Mit Virotherapie gegen Kopf-Hals-Tumore
Seit knapp fünf Monaten hat die Med Uni Innsbruck einen neuen Vorstand der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Univ.-Prof. DDr. Andreas Kolk hat sich in seiner bisherigen Forschungsarbeit auf die Virotherapie und personalisierte Onkologie spezialisiert und möchte die Tumor- und rekonstruktive Chirurgie am neuen Standort Innsbruck weiterentwickeln. Wie er diese Ziele in Innsbruck etabliert, erzählte er der krebs:hilfe!.
krebs:hilfe!: Wie war Ihr Start an der Universitätsklinik Innsbruck?
Kolk: Es gab ziemlich viel Neues. Das war ja auch der Hauptgrund, warum ich von der TU München nach Innsbruck gewechselt bin. Hier kann ich zum ersten Mal einen ganz neuen Bereich aufbauen bzw. weiterentwickeln und vollkommen frei entscheiden. In München waren die Strukturen schon vorhanden, als ich gekommen bin. Meine Chefs haben mir zwar viel Freiraum gegeben, ich habe dort etwa eine Forschungsgruppe aufgebaut und war die letzten Jahre leitender Oberarzt und stellvertretender Leiter der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie. Aber in Innsbruck kann etwas Neues entstehen. Und das empfinde ich als sehr reizvoll.
Ihr Schwerpunkt ist in der Onkologie, wie setzen Sie das an der Universitätsklinik Innsbruck um?
Ich bin in beiden Bereichen ausgebildet, in der Human- und Zahnmedizin, dazu kommt noch eine wirtschaftliche Ausbildung zum MBA, die ich in Nürnberg und Erlangen absolviert habe. Diese Erfahrungen brauche ich jetzt für meine Professur und meine Pläne für Innsbruck. Die Universität Innsbruck hat sich in den letzten zehn Jahren rasant entwickelt und zählt für mich im Bereich der Tumorchirurgie und Traumatologie zu den führenden Kliniken Europas. Hier kann ich meine Forschung weiterführen und ausbauen.
Wie darf ich mir das organisatorisch vorstellen? Wie viel Onkologie verträgt die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie?
Der Standort Innsbruck hat als Leitklinik des Landes Tirol ganz klar einen Versorgungsauftrag für die Behandlung von Unfällen, Fehlbissen und Fehlbildungen der Kiefer- und Gesichtsschädelknochen. Trotzdem umfasst ein wesentlicher Teil meiner Arbeit die Onkologie, die ja in fast allen Fächern relevant ist. Früher bestanden onkologische Therapien zumeist aus chirurgischen Eingriffen, um die Tumoren und das betroffene Gewebe zu entfernen. Das hatte aber aufgrund der Invasivität zum Teil massive Neben- und Nachwirkungen zur Folge, je nach Größe und Lage eines Tumors.
Heute sind die Behandlungskonzepte viel stärker auf die Patienten und ihre Bedürfnisse abgestimmt. Sie sind viel weniger invasiv mit weniger Nebenwirkungen behaftet. Daher ist auch die Onkologie für Chirurgen im Sinne einer synergistischen Kombination interessant, weil mit unterstützenden onkologischen Therapien Operationen weniger radikal erfolgen können und damit deren Nebenwirkungen reduziert werden können. Während die klinische Onkologie einerseits direkt an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie angesiedelt ist, findet die Forschung aber zusammen mit zahlreichen anderen Kliniken und Instituten auch im Comprehensive Cancer Center statt.
Ihr Spezialgebiet ist die Virotherapie. Woran forschen Sie konkret?
Die Virotherapie nützt Viren, um Krebszellen zu zerstören. Krebszellen sind ja per se für das Immunsystem U-Boote, damit das Immunsystem nicht gegen sie mobilisiert. Für Viren sind Krebszellen aber angreifbar. Ein Virus wird dabei so verändert, dass es gezielt bestimmte Tumore angreift, diese als Wirtszellen nützt und sich innerhalb dieser massenhaft vermehrt, bis die Tumorzellen zerfallen und absterben. Die dann freiwerdenden Viren greifen wiederum weitere Tumorzellen im Körper an.
Welche Viren verwendet man dafür?
Im Prinzip kann man jedes Virus verwenden. In München haben wir etwa ganz simple Schnupfenviren eingesetzt. Die Entscheidung fiel deshalb auf Schnupfenviren, weil die Bevölkerung zu 90 Prozent durchseucht ist und die Viren gering pathogen sind. Manche verwenden aber auch Masern-Impfviren, Herpes-Simplex-, Reo-, Vaccini- oder Adonoviren. Das ist immer auch eine Frage der Sicherheitsabwägung: Wie pathogen und wie toxisch ist das Virus?
Welche Erfolge können derart manipulierte Viren erzielen?
Die Virotherapie hat nur relativ wenige Nebenwirkungen und kann problemlos mit anderen Therapien, etwa der Strahlentherapie, der Immuntherapie oder eben der Chirurgie kombiniert werden. Wenn zum Beispiel ein 85-jähriger Patient nur begrenzt operationsfähig ist, kann man vor der notwendigen Operation einen Tumor mit Virotherapie verkleinern und schärfer abgrenzen. Prinzipiell geht das auch mit anderen Therapien wie der Strahlentherapie, aber unter Inkaufnahme stärkerer Nebenwirkungen. Nach einer Vorbehandlung zur Verkleinerung kann der Tumor anschließend einfacher operiert werden. Die Operation dauert nicht so lange, es fällt nicht so viel Gewebe weg und man erhält die Lebensqualität, weil der Eingriff nicht so mutilierend erfolgen muss.
Sie spielen jetzt auf Tumore im Bereich Mund, Kiefer und Gesicht an. Sind diese das Haupteinsatzgebiet der Virotherapie?
Es gibt viele Einsatzgebiete für Virotherapie von Nierenkrebs über Lungenkrebs, Blasenkrebs bis hin zu Plattenepithelkarzinomen von Kopf und Hals. Der Vorteil bei Plattenepithelkarzinomen ist, dass man sie sieht und sie damit direkt und einfach erreichbar sind – der Erfolg einer Virotherapie ist hier sehr einfach messbar.
Wie häufig sind Tumore im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich und welche Indikatoren gibt es?
Kopf- und Halstumore stellen die sechsthäufigste Tumorart weltweit dar. 90 Prozent davon sind Plattenepithelkarzinome. Hauptrisikofaktoren sind Alkohol und Nikotin, wobei vor allem die Kombination aus beiden das Risiko erhöht und Nikotin der deutlich entscheidendere Faktor ist. Die karzinogenen Substanzen des Tabakrauchs führen zu einer Veränderung (Mutation) des Tumorsuppressorgens p53. Alkohol, vor allem hochprozentiger Alkohol, sensibilisiert die Schleimhaut, sodass die kanzerogenen Bestandteile des Tabakrauchs besser angreifen können. Daher weist auch ein wesentlicher Teil (ca. 75%) der Patienten einen Nikotin- und Alkoholabusus in der Vorgeschichte auf. Der Großteil der männlichen Patienten ist bei der Erstdiagnose der Erkrankung 55 bis 70 Jahre alt, Frauen zuweilen etwas älter, zwischen 60 bis 70 Jahre.
Welche Erkenntnisse haben Sie in Ihrer Forschung gewonnen, was sind die derzeitigen Fragestellungen?
Wir forschen derzeit an zwei Fragestellungen: Wer ist für eine Virotherapie geeignet und wie wirksam ist sie in Kombination mit anderen Therapien? Die erste Fragestellung ist im Bereich der Grundlagenforschung, der Präzisionsmedizin angesiedelt. Wir suchen gegenwärtig in einer Forschungsgruppe nach Biomarkern, die Tumore aggressiv oder sogar resistent gegenüber Viren machen. In dem zweiten, eher klinisch angesiedelten Bereich, wird der Frage nachgegangen, wie der Einsatz von Virotherapie die Wirksamkeit anderer Therapien beeinflusst. Das ist eine entscheidende Frage, denn Tumorpatienten sind heute häufig chronische Patienten. Um den Tumor in Schach zu halten, kann es häufig notwendig sein, Therapien zu wiederholen. Damit stellt sich natürlich die Frage, welche früheren Therapien welchen „Flurschaden“ hinterlassen haben. Wann und wie häufig kann ich als Arzt eine Therapie am Patienten wiederholen?
Welche Pläne haben Sie für Innsbruck als Forschungsstandort?
Ich leite hier in Innsbruck meine Forschungen zur Virotherapie weiter. Es gibt ja bereits ein sehr gutes Labor, das ich jetzt personell aufstocke. Noch heuer kommt noch ein Biologe von der TU München dazu, der sich seit vielen Jahren intensiv mit DNA beschäftigt sowie eine in den Fragen der Tumorbiologie erfahrene Kollegin, die auch aus Deutschland kommt.
Wie groß ist insgesamt Ihre Abteilung?
Die klinische Mannschaft besteht derzeit aus 21 Ärzten. Aber auch hier werden in den nächsten Wochen und Monaten noch Kollegen aus München dazukommen.
Das ist ja der Gegentrend – normalerweise zieht es viele Ärzte nach Deutschland, Sie holen sie nach Österreich. Was ist das Erfolgsrezept?
Ich denke, an der Universitätsklinik Innsbruck gibt es eine wirklich einmalige Chance für neue Ideen und Entfaltungsmöglichkeiten. Das hat natürlich eine Sogwirkung. Zudem ist Innsbruck die einzig aktive Onkologie in Tirol und Südtirol und ein Schwerpunktkrankenhaus. Das macht die medizinische Universität Innsbruck als Standort attraktiv.
Welche Ziele haben Sie für die klinische Abteilung?
Mein Schwerpunkt liegt neben der Grundversorgung auf der onkologischen Therapie mit gleichzeitiger Rekonstruktion. Das haben wir auch schon begonnen umzusetzen. Mit sehr gutem Feedback seitens der Patienten. Denn dabei wird in nur einer Operation sowohl der Tumor entfernt als auch das notwendigerweise zu entfernende Gewebe rekonstruiert. Die Operation dauert dadurch nicht wesentlich länger, ist aber viel schonender für den Patienten. Er muss sich nur eine Operation und auch nur einmal postoperativen Nachwirkungen unterziehen.
Ein Anliegen ist Ihnen ja auch der Nachwuchs. Welche Projekte sind hier in Planung oder laufen bereits?
Der chirurgische Nachwuchs liegt mir sehr am Herzen. Gutes und motiviertes Personal zu finden und langfristig zu binden ist eine große Herausforderung. Ich kann diese Abteilung nicht alleine als Einzelkämpfer leiten, sondern meine Pläne nur im Team umsetzen. Daher ist unser Ansatz, dass wir frühzeitig junge Kollegen für unser Fach begeistern möchten. Wir bieten zum Beispiel Trainingskurse für Studenten an, in denen sie frühzeitig Techniken zum Anschluss der Gefäße oder Osteosynthesen erlernen und üben können. Das macht auch unser Fach unter dem zukünftigen Nachwuchs bekannt.
Sie haben sich viel vorgenommen. Welche Zeitziele haben Sie sich gesteckt?
Ich habe einen 3- bis 5-Jahresplan vorgelegt. Das ist auch ein realistischer Zeitraum. Dann haben wir Zeit, junge Kollegen auszubilden, die hineinwachsen können in ihre universitäre Rolle. Und wir können eine stabile Mannschaft aufbauen. Denn nur so können wir Qualität leisten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Andreas Kolk studierte an der Universitäten Düsseldorf, München und Greifswald sowohl Medizin als auch Zahnmedizin und promovierte in beiden Fächern, 1993 in Humanmedizin, 2002 in Zahnmedizin. Im Fach Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie habilitierte er 2007. Seine beruflichen Stationen führten ihn von Kanada (Queens University Kingston, Department of General Surgery) über Düsseldorf (Pathologie-Institut der Heinrich-Heine-Universität) und Greifswald (Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität) nach München, wo er ab 1996 mehr als zwanzig Jahre tätig war und dort sowohl das Fach Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie mit entwickelt als auch sein onkologisches Forschungsgebiet über Plattenepithelkarzinome aufgebaut hat. 2011 wurde Kolk zum geschäftsführenden Oberarzt ernannt und schließlich 2014 zum apl. (außerplanmäßiger) Professor der TU München. 2016 absolvierte er zudem den MBA an der betriebswirtschaftlichen Fakultät der Universität Nürnberg-Erlangen. Mit 1. Juli 2019 wurde er als Professor für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an die Universitätsklinik Innsbruck berufen. Kolk wurde mehrfach für seine wissenschaftliche Forschung und seine Vortragstätigkeit ausgezeichnet.