6. Nov. 2024medonline Medizingeschichte #35

Christiaan Barnard und die Geschichte der ersten Herztransplantation

Christiaan Barnard wird am 8. November 1922 als dritter von vier Söhnen eines Pastors in Beaufort West, Südafrika, geboren.

Dr. Christiaan Barnard
Foto: Public Domain/wikimedia

Weil sein Vater sich der seelsorgerischen Betreuung der farbigen Gemeinde der Stadt widmet, erhält er im Südafrika der Apartheid ein wesentlich geringeres Einkommen als Pastoren weißer Kirchengemeinden und die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen.

Nach der Highschool studiert Christiaan mithilfe zweier Stipendien Medizin an der Universität Kapstadt (UCT). Er schließt sein Studium Ende 1946 ab und nimmt nach verschiedenen Praktika eine Stelle in einer allgemeinmedizinischen Praxis an, da dies ein sicheres Einkommen verspricht. Die Arbeit gefällt ihm, aber als es zu Problemen mit Kollegen kommt, kündigt er wieder und bereitet sich auf höhere chirurgische Prüfungen vor.

Eine Anstellung in einem Krankenhaus für Infektionskrankheiten führt in weiterer Folge zu einer Stelle an der Chirurgie am Groote Schuur Hospital (GSH), dem wichtigsten Lehrkrankenhaus der UCT.

Barnard erhält ein Stipendium, um unter der Anleitung des Chirurgen Owen Wangensteen Erfahrungen an der University of Minnesota in Minneapolis, USA, zu sammeln. Dort kommt er erstmals mit dem damals neuen Gebiet der Herzchirurgie in Berührung. Das Universitätskrankenhaus in Minneapolis ist eine von wenigen Einrichtungen weltweit, in denen diese Form der Chirurgie durchgeführt wird. Barnard erkennt das Potenzial der Herz-Lungen-Maschine (Oxygenator) und sammelt bei C. Walton („Walt“) Lillehei, einem der bedeutendsten frühen Herzchirurgie-Pioniere, und seinem Kollegen Richard Varco weitere Erfahrungen.

Nach 30 Monaten in den USA kehrt er mit einer von den US National Institutes of Health (NIH) zur Verfügung gestellten Herz-Lungen-Maschine nach Kapstadt zurück. Sofort startet er am GSH ein Programm für Herzoperationen, das ausgezeichnete Ergebnisse erzielt und mit dem er sich einen Namen macht.

In den frühen 1960er Jahren, als die Herzchirurgie die meisten angeborenen Herzfehler korrigieren und Klappenerkrankungen behandeln kann, beginnt er über die Zukunft seines Fachgebiets nachzudenken. Er kommt zu dem Schluss, dass eine Herztransplantation erforderlich sein wird, um Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz zu helfen.

Vorbereitungen für die erste Herztransplantation

Um sich auf zukünftige Herztransplantationen vorzubereiten, beginnen Barnard und sein jüngerer Bruder Marius, der ebenfalls Herzchirurg am GSH ist, zunächst mit der Durchführung orthotoper Herztransplantationen bei Hunden. Sie wenden eine Operationstechnik an, die erstmals 1959 von Russell Brock in London beschrieben, jedoch von Norman Shumway und seinem Forschungsteam an der Stanford University in den USA umfassend weiterentwickelt und untersucht wurde. Barnards Ziel ist nicht, die Hunde am Leben zu halten, vorwiegend will er die chirurgische Technik perfektionieren.

Anschließend nimmt er ein dreimonatiges Sabbatical, um Erfahrungen mit immunsuppressiver Therapie bei Patienten mit Nierentransplantationen zu sammeln. Er schließt sich dem von David Hume geleiteten Transplantationsprogramm in Richmond, Virginia, an. Dort sammelt er auch weitere Erfahrungen mit experimentellen Herztransplantationen im Labor von Richard Lower.

Mit dieser Erfahrung im Rücken kehrt Barnard ins GSH zurück. Er führt eine erfolgreiche Nierentransplantation durch und fühlt sich daraufhin bereit für eine erste Herztransplantation. Der Professor für Kardiologie, Velva Schrire, ein hervorragender Kliniker, wählt einen Patienten aus. In Barnards Abteilung am GSH werden alle Patienten, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, gleichbehandelt. Schrire befürchtet internationale Kritik, Experimente an der farbigen Bevölkerung durchzuführen. Deshalb wählt er Spenderin und Empfänger aus der weißen Bevölkerung aus.

Louis Waskansky, ein 53-jähriger Diabetiker, der wegen schwerer Herzinsuffizienz durch eine ischämische Herzerkrankung ans Bett gefesselt im Krankenhaus liegt, wird als Empfänger identifiziert und sagt seine Teilnahme zu. Am Nachmittag des 2. Dezember 1967, wird Denise Darvall, eine 25-jährige Frau, mit einem schweren Gehirntrauma infolge eines Verkehrsunfalls ins GSH gebracht. Sie wird für hirntot erklärt, und ihr Vater stimmt der Verwendung ihres Herzens und ihrer Nieren für Transplantationen zu.

Die erste Herztransplantation

In den frühen Morgenstunden des 3. Dezember findet die Operation schließlich statt. Um keine rechtlichen Probleme zu bekommen, trennt Barnard den Beatmungsapparat und wartet, bis das EKG keine Herzaktivität mehr anzeigt, bevor er zu operieren beginnt. Als er den Brustkorb öffnet, ist das Herz blau und schlägt nicht. Das Operationsteam schließt die Spenderin wieder an eine Herz-Lungen-Maschine an und lässt kaltes, mit Sauerstoff angereichertes Blut durch ihren Körper zirkulieren, um den Stoffwechsel des Herzens während der Transplantation zu senken. Das Herz wird schnell auf eine niedrige Temperatur heruntergekühlt. Das hilft, es vor ischämischen Schäden während der Transplantation zu schützen. Das Spenderherz wird so entnommen, dass die Herz-Lungen-Maschine des Spenders es weiterhin mit gekühltem, sauerstoffreichem Blut versorgt, während es in den benachbarten Empfänger-Operationssaal getragen wird.

Obwohl Barnard zu diesem Zeitpunkt Hunderte, wenn nicht Tausende von Herzoperationen durchgeführt hat, hat er noch nie zuvor in eine menschliche Brust geschaut und dort kein Herz gesehen. Die Bedeutung und das Ausmaß dessen, was er hier versucht, werden ihm schlagartig bewusst. Das Spenderherz wird ohne Schwierigkeiten schnell eingenäht, verliert sich aber beinahe an der Stelle des krankheitsbedingt stark vergrößerten Herzens von Louis Waskansky. Barnard fragt sich, ob Darvalls Herz in der Lage sein wird, den Kreislauf dieses relativ großen Mannes in Gang zu halten.

Nach Abschluss der Transplantation lässt Barnard das Blut aus der Herz-Lungen-Maschine des Empfängers durch das neue Herz fließen. Indem er das Blut in der Maschine erwärmt, bringt er die Körpertemperatur des Patienten wieder auf Normalniveau. Einige Minuten lang fibrilliert das Herz, beginnt aber nicht zu schlagen, was sich aber mittels elektrischer Defibrillation ändern lässt. Es schlägt aber nur schwach und übernimmt den Kreislauf nicht.

Barnard versucht zweimal, den Patienten von der Herz-Lungen-Maschine zu entwöhnen, aber das Herz schlägt nicht stark genug, um einen ausreichenden Blutdruck aufrechtzuerhalten. Er lässt dem Spenderherz mehr Zeit, um Kraft zu gewinnen, und hält den Patienten weiterhin mit der Herz-Lungen-Maschine am Leben. Nach und nach werden die Schläge stärker. Beim dritten Versuch, die Herz-Lungen-Maschine abzuschalten, steigt der Blutdruck kontinuierlich an. Die Herz-Lungen-Maschine kann abgeschaltet und die Brust geschlossen werden. Die Operation ist nach fast fünf Stunden um 6:15 morgens erfolgreich abgeschlossen.

Folgetransplantationen und Rückzug

Louis Waskansky überlebt die Operation 18 Tage lang. Todesursache ist eine im Zuge einer postoperativ vorgenommenen immunsuppressiven Therapie entstandene Lungenentzündung. Denice Darvals Herz ist das letzte Organ, das versagt. Barnards zweiter Transplantationspatient führt fast 19 Monate lang ein relativ aktives Leben, bevor er schließlich an der bis dahin unbekannten Krankheit der Transplantat-Arteriosklerose stirbt. Im internationalen Vergleich werden solche Überlebenszeiten noch nicht annähernd erreicht. Sein fünfter Patient überlebt schließlich 13, sein sechster mehr als 23 Jahre.

Barnard wird durch seine Leistung zu einer internationalen Berühmtheit und lässt sich vom nie enden wollenden Interesse an seiner Person von seiner Tätigkeit ablenken. Während er weltweite Einladungen zu öffentlichen Auftritten annimmt und sich im Licht seiner Berühmtheit sonnt, übernimmt sein Bruder Marius die Führung des Herzchirurgie-Programms am Groote Schuur Hospital. Jüngere Kollegen entwickeln die Herztransplantation weiter, während Barnard zunehmend seine Begeisterung und seine Leidenschaft dafür verliert. Nachdem er 1983 mit 61 Jahren in den Ruhestand gegangen ist, verfolgt er verschiedene Geschäftsvorhaben, absolviert öffentliche Auftritte und beginnt zu schreiben. Acht Jahre lang publiziert er eine wöchentliche Kolumne für eine Zeitung in Kapstadt, die in ganz Südafrika syndiziert wird, schreibt oder bearbeitet mehrere Bücher zu verschiedenen Aspekten der Gesundheitsversorgung für die breite Öffentlichkeit und verfasst mit professioneller Unterstützung zwei Autobiografien, vier Romane und einen Band, in dem er die politischen Probleme Südafrikas und seine Vorschläge zu deren Lösung verhandelt. Am 2. September 2001 stirbt Barnard während eines Urlaubs auf Zypern im Zuge einer schweren Asthma-Attacke.