Thiamin – das erste unter den B-Vitaminen

Lebensmittelzutaten – frisches Fleisch, Weizen, Pistazien und grüne Bohnen – flache vektorillustration lokalisiert auf weiß.
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1929 erhielt Christiaan Eijkman den Nobelpreis für die Entdeckung des „antineuritischen Vitamins“, mit dem die einst gefürchtete Beri-Beri-Krankheit verhindert werden konnte. Die Struktur von Thiamin wurde erst 1936 durch den polnischen Biochemiker Casimir Funk entschlüsselt. Unter dem Begriff „Vitamin B1“ versteht man verschiedene Verbindungen mit Thiaminwirkung. Im Körper kommt Thiamin in freier Form und als Mono-, Di- und Triphosphat vor.¹ 80 Prozent des Gesamtkörperthiamins liegen als Thiamindiphosphat vor¹: Dieses stellt die physiologisch aktive Form dar und fungiert als Coenzym verschiedener Enzyme im Kohlenhydrat-, Energie- und Aminosäurenstoffwechsel. Wichtige Thiamin-abhängige Enzyme sind z.B. der Pyruvat-Dehydrogenasekomplex (Einschleusung von Kohlenhydratmetaboliten in den Citratzyklus durch oxidative Decarboxylierung von Pyruvat zu Acetyl-CoA) oder die Alpha-Ketoglutarat-Dehydrogenase im Citratzyklus.² Gemäß dem letzten Österreichischen Ernährungsbericht (2017) wird die empfohlene Zufuhr für Vitamin B1 bei Frauen und Männern aller Altersgruppen zwar im Mittel erreicht – jedoch liegen 52,2 Prozent der Frauen und 43,2 Prozent der Männer unter der empfohlenen Zufuhr.³ Eine Unterversorgung mit Thiamin betrifft häufig Personen mit chronischem Alkoholabusus, Diabetiker:innen und Senior:innen.⁴ Mangelsymptome zeigen sich vor allem an Organen und Geweben mit einem hohen Glucose- bzw. Energieumsatz, z.B. am Nervensystem, Gehirn und kardiovaskulären System.⁴

Health Claims

Folgende Health Claims wurden von der EFSA genehmigt⁵:

  • Thiamin trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei.
  • Thiamin trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems bei.
  • Thiamin trägt zur normalen psychischen Funktion bei.
  • Thiamin trägt zu einer normalen Herzfunktion bei.

Steckbrief

Enthalten in …

Als wichtigste Quellen von Thiamin gelten alle Arten von Vollkorngetreide, Nüsse, Fleisch und Fisch sowie Hülsenfrüchte.¹ Milchprodukte und Obst sind hingegen schlechte Thiaminlieferanten. Thiamin ist wasserlöslich und hitzelabil, daher kommt es beim Zubereiten von Lebensmitteln zu relevanten Verlusten (bis zu 30%).1,4

Erhöhter Bedarf/Mögliche Anwendungsgebiete

Der Thiaminbedarf ist nicht konstant, sondern abhängig von der zugeführten Energiemenge (Mindestbedarf des Erwachsenen: 0,33mg Thiamin pro 1.000kcal)⁴. Bei erhöhtem Energiebedarf/-umsatz ist daher ein erhöhter Thiaminbedarf zu berücksichtigen, z.B. bei Sportler:innen und Schwerstarbeiter:innen, in der Schwangerschaft und Stillperiode. Einseitige Ernährungsgewohnheiten (Fast Food, Weißmehl, polierter Reis, weißer Zucker, hochverarbeitete Kohlenhydrate) und eine hohe Energiezufuhr aus Kohlenhydraten begünstigen eine Unterversorgung. Die häufigste Ursache eines Thiaminmangels in den Industrienationen ist der chronische Alkoholabusus.⁴ Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1 und 2, Herzinsuffizienz oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen sind häufig mit Thiamindefiziten verbunden.² 20 bis 30 Prozent der Senior:innen sind mit Thiamin unterversorgt – als Ursache werden Mangelernährung im Alter, verringerte Resorption und interagierende Medikamente angesehen (z.B. Diuretika)¹.

Symptome bei Mangel

Marginale Defizite führen zu unspezifischen Symptomen wie Konzentrationsproblemen, Appetitlosigkeit, depressiver Symptomatik und Muskelschwäche. Fortdauernde Unterversorgung äußert sich in Neuropathien, Krämpfen und Lähmungserscheinungen sowie Bradykardie, Herzinsuffizienz und kardialem Lungenödem.⁴ Die Thiaminmangelkrankheit ist auch als Beri-Beri-Krankheit bekannt. Unterschieden werden die trockene Beri-Beri mit neurologischen Störungen und die feuchte Beri-Beri mit Beteiligung des Herz-Kreislauf-Systems. Eine Sonderform ist das Wernicke-Korsakow-Syndrom, das bei Thiaminmangel aufgrund von chronischem Alkoholabusus auftritt und sich in Gedächtnis- und Orientierungstörungen, Ataxie und Bewusstseinsstörungen sowie Paresen der Augenmuskeln äußern kann.²

Praxistipps

  • Thiamin wird nur in geringen Mengen in der Leber gespeichert und besitzt eine kurze Halbwertszeit. Bei thiaminarmer Ernährung können Defizite daher schon nach zwei bis drei Wochen auftreten.¹
  • Orales Thiamin besitzt eine äußerst geringe Toxizität, auch bei höheren Dosierungen.²
  • Thiaminhydrochlorid und Thiaminnitrat sind gebräuchliche Formen von Thiamin in pharmazeutischen Präparaten. Einige Präparate enthalten Thiamin bereits als Thiamin-diphosphat (TDP, syn. Thiaminpyrophosphat), welches die physiologisch aktive Hauptwirkform von Vitamin B1 darstellt.
  • Benfotiamin ist ein lipidlösliches Prodrug von Thiamin aus der Gruppe der Allithiamine. Es wird im Körper rasch in Thiamin umgewandelt. Sein Vorteil liegt in der besseren Bioverfügbarkeit, es werden höhere Plasmakonzentrationen erzielt.
  • Auf einen ausgeglichenen Magnesiumhaushalt achten: Magnesiummangel hemmt die Aktivierung von Thiamin zu TDP.²
  • Aufgrund der vernetzten Stoffwechselfunktionen der B-Vitamine ist die Supplementierung von Thiamin oft im Komplex mit den anderen B-Vitaminen sinnvoll.

Im Wechselspiel

  • Furosemid⁶ erhöht die Thiaminausscheidung über die Nieren, beeinträchtigt die Thiaminaufnahme in die Kardiozyten.
  • Alkohol⁶ hemmt den aktiven Transport von Vitamin B1 im Darm, stört die Bildung der aktiven Wirkform TDP, die Speicherung in der Leber und die Thiaminverwertung, fördert Thiaminverluste über die Nieren.
  • Phenytoin⁶ stört die Resorption/Utilisation, möglicherweise erhöhte Metabolisierung und Abbau durch Enzyminduktion in der Leber.
  • 5-Fluorouracil⁶ hemmt die Phosphorylierung zu TDP, steigert den Abbau und beeinträchtigt die endogene Utilisation von Vitamin B1.
  • Einige Lebensmittel enthalten Antithiamine, die den Thiaminstatus verschlechtern können (z.B. Gerbstoffe in Kaffee/Tee). Dies spielt jedoch bei üblichen Verzehrmengen keine Rolle.⁴

Quellen

  1. Biesalski H.K., Vitamine, Spurenelemente und Minerale, Thieme Verlag 2019, 2. AFL
  2. Gröber U., Mikronährstoffe, Metabolic Tuning-Prävention-Therapie, WVG Stuttgart 2011
  3. Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien, Österr. Ernährungsbericht 2017
  4. Podlogar J., Smollich M., Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente; Beratungswissen für die Apothekenpraxis, DAV 2019, 1. AFL
  5. EU Register on nutrition and health claims
  6. Gröber U., Arzneimittel und Mikronährstoffe, Medikationsorientierte Supplementierung, WVG Stuttgart, 4. AFL 2018