Verzweigtkettige Aminosäuren: ab in den Muskel!

Chemische Formel von Leucin auf futuristischem Hintergrund
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Man nennt sie auch kurz „BCAA“: die verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Valin und Isoleucin. Das Trio arbeitet Hand in Hand und ist besonders bei Sportlern beliebt.

Zu den proteinogenen verzweigtkettigen Aminosäuren (VKAS) zählen Leucin, dessen Konstitutionsisomer Isoleucin und Valin. Unter Sportlern sind sie besser bekannt als „branched-chain amino acids“ (BCAA). Alle drei zählen zu den essenziellen Aminosäuren – sie müssen daher zwingend über die Nahrung zugeführt werden. Sie reagieren neutral und besitzen eine verzweigte aliphatische Seitenkette. Der wichtigste Ort für die Speicherung und Metabolisierung der BCAA ist nicht, wie bei vielen anderen Aminosäuren, die Leber, sondern die Muskulatur.¹,² Rund ein Drittel des gesamten Muskelproteins setzt sich aus diesen drei verzweigtkettigen Aminosäuren zusammen.³

BCAA wirken einerseits proteinogen und sind daher unverzichtbare Bestandteile für den Aufbau von Eiweißstrukturen, insbesondere von Muskelgewebe. Zusätzlich können sie aber auch als Substrate für die Energiegewinnung dienen.⁴ Insbesondere bei intensiven, lang anhaltenden Belastungen können sie zur Gewinnung von Glucose herangezogen werden und stabilisieren so den Energiehaushalt und Blutzucker des Sportlers. Im Extremfall können sie etwa 10 Prozent der Energie zur Verfügung stellen.³ BCAA sind auch wichtige Stickstoffquellen für die Synthese der Neurotransmitter Glutamat und GABA im Gehirn.² Leucin dient möglicherweise auch als Signalgeber für eine Senkung des Proteinabbaus² (antikataboler Effekt). Es ist überdies auch ein potenter Stimulator des Schlüsselenzyms mTOR, was mit der Stimulation der Muskelproteinsynthese (anaboler Effekt) in Verbindung gebracht wird.²

Aufgrund dieser physiologischen Effekte werden die BCAA im Kraft- und Ausdauersport gern mit folgenden Wirkungen in Verbindung gebracht: den Muskelaufbau zu fördern, den Muskelabbau zu hemmen, belastungsinduzierte Muskelschäden hintanzuhalten und die Regeneration zu verbessern. Auch die Verzögerung von Ermüdungserscheinungen und verbesserte kognitive Leistungen werden ihnen zugeschrieben.⁵

Im medizinischen Bereich werden BCAA bei chronischen Lebererkrankungen eingesetzt, um die Ammoniakentgiftung im Gehirn zu fördern und so Enzephalopathien zu behandeln oder vorzubeugen.¹

Health Claims

Für die BCAA wurden noch keine Health Claims von der EFSA definiert. Ein Antrag zur Etablierung verschiedener Health Claims (unter anderem zu Muskelwachstum, Muskelregeneration, kognitiver Funktion und Immunsystem) wurde 2010 zurückgewiesen.⁵

Steckbrief

Ursachen eines Mangels¹

  • Ernährungsbedingt: Reduktionsdiäten, Malnutrition, Hungerzustände
  • Frühgeborene
  • Physischer Stress und Leistungssport
  • Leberdysfunktion, Polytrauma, Sepsis

Enthalten in …

Als Bestandteile der Nahrungsproteine finden sich die Aminosäuren in unterschiedlichen Verhältnissen ubiquitär in eiweißhältigen Lebensmitteln. Über die Nahrung werden sie immer in Verbindung mit anderen Aminosäuren aufgenommen.² Gute Quellen für Leucin und Isoleucin sind verschiedene Fleisch- und Fischsorten, aber auch Erdnüsse, Kidneybohnen, einige Käsesorten und Kürbiskerne. Valin findet sich in höheren Mengen z.B. in Fleisch und Fisch, Eiern, verschiedenen Käsesorten sowie in Erdnüssen, Kichererbsen und Cashewnüssen.⁴ Unter den Getreiden sind Hafer und Hirse gute BCAA-Quellen.⁴ Molkeprotein bzw. Molkeproteinisolate („Whey“-Produkte) sind besonders reich an verzweigtkettigen Aminosäuren und daher als BCAA-reiche Nahrungsergänzung im Handel.

Erhöhter Bedarf / Mögliche Anwendungsgebiete

  • Sportliche Aktivität (Ausdauersport und Kraftsport)¹
  • Sarkopenie⁶ (fortschreitender Muskelverlust im Alter), in Kombination mit gezieltem Bewegungstraining
  • Behandlung und Vorbeugung von latenten und manifesten Hirnfunktionsstörungen bei chronischer Lebererkrankung (Arzneimittelbereich)¹

 Symptome eines Mangels¹

  • Allgemeine Abgeschlagenheit
  • Verlust an Muskelmasse, verschlechterte Regeneration
  • Beeinträchtigte Ammoniakentgiftung
  • Zerebrale Funktionsstörungen, Beeinträchtigungen der Immunfunktion

Praxistipps

  • Zur Regenerationsförderung nach der Belastung sollten BCAA nach dem Training eingenommen werden. Zur Reduktion belastungsinduzierter Muskelschäden und zur Stabilisation des Energiestoffwechsels wird die Einnahme vor dem Training empfohlen.
  • Das amerikanische Food and Nutrition Board empfiehlt zur Deckung des täglichen Bedarfs der essenziellen Aminosäuren eine tägliche Zufuhr von 42 mg Leucin, 19 mg Isoleucin und 24 mg Valin pro kg Körpergewicht für Erwachsene.²
  • Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat anhand von Daten aus Tierversuchen eine Ableitung von Orientierungswerten für tolerierbare zusätzliche Tageszufuhren vorgenommen.² Damit sind Tagesmengen gemeint, die zusätzlich zur Zufuhr über die übliche Ernährung aufgenommen werden können und die nach gegenwärtigem Wissensstand wahrscheinlich kein oder nur ein geringes Risiko für unerwünschte Wirkungen haben (z.B. veränderte Ammoniakblutspiegel). Diese betragen:
    • 4 g pro Tag für Leucin
    • 2,2 g pro Tag für Isoleucin
    • 2 g für Valin
    • und entsprechend 8,2 g pro Tag für die BCAA gesamt.

    Diese Werte gelten für Erwachsene. Für Kinder/Jugendliche, Schwangere/Stillende gelten die Werte nicht. Ihnen wird empfohlen, auf relevante isolierte Zufuhrmengen zu verzichten. Personen mit eingeschränkter Nierenfunktion sollten vor dem Verzehr relevanter isolierter Zufuhrmengen Rücksprache mit dem Arzt halten. Dies gilt auch für Menschen, die eine Diät mit geringer Proteinzufuhr befolgen, da hier eventuell ein höheres Risiko für Aminosäure-Imbalancen besteht. Die drei Aminosäuren sollten nicht einzeln, sondern möglichst in Kombination eingenommen werden.²

  • Die sehr seltene Ahornsirupkrankheit (Maple Syrup Urine Disease, MSUD) beruht auf einem autosomal-rezessiv vererbten Enzymdefekt, bei dem der Abbau von Leucin, Valin und Isoleucin behindert ist. In der Folge kommt es zur Akkumulation der Aminosäuren und ihrer Abbauprodukte im Körper. Die MSUD wird bereits im Rahmen des Neugeborenen-Screenigs diagnostiziert. Im Rahmen der Therapie sind eine lebenslange Reduktion eiweißreicher Nahrungsmittel und Zugabe von BCAA-freien Aminosäuregemischen nötig, da es ansonsten zu schweren Stoffwechselentgleisungen mit letalem Ausgang kommen kann.

Im Wechselspiel:

  • Tryptophan und die BCAA konkurrieren miteinander bezüglich des Transports über die Blut-Hirn-Schranke. Erniedrigte BCAA-Level können die zentrale Aufnahme von Tryptophan daher erleichtern und dadurch eventuell Ermüdungseffekte begünstigen.⁴ Umgekehrt können hohe BCAA-Level die zentrale Aufnahme von Tryptophan (und auch von Tyrosin) reduzieren.
  • Die isolierte Substitution von BCAA kann Aminosäuren-Imbalancen begünstigen.²

Quellen

¹Gröber U., Mikronährstoffe, Metabolic Tuning-Prävention-Therapie, WVG Stuttgart 2011

²Bundesinstitut für Risikobewertung; Nahrungsergänzungsmittel – Isolierte verzweigtkettige Aminosäuren können bei hoher Aufnahme die Gesundheit beeinträchtigen, Stellungnahme Nr. 052/2019 des BfR vom 20. Dezember 2019

³Rajkovic N., Mikronährstoffe im Sport, Diplomarbeit am Institut f. pharmazeutische Wissenschaften Graz, 2011

⁴Spona I., Spona J., Vitalquelle Aminosäuren; Verlagshaus der Ärzte, 2. AFL 2017

⁵ EFSA, Scientific opinion on the substantiation of health claims related to BCAA, https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2010.1790

⁶Park M.K. et al, The effect of branched chain amino acid supplementation on stroke-related sarcopenia, Frontiers in Neurology, vol.13, 2022