3. Apr. 2024Sanft den letzten Weg begleiten

Palliative Care: je früher, desto besser

Palliative Care ist eine Frage der Haltung: Sie bejaht das Leben und betrachtet das Sterben als normalen Prozess. Sowohl im Krankenhaus als auch im niedergelassenen Bereich findet tagtäglich Palliative Care statt. „Palliative Care kann und soll jeder“, ermuntert Dr. Gerold Muhri aus Graz seine niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen.

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Chinnapong/AdobeStock

„Ungeachtet der eigenen Befindlichkeit, möchte ich mich dem Leidenden und seinen An- und Zugehörigen zuwenden“, beschreibt Dr. Gerold Muhri, Palliativmediziner am KH Elisabethinen in Graz, seinen Zugang zum Fach. „Dazu gehören Unerschrockenheit, Hingehen, Dasein, in Berührung gehen, Beziehung anbieten, Halt und Sicherheit geben, Vertrauen haben und geben sowie Verlässlichkeit.“ Er möchte als Profi und Mensch „berührbar“ sein. Palliative Care sei aber nicht gleichzusetzen mit Sterbebegleitung, betont der Mediziner. „Ganz im Gegenteil: Je früher Palliative Care bei Menschen mit schweren Erkrankungen angeboten wird, desto eher kann dieser Mensch nicht nur besser, sondern häufig auch länger leben. Und das nicht nur, weil ein eventuell vorhandener frühzeitiger Sterbewunsch regelmäßig in den Hintergrund tritt.“

„Grundversorgung“ findet überall statt

Palliative Care ist aber nicht nur den Spezialistinnen und Spezialisten vorbehalten. „Sie alle leben Palliative Care in Ihrem täglichen Setting!“, ist der Mediziner überzeugt. Die „Grundversorgung“ finde in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen sowie durch die niedergelassene Ärzteschaft, mobile Dienste und Therapeutinnen und Therapeuten statt. Keine Frage: Für komplexe, schwierige Fragestellungen braucht es unterstützende (Palliativkonsiliardienste und mobile Palliativteams) und betreuende Angebote (Palliativstationen, Stationäre Hospize, Tageshospize). In jedem Fall ist Palliative Care aber multiprofessionell zu sehen, Basis ist das bio-psycho-sozio-spirituelle Modell. Die Aufgaben sind entsprechend vielfältig:

  • Linderung von Schmerzen und anderen belastenden (körperlichen) Symptomen
  • Erhaltung der Lebensqualität
  • Unterstützung der Angehörigen
  • Kommunikation, Aufklärung
  • Vorausschauende Planung, um die Autonomie und die Würde zu erhalten
  • Ermächtigung der Patientinnen und Patienten, den eigenen Willen zu erforschen

Dafür braucht es vor allem eines: Zeit. Zeit und die Bereitschaft, in Beziehung zu gehen; Zeit aufzuklären; Zeit, verborgene Ängste proaktiv anzusprechen und der Patientin bzw. dem Patienten zu helfen, diese zu überwinden. Als Beispiel nennt Muhri die Angst vieler Patientinnen und Patienten vor dem Ersticken. Indem man sie darüber aufklärt, dass es Möglichkeiten gibt, die Luftnot zu behandeln, lässt sich oft schon eine große Last von den Schultern nehmen. „Wenn die schweren Brocken erledigt sind, können auch echt lässige Gespräche entstehen, die nicht immer nur schwer und traurig sein müssen, sondern durchaus auch wunderschön und lustig sein können“, weiß der Palliativmediziner aus eigener Erfahrung. „Trotz allem“ könne der Fokus auf Hoffnung, Freuden und Wünsche gelegt werden. Denn es sei essenziell, sich mit den Wünschen der Patientin oder des Patienten auseinanderzusetzen.

Werkzeuge, um den Patientenwillen zu erforschen und zu dokumentieren, sind u.a. die Patientenverfügung, der Vorsorgedialog, das Advanced Care Planning, die Vertretungsvollmacht und das Sterbeverfügungsgesetz. Es muss aber nicht immer diese korrekte und manchmal zu aufwendige Form der Dokumentation sein, so Muhri. Wünsche und Vereinbarungen können auch in der Krankenhaus- oder Ordinations-Dokumentation, z.B. bei Einweisungen, Arztbriefen etc., vermerkt werden. Im vertrauensvollen Gespräch geht es um Fragen wie: Was beschäftigt dich jetzt, was, die Zukunft betreffend? Was sind deine Wünsche für die erwartbare Lebensphase trotz der Einschränkungen? Was könnte dir Kraft geben? Und schließlich, was sind die wesentlichen Verpflichtungen, die noch anstehen, wenn das Lebensende absehbar ist? „Indem wir die Worte Tod und Sterben aussprechen, wird ein Kanal geöffnet, der es ermöglicht, ganz wesentliche Dinge anzusprechen. Wir tun den Patientinnen und Patienten nichts Gutes, wenn wir dieses Faktum umgehen.“

Sprechen über Änderung des Therapieziels

Über eine Therapiezieländerung wird man dann sprechen, wenn die bisherige Therapie keine Lebensverlängerung oder Lebensverbesserung mehr mit sich bringt. Den Begriff „austherapiert“ sollte man in diesem Zusammenhang unbedingt vermeiden. Das Ziel kann zum Beispiel maximale Symptomlinderung sein. „Mit Versprechungen von Schmerzfreiheit oder Ähnlichem bin ich jedoch vorsichtig“, gibt Muhri zu bedenken. „Allein schon, um die tragfähige Arzt-Patienten- bzw. Mensch-Mensch-Beziehung nicht zu gefährden.“

Wichtig ist auch, mit der Patientin bzw. dem Patienten darüber zu sprechen, was NICHT sein soll: zum Beispiel künstliche Ernährung, Einweisung ins Spital, weitere Kontrolltermine, lebensverlängernde Maßnahmen. Der Fokus liegt in dieser Phase ganz auf der Lebensqualität. Was wünscht sich die Patientin oder der Patient? Was will sie oder er nicht? Eine Therapie kann sich die betroffene Person nur wünschen, wenn sie indiziert ist. „Unvernunft“ im Sinne der Ablehnung einer Therapie ist nach entsprechender Aufklärung zu respektieren.

Therapien sollen jedenfalls nur gegeben werden, solange die Patientinnen und Patienten davon profitieren und solange sie ihnen nicht schaden (Primum non nocere). Als Beispiele nennt Muhri die Ernährung über PEG-Sonde oder eine „unreflektierte“ subkutane Flüssigkeitszufuhr. Das Argument: „Das hat noch keinem geschadet“, weist der Palliativmediziner zurück. „Das stimmt schlichtweg nicht! Wenn im Sterbeprozess die Niere aufhört zu arbeiten, führen 500ml Flüssigkeit – in guter Absicht von uns verabreicht – möglicherweise zu einem hochsymptomatischen Lungenödem“, so der Mediziner. Das heißt, medizinische Maßnahmen am Lebensende wollen gut überlegt sein und sollen nicht nur aus Verlegenheit gesetzt werden.

Symptomlinderung und palliative Sedierung

Eine der ureigensten Aufgaben der Palliative Care ist die Symptomlinderung, insbesondere die Behandlung von Schmerzen. Als Grundregel für die Schmerztherapie etwa gilt: Wenn eine Steigerung der Tagesdosis nötig ist, dann sollte sie um 10% der bisherigen Tagesdosis erhöht werden. Die Therapie der Schmerzspitzen erfolgt mit einem Sechstel der Tagesdosis.

Für Ärztinnen und Ärzte, die in ihrer täglichen Praxis mit schwerkranken und sterbenden Menschen zu tun haben, stehen „Palliative Care Apps“ zur Verfügung. Sie können helfen, wenn es um Symptomlinderung bei Schmerzen, Atemnot, Angst, Fatigue oder Delir geht. Auch der „Leitfaden Palliativmedizinische Notfälle“* kann niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in schwierigen Fragestellungen Hilfe bieten. Darin findet man zum Beispiel Medikamente zur Symptomlinderung, die subkutan oder intranasal verabreicht werden können, um so die Betreuung der Patientinnen und Patienten zuhause zu erleichtern.

Bei hohem Leidensdruck und absehbarem Lebensende besteht die Option einer palliativen Sedierung als Ultima Ratio, wenn die Symptomlinderung durch ein spezialisiertes Team nicht ausreichend greift. Die frühzeitige Aufklärung unter Einbindung der Angehörigen ist dafür unbedingt notwendig, so der Experte abschließend.

Zur Person:

Elisabethinen Graz

Dr. Gerold Muhri ist Facharzt für Innere Medizin, Palliativmediziner, Flugrettungsarzt bei der ÖAMTC-Flugrettung und Notarzt beim Österreichischen Roten Kreuz. Er ist Leiter der Palliativstation am KH Elisabethinen in Graz, des St. Elisabeth Hospiz und des Vinzidorf-Hospiz für obdachlose Menschen.

Zudem beraten er und sein Team andere Stationen und Krankenhäuser im Rahmen des Palliativkonsiliardienstes. Gerne steht Dr. Muhri telefonisch oder via Mail für Rückfragen zur Verfügung!
Telefon: 0316/7063 6254
E-Mail: gerold.muhri@elisabethinen.at

Quelle: „Hausärztliche Palliativmedizin“, 53. Kongress für Allgemeinmedizin, 25.11. 2023, Graz