26. Juni 2024European Atlas of Fertility Treatment Policies

Fertilitätspolitik: Es gibt noch viel zu tun

Vor kurzem wurde in Wien der Altas zur europäischen Fertilitätspolitik vorgestellt. Österreich liegt im Vergleich mit anderen Ländern nur im Mittelfeld. Patientenorganisationen und ein Netzwerk europäischer Parlamentsmitglieder fordern mehr Rechte und Unterstützung für alle Menschen, die von Unfruchtbarkeit betroffen sind.

Künstliche Befruchtung oder In-vitro-Fertilisation. 3D-Darstellung
Tatiana Shepeleva/AdobeStock

Unfruchtbarkeit ist nach wie vor ein stark tabuisiertes und stigmatisiertes Thema. Und das, obwohl es viele Menschen betrifft: 1 von 6 Personen ist laut WHO ungewollt kinderlos, in der EU allein sind es 25 Millionen. Um die Bedeutung von Fertilität als Thema der öffentlichen Gesundheit zu unterstreichen und auf die Forderungen europäischer und österreichischer Organisationen hinzuweisen, die sich für ungewollt Kinderlose einsetzen, luden das European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Rights (EPF), die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF) und die Patient:innen-Organisation „Die Fruchtbar – Verein Kinderwunsch Österreich“ zur Präsentation der zweiten Auflage des European Atlas of Fertility Treatment Policies.

Der Atlas gibt einen Überblick über die Fertilitätspolitik in 49 europäischen Ländern. Erarbeitet wurde er von Fertility Europe, der europäischen Dachorganisation, die mehr als 30 nationale Patientenverbände im Bereich der (Un-)Fruchtbarkeit vertritt, und dem EPF, einem Netzwerk von Parlamentsabgeordneten aus ganz Europa, die sich für den Schutz der sexuellen und reproduktiven Rechte aller Menschen einsetzen.

Faire Fertilitätspolitik aus vielen Gründen erstrebenswert

Im Atlas wurden u.a. folgende Kriterien bewertet: die gesetzlichen Grundlagen für und der Zugang zu Fertilitätsbehandlungen, die finanzielle Unterstützung von Betroffenen, die vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten, Information und Aufklärungsprogramme zum Thema Unfruchtbarkeit. Einige Länder erfüllen diese Anforderungen sehr gut, etwa Belgien, die Niederlande oder Frankreich, Österreich liegt nur im Mittelfeld – nach Bulgarien und vor Island; Schlusslicht ist der Kosovo.

Der Altas ist laut Leonidas Galeridis, Policy and Research Officer EPF, „ein wichtiges Instrument für politische Entscheidungsträger zur Bekämpfung der Unfruchtbarkeit und liefert wichtige Daten für die Gestaltung von Maßnahmen, die einen gleichberechtigten Zugang zu Fruchtbarkeitsbehandlungen gewährleisten“. Auch EFP-Präsidentin Petra Bayr, Abg. z. NR, SPÖ, weist auf die praktische Bedeutung des Atlas hin: „Der Fruchtbarkeitsatlas bietet Politikerinnen und Politikern die Möglichkeit, ihre Politik zum Thema zu evaluieren, Vergleiche anzustellen, zu sehen, wo Aufholbedarf ist, und letztlich den Bürgerinnen und Bürgern besseren Zugang zu den unterschiedlichen reproduktionsmedizinischen Leistungen zu bieten.“ Eine faire Fertilitätspolitik sei auch aus demografischen Gründen erstrebenswert, da „der globale Norden ein Problem mit der Fruchtbarkeitsrate hat“. Diese beträgt in Europa im Schnitt nur 1,5, während zur Aufrechterhaltung einer stabilen Bevölkerungszahl eine Rate von 2,1 notwendig wäre.

Trotz IVF-Fonds viele Mängel in Österreich

Dass die Situation in Österreich durchaus verbesserungsbedürftig ist, hat Christina Fadler, Gründerin und Obfrau des Vereins „Die Fruchtbar“ und Vorstandsmitglied von Fertility Europe, selbst erfahren, als sie sich vor einigen Jahren einer Behandlung zur In-vitro-Fertilisation (IVF) unterzog. „Für das öffentliche Gesundheitswesen in Österreich gibt es die Diagnose Unfruchtbarkeit* nicht. Betroffene Paare werden – bis auf die Förderung durch den IVF-Fonds – mit dem Problem finanziell und emotional alleingelassen.“

IVF-Behandlungen werden vom IVF-Fonds zwar zu 70% finanziert, die restlichen 30% sowie zusätzliche Kosten für eventuell notwendige weitere Untersuchungen müssen aber von den Betroffenen selbst getragen werden. Auch die Kosten für eine psychologische Betreuung, die aufgrund der starken psychischen Belastung im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung häufig erforderlich ist, und andere Behandlungen wie etwa Inseminationen werden vom Fonds nicht übernommen. Somit können mehrere IVF-Versuche oft mehrere tausend Euro kosten, was für viele Paare nur schwer oder gar nicht leistbar ist. Dennoch steigt der Bedarf an Fruchtbarkeitsbehandlungen stetig: 2022 wurden im Rahmen des IVF-Fonds 12.392 IVF-Versuche durchgeführt, 2016 waren es noch knapp über 10.000. Einheitliche Statistiken ­– auch diese sind ein Gütekriterium des Atlas – zu Fertilitätsbehandlungen fehlen in Österreich jedoch, da privat bezahlte nicht erfasst werden.

Damit ungewollt kinderlose Paare überhaupt eine IVF-Förderung erhalten, muss eine konkrete Diagnose (polyzystisches Ovarialsyndrom, tubare Funktionsstörung, Endometriose oder Sterilität des Mannes) vorliegen und es gilt bei Frauen die Altersgrenze von 40 Jahren, was von vielen Fachleuten kritisiert wird. Um die Rahmenbedingungen für ungewollt Kinderlose in Österreich zu verbessern, hat der Verein „Die Fruchtbar“ insgesamt 12 Forderungen an die Politik ausgearbeitet.

Der Zugang zu Kinderwunschbehandlungen für lesbische Paare in Österreich ist positiv hervorzuheben, da dies nur in 22 von 49 europäischen Ländern möglich ist. Gleichgeschlechtlichen männlichen Paaren bleibt der Zugang zur Eizellspende und damit zur Erfüllung ihres Kinderwunsches jedoch verwehrt, da Leihmutterschaft in Österreich verboten ist. Auch alleinstehenden Frauen ist eine Kinderwunschbehandlung nicht zugänglich, sie müssen ins EU-Ausland ausweichen.

Recht auf Kinderwunsch verwirklichen

Auf europäischer Ebene stellen EPF und Fertility Europe Forderungen an die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten. Dazu gehört die EU-weite Anerkennung des universellen Rechts aller Menschen, Kinder zu bekommen. Außerdem soll ein gleichberechtigter und sicherer Zugang zu Fertilitätsbehandlungen für alle ungewollt Kinderlosen gewährleistet und öffentliche Mittel zur Förderung dieser Behandlungen bereitgestellt werden. Weiters soll der öffentliche Sektor Informationen über Unfruchtbarkeit bereitstellen und Aufklärungsarbeit leisten, um das Stigma der Unfruchtbarkeit zu beseitigen.

Dazu Anita Fincham, Advocacy Manager, Fertility Europe: „Europäische Bürgerinnen und Bürger, die ein Kind möchten, müssen die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Die Politik ist verpflichtet, Lösungen anzubieten, damit alle Menschen selbstbestimmt über ihre Fortpflanzung entscheiden können.“

Quelle: Pressekonferenz und Vorstellung des neuen Fertility Atlas, Wien, 19.6.2024