Der Heilung von HIV-Infektionen einen Schritt näher
Britische Forscher konnten zum zweiten Mal mal zeigen, dass eine Elimination des Virus durch eine CCR5-negative Stammzelltransplantation möglich ist. Die Arbeit stellt daher einen Grundsatzbeweis dar.
Timothy Ray Brown hatte im Jahr 2008 gleich zweimal Glück. Ärzte an der Charité Berlin hatten den Vierzigjährigen mit einer Stammzelltransplantation nicht nur von seiner akuten myeloiden Leukämie befreit, sondern auch seine, bis zu dem Zeitpunkt mit hochaktiver antiretroviraler Therapie (HAART) behandelten, HIV-Infektion eliminiert. Er war damit der erste Mensch, bei dem eine kurative Behandlung gegen die Infektion gelang, und blieb die letzten zehn Jahre lang auch der einzige – bis jetzt war es daher unklar, ob sich diese Beobachtung reproduzieren lassen würde.1
Nun könnte Medizinern dies nach dem gleichen Prinzip ein zweites Mal geglückt und damit ein Meilenstein im Kampf gegen die weltweite AIDS-Epidemie erreicht worden sein. Die erfolgreiche Therapie basiert auf einer Mutation des Stammzellspenders: In beiden Fällen hatte der Knochenmarksspender eine homozygote Mutation des CCR5-Gens, die einer funktionellen Deletion gleichkommt (CCR5 Delta32/Delta32). CCR5 wird von manchen Stämmen des HI-Virus als Corezeptor verwendet, um sich nach CD4-Bindung an eine Wirtszelle anzuheften, was ihm ermöglicht, diese zu infizieren. Menschen mit CCR5-Deletion sind daher weitestgehend resistent gegen eine HIV-Infektion.
Auf den „Berlin-Patienten“ folgt der „London-Patient“
In der Nacht auf 5. März 2019 kam die Meldung, dass der zweite Fall Patienten, bei dem durch Stammzelltransplantation das Virus eliminiert wurde im Fachmagazin Nature publiziert wird.2 Die Forschergruppe unter Leitung von Prof. Ravindra Gupta von der Universität von Cambridge untersuchte in ihrer Arbeit einen HIV-positiven Mann, bei dem aufgrund eines Hodgkin-Lymphoms eine Stammzelltransplantation angezeigt war. Das Team konnte einen passenden Knochenmarksspender mit der CCR5-Mutation ausfindig machen.
Ein Jahr nach der Knochenmarkstransplantation wurde bei dem Patienten ein Absetzversuch der HAART unternommen. Nach 18 Monaten sind seine Viruslevels nach wie vor undetektierbar. „Es ist zu früh, zu sagen, dass der Patient geheilt ist“, erklärt Studienautor Gupta. Nach drei oder vier Jahren könne man weiterreden. „Aber die Zeichen sind vielversprechend.“
Selbes Ergebnis bei unterschiedlicher Behandlung
Das findet auch Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Direktor der Abteilung Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg. „Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung, da der sogenannte ‚Berlin Patient‘ bisher weltweit ein Einzelfall war. Insofern konnte man nicht sagen, ob bei dieser einen Person ganz besondere Voraussetzungen vorlagen und das Ergebnis bei anderen Patienten selbst bei komplett gleichem Vorgehen nicht wiederholbar sein könnte. Jetzt gibt es einen zweiten ähnlichen Fall, bei dem der Verlauf zwar noch nicht so lange beobachtet werden konnte wie beim ‚Berlin-Patienten‘, bei dem aber zumindest alle bisherigen Befunde einen ähnlichen Verlauf vermuten lassen.“
Eine weitere wichtige Beobachtung bei diesem Fall war, dass beim Londoner Patient, im Gegensatz zum Berliner Patient, keine Ganzkörperbestrahlung notwendig war. Der erste Patient hatte ein harsches Konditionierungsregime vor der Transplantation erhalten (Cytarabine / Gemtuzumab, Ganzkörperbestrahlung mit 200 cGy), die mit einer fast 50-prozentigen Mortalität verbunden ist. Beim Londoner Patienten wurde nun ein milderes Regime angewandt, bei dem sich das Mortalitätsrisiko auf 10 bis 20 Prozent beläuft.
Stammzelltransplantationen nicht die Therapie der Zukunft
Dank der HAART sind die Symptome einer HIV-Infektion heute gut behandelbar. Sie reduziert – bei die Viruslast im Blut und Gewebsflüssigkeiten stark und kann damit die Symptome und das Fortschreiten der Erkrankung reduzieren. Dormante Immunzellen bilden jedoch ein hartnäckiges Reservoir für das Virus. Ein Therapieabbruch führt daher nach wenigen Wochen zu einem Wiederansteigen der Viruslast.
Knochenmarkstransplantationen sind mit wesentlich größeren Risiken verbunden als die derzeitige Standardbehandlung HAART– und werden schon deswegen nicht zur neuen Standardbehandlung von HIV-Infektionen avancieren. Stammzellspender mit homozygoten CCR5-Deletionen sind zudem sehr selten – sie kommen bei zirka einem Prozent der Bevölkerung vor. „Wenn die Transplantation nicht durch andere Grunderkrankungen erforderlich ist, wird die Stammzelltransplantation keine Option für die Heilung der HIV-Infektion darstellen,“ so Kräusslich. „Wenn allerdings bei HIV-Patienten eine zusätzliche Erkrankung auftritt, die eine Stammzell-Transplantation erfordert, sollte versucht werden, einen passenden Spender mit CCR5-Deletion zu finden.“
Doch dass der Ansatz zum zweiten Mal funktioniert hat zeigt, dass der Berliner Patient kein Ausreißer gewesen sein dürfte. Dies ist für Kräusslich ein wichtiger Ausgangspunkt für neue Therapiestrategien, denn: „Wiederholbarkeit ist ein entscheidendes Kriterium wissenschaftlicher Evidenz, insofern ist das hier berichtete Ergebnis sehr wichtig.“
Referenzen
1 Hütter G (2009): Long-Term Control of HIV by CCR5 Delta32/Delta32 Stem-Cell Transplantation. New England Journal of Medicine; 360: 692-698. DOI: 10.1056/NEJMoa0802905.
2 Gupta RK et al. (2019): HIV-1 remission following CCR5Δ32/Δ32 haematopoietic stem-cell transplantation. Nature. DOI: 10.1038/s41586-019-1027-4.