Sprich mit mir

„Warum schreien Sie so?“, fragt mich ein älterer Herr. Er fragt nicht betroffen oder freundlich, sondern in der Art des Menschen, der es gewohnt ist, bedient zu werden und Befehle zu geben. Die Antwort liegt auf der Hand, ich erkläre mich trotzdem. „Sie tragen eine Maske, ich trage eine, zwischen uns ist Plexiglas, hier befinden sich zehn  Kunden, und meine Kolleginnen verstehen auch kein Wort mehr. „Dann nehmen Sie die Maske ab, kommen vor das Plexiglas und reden mit mir!“ „Das mache ich ganz sicher erst wieder, wenn die Pandemie wieder vorbei ist“, muss ich nun lachen. An seinem Blick erkenne ich, dass er das alles nicht ernst nimmt.

handgezeichnete Cartoon-Gruppe von Menschen, die hausgemachte farbige Schutzmasken tragen
iStock/NLshop

„Sprich mit mir“, denke ich selber des Öfteren, wenn KundInnen mir wortlos ihre E-Card auf die Tara werfen, in der Annahme, ich wüsste, was sie wollten. Begrüßungsformeln und einleitende Sätze sind derzeit am Aussterben, von „Bitte“ und „Danke“ rede ich gar nicht mehr. „Was darf ich tun?“, ist dann meine Standardfrage. Erstaunt sehen sie mich aus großen Augen an, bis ich ihnen erzähle, was ihre E-Card mittlerweile alles kann. Meist müssen wir dann beide lächeln, manche entschuldigen sich. Es ist eine seltsame Zeit.

Ich glaube auch mittlerweile an ein großes Sprachproblem, denn was sonst könnte der Grund dafür sein, dass Hunderte von technikaffinen eher jüngeren Menschen, alle mit Smartphones ausgestattet, es nicht schaffen, einen Termin für ihre Covid-19-Testung online zu buchen? Beziehungsweise einen QR-Code zu scannen, den wir ihnen schon servicemäßig ganz groß auf unsere Schaufensterscheiben geklebt haben? Während viele ältere Menschen, natürlich nicht alle, mit Lust sich der neueren Technik bedienen, habe ich inzwischen das dumpfe Gefühl, dass es nicht einfach Bequemlichkeit ist, die uns zu SekretärInnen macht – natürlich ist diese auch ein Fakt. Bemerkenswerterweise schaffen es aber viele nicht, ein Formular auszufüllen, das ist beim ersten Mal halt schon notwendig. Bei allen weiteren Malen haben sie dann auch keine Skrupel, eine Schlange von 20 wartenden Menschen hinter ihnen zu ignorieren und bitte 3 Termine pro Woche für die kommenden drei Monate buchen zu lassen.

Manchmal ist es besser, den Mund zu halten. Mit großer Diplomatie schaffe ich es, eine Kundin ohne Maske, aber mit ärztlichem Attest bezüglich ihrer ausgefallenen Wünsche an mich zu bedienen. Immer wieder lässt sie verschwörungstheoretische Sätze durchklingen. Als sie die Offizin verlässt und die schon grantigen KundInnen hinter ihr anherrscht, sie bräuchten sich nicht testen zu lassen, es wäre alles Schwachsinn, reißt mir doch der Geduldsfaden: „Können Sie bitte die Leute in Ruhe lassen und gehen?“

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