20. Sep. 2023Interview

Retinoschisis: „Extrem seltene, aber schwerwiegende Erkrankung“

Im Interview mit medonline erklärt der Salzburger Augenarzt Dr. Wolfgang Riha, warum Retinoschisis trotz ihrer Seltenheit von Fachärztinnen und Fachärzten berücksichtigt werden sollte. Eine empathische Begleitung von Patientinnen und Patienten unterstützt bei schwierigen Fragen wie jener nach einer operativen Entfernung des Auges.

Privat

Dr. Wolfgang Riha

medonline: Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit dieser Diagnose bzw. wie viele Betroffene kennen Sie?

Wolfgang Riha: Ich muss ehrlich gestehen: Ich kann mich an keinen Fall einer nachgewiesenen X-chromosomalen Retinoschisis in meiner Praxis erinnern. Auch erfahrene Kolleginnen und Kollegen, die ich befragt habe, berichteten über Jahrzehnte, nur Einzelfälle gesehen zu haben. Eine erworbene Retinoschisis beim Erwachsenen sieht man in der ophthalmologischen Praxis dagegen regelmäßig. Umso wichtiger ist es wie bei allen seltenen Erkrankungen, dass wir bei einer Sehverschlechterung im Kleinkindalter daran denken und bei Verdacht frühzeitig an ein Zentrum zuweisen.

Warum kann eine OP zur Entfernung der „Verkalkung an der Bindehaut“ notwendig sein?

Verkalkungen am erblindeten, schrumpfenden Auge (die sogenannte Phtisis) werden entfernt, wenn sie Schmerzen verursachen. Eingriffe dieser Art sind sehr selten und werden individuell geplant.

Warum kann es sein, dass bei Retinoschisis eine Amputation des Auges erforderlich ist (vgl. Bericht hier)?

Generell muss man zu erblindeten Augen sagen, dass es immer eine schwierige Entscheidung ist, ob das Auge belassen oder entfernt wird. Es muss evaluiert werden, ob die Nachteile des Auges gravierender sind als die Vorteile. Es steht da im Vordergrund, dass die Patientinnen und Patienten keine Schmerzen haben. Der zweite Aspekt ist der kosmetische: Ein geschrumpftes, getrübtes Auge ist besonders bei jungen Menschen eine psychische Belastung.

Trotzdem bleibt die Entfernung eines Auges – sie wird als Enukleation bzw. Eviszeration bezeichnet – selbst auch eine psychische Belastung. Eine entsprechende empathische Betreuung in allen Aspekten inklusive der Konsequenzen ist in diesem Fall enorm wichtig. Vor allem die optimale Versorgung danach mittels Prothese (durch spezielle Augenprothetiker) ist entscheidend. Eine optimal angepasste Prothese kann allerdings bedeuten, dass Betroffene kaum Beschwerden haben und es kosmetisch kaum auffällt.

Wie würden Sie bei Patientinnen und Patienten mit X-chromosomaler Retinoschisis dem Betreiben von Sport gegenüberstehen?

Prinzipiell stehe ich dem Betreiben von Sport auch bei Augenerkrankungen positiv gegenüber. Sicher ist eine Sportart, bei der es zu ständigen Schlägen auf den Kopf und aufs Auge kommen kann, etwa Kampfsport, nicht ideal. Indirekte Erschütterungen sehe ich weniger problematisch als direkte Traumata. Dennoch würde ich persönlich keine Kontaktsportarten, zu denen auch Fußball und Basketball zählen, empfehlen.

Was raten Sie Eltern von betroffenen Kindern bzw. was würden Sie im Falle der Diagnose von Retionschisis raten?

Bei Kindern mit Sehbehinderung durch eine angeborene Schisis sollte in jedem Fall eine Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum erfolgen, also an eine Klinik mit Netzhautschwerpunkt und eine Sehschule, wo entsprechende Erfahrung vorhanden und die optimale Betreuung gewährleistet ist. Summa summarum ist es mit einer Häufigkeit von 1:15.000 bis 1:30.000 eine extrem seltene, aber schwerwiegende Erkrankung, die man im besten Fall begleiten und deren auftretende Komplikationen therapieren kann. Es gibt schon erste Studien bezüglich Gentherapie, möglicherweise kann das in Zukunft eine Option sein.
(vgl. X-linked Retinoschisis - EyeWiki (aao.org))

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Wolfgang Riha ist niedergelassener Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie in Salzburg.
https://dr-riha.com/