23. Okt. 2024Science Talk

Gesundheitskompetenz: Verblasst das Erlernte aus der Pandemie?

Die Pandemie hat die Bedeutung von Gesundheitskompetenz ins Zentrum gerückt, doch viele der erlernten Verhaltensweisen scheinen wieder in Vergessenheit zu geraten. Warum es trotz intensiver Aufklärung und guter Ansätze schwerfällt, Gesundheitswissen langfristig zu verankern, und welche Rolle die Gesellschaft und das Gesundheitssystem dabei spielen, beleuchtete eine Expertenrunde im Science Talk.

Arzt und Ärztin schauen während der Sprechstunde in ein medizinisches Lexikon
Foto: Robert Kneschke/AdobeStock

Die COVID-19-Pandemie führte zeitweise zu einem Umdenken in der Bevölkerung: Händehygiene, Abstandhalten und das Tragen von Masken wurden zu alltäglichen Praktiken. Doch wie nachhaltig war dieser Wandel? Vieles von dem, was während der Pandemie selbstverständlich schien, scheint heute wieder verloren gegangen. Selbst in Krankenhäusern scheint hygienisches Verhalten wie das Tragen einer Maske bei Erkältungssymptomen kaum noch Beachtung zu finden. Trotz des kurzzeitigen Anstiegs von Hygienebewusstsein und Impfquoten während der Pandemie scheint die Rückkehr zur „Normalität“ allgegenwärtig.

Univ.-Prof. Dr. Anita Rieder, Leiterin des Zentrums für Public Health der MedUni Wien, zeichnete ein nicht ganz so düsteres Bild und betonte: „Ich würde nicht sagen, dass gar nichts übriggeblieben ist, sondern ich glaube, dass sehr viele doch ein deutliches Problembewusstsein entwickelt haben und das auch beibehalten haben.“ Dass die Menschen die Pandemie, die für alle eine Krisensituation gewesen sei, und alle damit verbundenen Strapazen hinter sich lassen wollen, sei verständlich, so Rieder. Es sei aber auch deshalb besonders wichtig, ständig im Dialog zu bleiben und das Wissen über gesundheitsförderndes Verhalten weiterzugeben.

Was bleibt von der Gesundheitskompetenz?

Gesundheitskompetenz bedeute allerdings nicht nur, Informationen aufzunehmen, sondern sie auch im Alltag anzuwenden. Dr. Renate Ruckser-Scherb, MSc, MEd, von der FH Gesundheitsberufe Oberösterreich schilderte, wie wichtig es sei, das Thema in der Ausbildung von Gesundheitsberufen zu verankern. Studierende müssten lernen, nicht nur für sich selbst, sondern auch im Umgang mit Patientinnen und Patienten eine hohe Gesundheitskompetenz zu entwickeln. Die Pandemie habe hier durchaus positive Effekte gezeigt, so Ruckser-Scherb: Die Disziplin und der Wissensdurst der Studierenden seien gestiegen.

Dennoch bleibe die Frage offen, warum so viele Menschen, trotz der intensiven Gesundheitskommunikation in den letzten Jahren, zur Arbeit gehen, obwohl sie krank sind. Eine aktuelle Umfrage der Arbeiterkammer zeigt, dass 60% der befragten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz Erkältungssymptomen arbeiten. Der Grund: Angst vor Jobverlust oder die Sorge, die Kolleginnen und Kollegen zu belasten.

Schulische und institutionelle Verantwortung

Dr. Sonja Schuch, Leiterin der Servicestelle für Gesundheitsförderung an Österreichs Schulen (GIVE), hob hervor, dass Kinder und Jugendliche dann gesundheitsbewusste Verhaltensweisen entwickeln, wenn sie deren Nutzen erkennen. Sie appellierte an das Schulsystem, diese Selbstwirksamkeitserfahrungen zu fördern, um langfristige Effekte zu erzielen. Es gehe darum, Schülerinnen und Schüler altersgerecht abzuholen und zu motivieren, sich aktiv mit ihrer Gesundheit auseinanderzusetzen. Man müsse Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, über Themen, die ihnen am Herzen liegen, zu sprechen. „Unsere zentrale Aufgabe in der Schule ist, Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen und sie zu fragen, was sie beschäftigt. So können wir etwas bewirken“, sagte Schuch.

Eine Idee, die immer wieder diskutiert wird, ist die Einführung eines Pflichtfaches „Gesundheitskompetenz“. Darin sieht die Gesundheitsexpertin jedoch nur einen kleinen Baustein. Wichtiger sei es, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen gesundes Verhalten unterstützt wird. Schuch betont, dass Gesundheitskompetenz nicht nur in der Schule, sondern auch im Elternhaus, in der Freizeit und im gesamten sozialen Umfeld gefördert werden müsse.

Eine Aufgabe, die auch von den Volkshochschulen wahrgenommen werde, wie Dr. John Evers, Generalsekretär des Verbands Österreichischer Volkshochschulen, ausführte. Dort lege man großen Wert darauf, wissenschaftsbasierte Angebote anzubieten. Dass es in der Pandemie zu einem Zwiespalt in der Bevölkerung kam, habe ihn nicht überrascht: „Die Volkshochschulen funktionieren quasi wie ein Seismograf der Bevölkerung. Viele Dinge wie diese Verschwörungserzählungen, die wir in der Pandemie wie durch ein Brennglas gesehen haben, waren an den VHS schon davor wahrnehmbar.“ Daher habe man als Bildungsinstitute noch mehr Wert auf Qualität gelegt und beispielsweise auf Kurse aus dem Themenkreis der Esoterik komplett verzichtet.

Vertrauen und Kommunikation als Schlüsselfaktoren

Ein wiederkehrendes Thema in der Diskussion ist das Vertrauen in die Gesundheitsinformationen, insbesondere in Zeiten von Social Media und „alternativen Fakten“. Die Expertinnen und Experten betonen, dass eine kontinuierliche, einfache und verständliche Kommunikation unerlässlich ist, um das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken. Vor allem in den sozialen Medien, wo Fehlinformationen häufig verbreitet werden, sei es wichtig, verlässliche Quellen zu stärken und die Menschen zu befähigen, gute von schlechten Informationen zu unterscheiden.

Kontinuierliche Kommunikation ist der Weg zum Ziel

Die Expertinnen und Experten waren sich einig, dass die Pandemie gezeigt habe, wie wertvoll Gesundheitskompetenz ist, doch es bleibe eine Herausforderung, dieses Wissen langfristig in der Gesellschaft zu verankern. Ein ausgewogener Mix aus individueller Verantwortung und institutioneller Unterstützung sei dabei ebenso notwendig wie eine klare, kontinuierliche Kommunikation und das Einbeziehen der Bevölkerung in alle Prozesse. Nur so könne es gelingen, ein nachhaltiges Problembewusstsein zu schaffen und die Gesellschaft resilienter gegenüber zukünftigen Gesundheitskrisen zu machen.