21. Nov. 2019Prof. Dr. Johannes Frasnelli

Geruchssinn: Früherkennung von Parkinson und Alzheimer?

Prof. Dr. Johannes Frasnelli, Geruchsforscher und Anatomieprofessor in Québec
Amanda Tétrault

Prof. Dr. Johannes Frasnelli ist Neurowissenschaftler und Professor für Anatomie an der Universität Quebec in Trois-Rivières. Sein Spezialgebiet ist die Geruchsforschung.
In seinem kürzlich erschienenen Buch „Wir riechen besser als wir denken“ schreibt er für ein breites Publikum, wie der Geruchssinn funktioniert, über Körpergerüche und die Zusammenhänge zwischen Geruchssinn und neurodegenerativen Erkrankungen. Außerdem schildert der Südtiroler die Düfte seiner Kindheit, seiner Studienzeit in Wien und erzählt wie er zur Geruchsforschung kam.

In Ihrem Buch verbinden Sie u.a. Momente Ihrer Kindheit mit spezifischen Gerüchen. Gerüche können starke emotionale Erinnerungen wecken. Man spricht hier vom Proust-Effekt. Können Sie dieses Phänomen anhand eines Beispiels erklären?

Frasnelli: Jeder von uns kann Anekdoten dazu erzählen. Wenn man beispielsweise einen Aufzug betritt, in dem zuvor jemand ein bestimmtes Parfum aufgetragen hat, das man von einer Person kennt, überkommt einen die Erinnerung an diese Person – und die ist unmittelbar und sehr stark. Der Geruch erinnert uns nicht nur an die Person, sondern wir sehen die Person richtiggehend vor uns: Wir sehen, was sie getragen hat, sehen zum Beispiel die Farbe des Lippenstiftes und, und, und … Gerüche können ganz starke emotionale und sehr unmittelbare Erinnerungen auslösen.

Wie lässt sich dieses Phänomen neuroanatomisch bzw. physiologisch erklären?

Frasnelli: Eine der Besonderheiten des Geruchssinnes ist, dass die Regionen des Gehirns, die für die Verarbeitung des Geruchssinns verantwortlich sind, nicht exklusiv fürs Riechen zuständig sind – im Gegensatz zum Sehen und zum Hören: In der Sehrinde werden nur Sehreize verarbeitet, nichts anderes. Es gibt jedoch nicht in dem Sinn eine „Riechrinde“, sondern die Riechinformation wird im limbischen System verarbeitet, also in einer stammesgeschichtlich ganz alten Gehirnregion. Und in dieser Gehirnregion werden nicht nur die Riechreize verarbeitet, sondern auch Gefühle, Emotionen, Erinnern, Lernen und Belohnung. Für all diese Funktionen ist das limbische System zuständig.
Die Riechinformation gelangt direkt in diese Zentren und kann – durch gelernte Verbindungen zwischen Emotionen, zwischen den Gedächtnisinhalten und den Gerüchen – diese starken Emotionen auslösen.

In Philadelphia haben Sie sich mit dem Zusammenwirken einzelner Düfte in sogenannten Duftcocktails befasst. Wie viele unterschiedliche Geruchsrezeptortypen sind derzeit beim Menschen bekannt?

Frasnelli: Wir wissen, dass der Mensch ungefähr 400 verschiedene Geruchsrezeptoren hat. Das ist jedoch nicht für jeden Menschen gleich: Ich habe vielleicht 380 und Sie haben vielleicht 410. Und die 380, die ich habe, überlappen auch nicht zu 100 Prozent mit Ihren Geruchsrezeptoren.
Im Vergleich zum Hund oder der Ratte mit 1.000 beziehungsweise 1.200 Rezeptortypen ist 400 eher eine kleine Zahl. Dennoch beanspruchen Geruchsrezeptoren etwa zwei Prozent des menschlichen Genoms! Und 400 ist natürlich auch eine immense Zahl, vergleicht man sie etwa mit der Zahl der Sehrezeptoren, wo wir vier verschiedene haben: einen für schwarz-weiß und drei für Farben. Mit diesen wenigen Rezeptoren können wir das gesamte Farbspektrum des Regenbogens sehen. Und beim Riechen haben wir 100-mal mehr Rezeptoren als beim Sehen …

Gibt es in der Natur einen isolierten Duft, der spezifisch an einen Rezeptor andockt?

Frasnelli: Grundsätzlich ist es so, dass Geruchsrezeptoren nicht nur auf einen Duftstoff ansprechen und dass ein einzelner Duft auch nicht nur einen Rezeptor aktiviert. Es herrscht hier eine sogenannte Promiskuität zwischen Rezeptoren und Duftstoffen.
Es gibt schon einige Beispiele, wo tatsächlich ein Zusammenhang zwischen einem Duftstoff und einem Rezeptor zu bestehen scheint. Für die meisten der Geruchsrezeptoren wissen wir jedoch nicht, welches die besten Agonisten sind. Dazu wird ganz viel geforscht und immer wieder kommt ein neuer Geruchsrezeptor heraus, von dem wir dann wissen durch welchen Duftstoff – bzw. durch welche Duftstoffe – er gereizt wird.

Sie haben 2013 Ihre eigene Forschungsgruppe gegründet, die sich mit den Zusammenhängen zwischen dem Geruchssinn und neurodegenerativen Erkrankungen befasst. Was sind hier in Ihren Augen die bisher interessantesten Ergebnisse?

Frasnelli: Denkt man an Parkinson, so denkt man typischerweise an das Zittern, bei Alzheimer an die Demenz. Was aber noch sehr wenig bekannt ist, ist dass 95 Prozent der Patienten mit Parkinson und Alzheimer an einer Geruchsstörung leiden. Und diese Riechstörung tritt zehn bis 15 Jahre vor den anderen Störungen auf – also lange vor der motorischen Störung, vor der kognitiven Störung.
Das ist natürlich sehr interessant, weil wir hier einen potenziellen Zugang zur Früherkennung haben: In der Theorie könnten wir über den Geruchssinn erkennen, ob jemand später an Alzheimer oder Parkinson erkranken wird, und könnten versuchen, das Fortschreiten der Erkrankung frühzeitig aufzuhalten oder zumindest abzubremsen.
Wir sind nicht die Einzigen, die auf diesem Gebiet forschen. Aktuell ist eines der Ziele der Forschungsgemeinschaft, für Parkinson oder Alzheimer einen spezifischen Geruchsmarker zu finden. Man kann den Geruchssinn natürlich aus ganz vielen anderen Gründen verlieren – etwa jeder Fünfte hat einen beeinträchtigten Geruchssinn und die allermeisten davon werden nie an M. Parkinson oder Alzheimer erkranken.
Was wir in Quebec derzeit versuchen, ist, spezifische Beeinträchtigungsmuster zu entdecken, die typisch für Alzheimer oder Parkinson sind. Und wir sind da schon ein bisschen weiter gekommen: Wir haben ein solches Muster bei Parkinson-Kranken gefunden und versuchen nun, bei Patienten mit hohem Risiko, später an Parkinson zu erkranken, erstens zu sehen, ob wir dieses Muster finden, und zweitens, ob dieses Muster eine Vorhersage erlaubt.

Buchtipp:
Unter den fünf Sinnen ist der Geruchssinn am meisten unterschätzt. Dabei hat dieser direkten Einfluss auf unsere Emotionen und steuert unser Verhalten stärker als wir vermuten.
Der Neurowissenschaftler und Geruchsforscher Johannes Frasnelli erklärt, warum wir viel besser riechen, als wir denken, und was die neuesten Erkenntnisse der Geruchsforschung mit unserem Alltagsleben zu tun haben. Etwa, warum wir jemanden im wahrsten Sinne des Wortes gut riechen können, was Riechtraining mit unserem Gehirn macht, wie Ängste und Depressionen unser Riechvermögen verändern und was der Verlust des Geruchssinns mit Alzheimer zu tun hat.

ISBN 978-3-222-15037-1
Molden Verlag Wien