dresden-Friedrichstadt, wo er eugenische Sterilisationen genehmigen muss, aber nicht selbst durchführt. 1937 geht er nach Berlin-Moabit ans Robert-Koch-Krankenhaus. Nach eigenen Angaben behandelt er dort nach den Novemberpogromen 1938 trotz eines Verbots verletzte Juden. Aus dieser Zeit existieren allerdings kaum unabhängige Dokumente, und diese Informationen stammen überwiegend aus seiner Autobiografie.
Während des Zweiten Weltkriegs wird Forßmann als Sanitätsoffizier und Feldarzt in der Wehrmacht eingesetzt und erreicht den Dienstgrad Oberstabsarzt. Er dient in Feldlazaretten und Kliniken im Deutschen Reich, in Polen, Norwegen und in der Sowjetunion.
In den letzten Kriegsjahren wandelt Forßmann als Sanitätsoffizier und Chirurg das Lazarett in der Heil- und Pflegeanstalt Neuruppin von einem Leichtkrankenlazarett in die zentrale Abteilung des Wehrkreises für Schwerstverletzte um. Er bleibt hier bis zur Auflösung des Lazaretts 1945, als die Rote Armee Neuruppin weitgehend dem Erdboden gleichmacht und besetzt.
Kurz vor Kriegsende flieht Forßmann mithilfe eines von ihm selbst ausgestellten Marschbefehls nach Wittenberge. Nachdem er die Elbe, die informelle Demarkationslinie zwischen den sowjetischen und den westalliierten Armeen, überquert hat, wird er von US-Truppen gefangen genommen und bis Oktober 1945 inhaftiert. Im Zuge der Entnazifizierungsmaßnahmen durch die Alliierten wird Forßmann mit einem dreijährigen Berufsverbot belegt. An dessen Ende stuft ihn eine Spruchkammer der französischen Besatzungsmacht als Mitläufer ein.
Nachkriegszeit: Urologie, Rückkehr zur Chirurgie und Nobelpreis
Nach dem Krieg beginnt Forßmann als Landarzt gemeinsam mit seiner Frau im Schwarzwald zu praktizieren. Ab 1950 ist er Facharzt für Urologie in Bad Kreuznach mit eigener Klinik und 18 Betten. Seine Verdienste in der Kardiologie sind zu diesem Zeitpunkt weitgehend vergessen. Allerdings verleiht ihm die Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1954 die Leibnitz-Medaille. Im selben Jahr wird er auf dem deutschen Chirurgenkongress geehrt. Im Jahr 1956 wird Forßmann gemeinsam mit André Cournand und Dickinson Richards mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet, in Anerkennung seiner Pionierleistungen zur Herzkatheterisierung und deren Rolle in der Kreislaufforschung.

Die Verleihungsurkunde des Nobelpreises an Werner Forßmann 1956.
Anlässlich des Preises wird er im selben Jahr zum Ehrenprofessor für Chirurgie und Urologie an der Johannes‑Gutenberg-Universität Mainz ernannt. Im Jahr 1958 wird er zum Chefarzt der Chirurgie in Düsseldorf berufen und arbeitet dort bis zu seinem Ruhestand 1969. 1964 wird er mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse geehrt und fortan in vielen Fachgesellschaften – darunter US-amerikanische und schwedische kardiologische Vereinigungen – als Ehrenmitglied geführt. Er erhält unter anderem den Cameron-Preis der Universität Edinburgh sowie Ehrendoktorwürden aus Harvard und der Sorbonne. Seinen Lebensabend verbringt Forßmann mit seiner Frau und seinen sechs Kindern in Bad Kreuznach und später in Düsseldorf. Am 1. Juni 1979 erliegt Werner Forßmann im Städtischen Krankenhaus in Schopfheim, Baden-Württemberg, den Folgen eines Herzinfarkts.
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/2178572/
- https://www.medmuseum.siemens-healthineers.com/en/stories-from-the-museum/cardiac-catheterization
- https://historischesarchiv.dgk.org/files/2021/11/prof.-forssmann.pdf
- Werner Forßmann: Die Sondierung des Rechten Herzens.Klinische Wochenschrift 8 (45), 1929, S. 2085–2087.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_For%C3%9Fmann