Melatonin, der Wächter des Schlafs
Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel wird für verschiedene Schlafstörungen eingesetzt, könnte aber künftig auch andere Anwendungsgebiete finden.
Melatonin (N-Acetyl-5-Methoxytryptamin) ist ein biogenes Amin, das in mehreren Geweben des Körpers synthetisiert wird, etwa im Darm, in der Netzhaut und in der Zirbeldrüse. Seine Biosynthese führt über L-Tryptophan, 5-HTP und Serotonin. Die Umwandlung von Serotonin zu Melatonin erfolgt dann in einem zweistufigen Prozess mit Acetyl-CoA und S-Adenosylmethionin (SAMe) als Cofaktoren. Dieser Vorgang ist abhängig vom Lichteinfall auf die Netzhaut: Kurz nach dem Einsetzen der Dunkelheit steigt die Produktion des „Schlafhormons“ an, gipfelt zwischen 2 und 4 Uhr morgens, fällt in der zweiten Nachthälfte ab und ist tagsüber vergleichsweise niedrig. Pro Tag produziert die Zirbeldrüse etwa 0,1–0,9mg des „Schlafhormons“.
Über komplexe Interaktionen mit den suprachiasmatischen Kernen des Hypothalamus und mit der Netzhaut ist Melatonin an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus des Körpers beteiligt. Es hat eine schlafanstoßende Wirkung und erhöht die Schlafneigung, beeinflusst aber die Schlafarchitektur und die REM-Phasen nicht. Verschiedene Faktoren können die Melatoninproduktion negativ beeinflussen: etwa höheres Lebensalter, viel künstliches Licht mit hohem Blauanteil, der Genuss von Alkohol und Nikotin, Jetlag und Schichtarbeit sowie chronischer Stress.
Health Claims
„Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen“: Diese Angabe darf nur für Lebensmittel verwendet werden, die 1mg Melatonin je angegebener Portion enthalten. Zudem müssen Verbraucherinnen und Verbraucher darüber unterrichtet werden, dass sich die positive Wirkung einstellt, wenn kurz vor dem Schlafengehen 1mg Melatonin aufgenommen wird.
„Melatonin trägt zur Linderung der subjektiven Jetlag-Empfindung bei“: Diese Angabe darf nur für Lebensmittel verwendet werden, die mindestens 0,5mg Melatonin je angegebener Portion enthalten. Zudem müssen Verbraucherinnen und Verbraucher darüber unterrichtet werden, dass sich die positive Wirkung einstellt, wenn am ersten Reisetag kurz vor dem Schlafengehen sowie an den ersten Tagen nach Ankunft am Zielort mindestens 0,5mg aufgenommen werden.
Steckbrief
Enthalten in …
Melatonin wurde in sehr geringen Mengen in vielen Lebensmitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs nachgewiesen. Die ermittelten Werte schwanken stark. Im Obst findet es sich z.B. in Sauerkirschen, Kirschen, Kiwi, Trauben, Orangen und Ananas, im Gemüse in Paprika, Tomaten und Pilzen. Des Weiteren ist es in verschiedenen Nüssen und Kernen (Pistazien, Mandeln), in Milch und in Getreidesorten (Hafer, Weizen, Gerste) enthalten.
Melatonin in Pflanzen erhöht vermutlich die Widerstandsfähigkeit der Pflanze gegenüber Stressfaktoren wie Trockenheit, Kälte und UV-Strahlung und fungiert als Wachstumsregulator.
Mögliche Anwendungsgebiete
Gemäß der genehmigten Health Claims dienen Melatonin-haltige Nahrungsergänzungsmittel
• zur Verkürzung der Einschlafzeit und
• zur Vermeidung oder Linderung der subjektiven Jetlag-Empfindung.
Arzneispezialitäten mit Melatonin sind für unterschiedliche Indikationsgebiete registriert:
• Kurzzeitige Behandlung der primären, durch schlechte Schlafqualität gekennzeichneten Insomnie bei Personen ab 55 Jahren
• Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen ab 2 Jahren mit Autismus-Spektrum-Störung und/oder Smith-Magenis-Syndrom
• Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen ab 6 Jahren mit ADHS
• Kurzzeitbehandlung von Erwachsenen mit Jetlag
Melatonin ist Gegenstand der Forschung zu weiteren möglichen Anwendungsgebieten, deren Datenlage jedoch noch unzureichend ist – unter anderem als Antioxidans, zur Migräneprophylaxe, zum Einsatz bei Morbus Alzheimer, Krebs, Infektionen und metabolischen Störungen.
Praxistipps
- Als Einschlafhilfe sollte Melatonin am besten zu gleichbleibenden Zeiten eingenommen werden.
- Die Einnahme unretardierter Präparate wird im Allgemeinen eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen empfohlen, die Einnahme von Retardprodukten 1–2 Stunden vor dem Zubettgehen.
- Nicht retardiertes Melatonin hat eine Halbwertszeit von etwa 40 Minuten und sollte vor allem bei Einschlafstörungen eingesetzt werden. Retardiertes Melatonin ist besser für Störungen mit nächtlichem Aufwachen geeignet.
- Zur Vermeidung bzw. zur Reduktion von Jetlag ist Melatonin sehr gut wirksam. Es soll erwachsenen Reisenden empfohlen werden, die über 5 oder mehr Zeitzonen fliegen (bei Bedarf auch bei 2–4 Zeitzonen), insbesondere in östlicher Richtung und wenn sie auf früheren Reisen Jetlags hatten. Bei Jetlag wird unretardiertes Melatonin bevorzugt, da es höhere Spitzenkonzentrationen erzeugt. Die Einnahme wird bei Ankunft am Zielort zur ortsüblichen Schlafenszeit begonnen und einige Tage fortgesetzt.
- Leitlinien sprechen keine generelle Empfehlung für Melatonin zur Behandlung von Insomnien aus. Begründet wird dies mit der geringen Wirksamkeit bei dieser Indikation.
- Nach einer Stellungnahme der Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin kann Melatonin unter bestimmten Voraussetzungen bei Kindern eingesetzt werden, die unter dem verzögerten Schlafphasensyndrom leiden oder bestimmte neuropsychiatrische Erkrankungen haben (z.B. ADHS, Autismus-Spektrum-Störung, neurologische Entwicklungsstörungen). Für den Einsatz von Melatonin bei Schlafstörungen bei ansonsten gesunden Kindern und Jugendlichen mit primärer Schlafstörung gibt es keine Empfehlung.
- Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) spricht sich gegen eine unkontrollierte Einnahme Melatonin-haltiger Nahrungsergänzungsmittel (NEM) vor allem über einen längeren Zeitraum aus. Aus Sicht des BfR sollten bestimmte Personenkreise von der unkontrollierten Anwendung Melatonin-haltiger Nahrungsergänzungsmittel ausgenommen werden: Kinder und Jugendliche, Schwangere und Stillende, Frauen mit Kinderwunsch, Personen mit eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion sowie Personen mit Autoimmunerkrankungen oder Epilepsie.
- Als unerwünschte Wirkungen werden Kopfschmerzen, Albträume, Benommenheit und verminderte Aufmerksamkeit genannt.
Im Wechselspiel
- Hemmstoffe von CYP1A2 können die Melatoninexposition erhöhen (Fluvoxamin, Chinolone, Cimetidin).
- Induktoren von CYP1A2 können den Abbau von Melatonin beschleunigen (z.B. Carbamazepin, Rifampicin oder Tabakrauchen).
- Alkohol setzt die Wirkung von Melatonin auf den Schlaf herab, eine Kombination ist zu vermeiden.
- Die Kombination mit Benzodiazepinen oder Z-Substanzen wird aufgrund möglicher additiver Effekte nicht empfohlen.
Quellen:
- Minich DM et al. Is Melatonin the “Next Vitamin D”?: A Review of Emerging Science, Clinical Uses, Safety, and Dietary Supplements. Nutrients 2022; 14(19): 3934
- Austria Codex Fachinformation
- EU Register on nutrition and health claims
- Pereia N et al. Influence of Dietary Sources of Melatonin on Sleep Quality: A Review; J of Food Science; Vol 85, Issue 1, Pages 5–13. https://doi.org/10.1111/1750-3841.14952
- orthomol.com, abgerufen am 21.8.2024
- Boutin JA, Kennaway DJ, Jockers R. Melatonin. Facts, Extrapolations and Clinical Trials. Biomolecules. 2023 Jun 5; 13(6):943. doi: 10.3390/biom13060943. PMID: 37371523; PMCID: PMC10295901.
- Herxheimer A, Petrie KJ. Melatonin for the prevention and treatment of jet lag. Cochrane Database of Systematic Reviews 2002, Issue 2, Art. No.: CD001520
- Stellungnahme Nr. 038/2024 des BfR vom 8. August 2024, Melatoninhältige Nahrungsergänzungsmittel: BfR weist auf mögliche Risiken hin, https://www.bfr.bund.de/cm/343/melatoninhaltige-nahrungsergaenzungsmittel-bfr-weist-auf-moegliche-gesundheitsrisiken-hin.pdf, abgerufen am 21.8.2024
- S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen bei Erwachsenen, AWMF Reg. Nr. 063-003
- Einsatz von Melatonin bei Kindern mit Schlafstörungen – Stellungnahme der Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.V. (DGSM), https://www.dgsm.de/fileadmin/dgsm/Arbeitsgruppen/paediatrie/Melatonin_Kindesalter_2018.pdf, abgerufen am 21.8.2024