Taurin – die vielseitige Aminosulfonsäure

Gegrilltes Steak wird auf einem Schneidebrett in Scheiben geschnitten. Bitte sehen Sie mein Portfolio für andere lebensmittelbezogene Bilder.
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Bei ihren Experimenten zum Thema Verdauung isolierten die deutschen Chemiker Leopold Gmelin und Friedrich Tiedemann 1827 aus Ochsengalle jene Substanz, die später „Taurin“ genannt wurde. Die vielseitigen Aufgaben der 2-Aminoethan-Sulfonsäure sind bis heute Gegenstand der Forschung.

Physiologie

Chemisch gesehen handelt es sich bei Taurin um eine 2-Aminoethan-Sulfonsäure.¹ Die Biosynthese der Substanz findet hauptsächlich in der Leber und im Gehirn statt. Sie erfolgt aus der schwefelhältigen Aminosäure Cystein (bzw. dessen Vorläufer Methionin) durch Oxidation der SH-Gruppe und anschließender Decarboxylierung, an welcher aktiviertes Vitamin B6 beteiligt ist.² Taurin wirkt nicht proteinogen.³ Es ist, nach Glutamin, die am höchsten konzentrierte Aminosäure im Pool freier Aminosäuren und in der Zellflüssigkeit.³ Im Körper eines gesunden Mannes mit 70 kg sind 30–70 g Taurin enthalten.⁴ Hohe Taurinmengen finden sich im Zentralnervensystem, in der Netzhaut des Auges und den Lympho- und Thrombozyten.³

In der Gallenflüssigkeit liegt Taurin als Taurocholsäure vor, einem Konjugat der primären Gallensäure Cholsäure mit Taurin.¹ Die Bindung an Taurin verbessert die Löslichkeit der Gallensäure, Taurin ist dadurch also in den Vorgang der Fettresorption und am enterohepatischen Kreislauf involviert. Weiters beeinflusst es als Wachstumsmodulator die Entwicklung des Zentralnervensystems, der Netzhaut des Auges und der Herzfunktion.³ An der Retina werden ihm protektive Effekte zugeschrieben, die unter anderem auf den Schutz vor oxidativen Schäden zurückgeführt werden (z.B. Schutz der Photorezeptoren vor Lipidperoxidation).³ Taurin besitzt ausgeprägtes antioxidatives Potenzial und wird daher als Antioxidans für den Zellschutz genützt. Im Bereich der Immunabwehr steigert es die Immunkompetenz durch Hemmung der Apoptose von Immunzellen.³ Es besitzt auch eine entzündungshemmende Wirkung sowie Aufgaben im Bereich der Entgiftung von Xenobiotika.³ Wichtige Funktionen sind die Stabilisierung von Zellmembranen, die Aufrechterhaltung der zellulären Calciumhomöostase und die Osmoregulation. Am Herzmuskel wirkt Taurin positiv inotrop (schlagkrafterhöhend), antiarrhytmisch und schützt die Herzmuskelzellen vor einer Calciumüberladung.³

Unwahr sind Behauptungen, nach denen Taurin aus dem Stierhoden gewonnen wird bzw. wurde. In Nahrungsergänzungsmitteln verwendetes Taurin wird synthetisch hergestellt.⁵

Health Claims

Für Taurin liegen keine Health Claims vor.

Steckbrief

Vorkommen

Taurin findet sich natürlicherweise in der menschlichen Nahrung, und zwar ausschließlich in tierischen Lebensmitteln. Gute Taurinquellen sind zum Beispiel Fleisch (vor allem Hühner-, Rind-, Schweine- und Lammfleisch), Fisch und Meerestiere, aber auch Eier, Milch und Milchprodukte.⁵ Auch die Muttermilch enthält Taurin.⁶ In veganen Lebensmitteln findet sich die Substanz nicht.

Bedarf

Taurin wird sowohl über Nahrungsmitteln und Muttermilch aufgenommen als auch endogen im Stoffwechsel gebildet. Es wird als bedingt essenziell eingestuft (d.h. kann unter bestimmten Bedingungen Essenzialität erlangen).³ Als essenziell gilt es für Frühgeborene und Kleinkinder³, weshalb auch manche Babynahrungen Taurin enthalten. Mischköstler führen über die Ernährung etwa 50–400 mg⁷ Taurin zusätzlich täglich zu, während Veganer kaum Taurin über die Ernährung enthalten. Empfehlungen für eine angemessene tägliche Zufuhr existieren nicht.

Mögliche Anwendungsgebiete

  • Anwendung als potentes Antioxidans (unter anderem bei degenerativen Augenerkrankungen)
  • Zur Unterstützung der Gallenfunktion (z.B. Gallensteine, postoperative Cholestase)
  • Herz-Kreislauferkrankungen (positiv inotrop, blutdrucksenkend, antiarrhythmisch)
  • Unterstützung im Sport (antioxidativ, fraglich auch Verbesserung von Ausdauer und Kraft, zelluläre Magnesium-ATP-Fixierung)
  • Immunkompetenz
  • Versorgung pädiatrischer Patientengruppen, für die Taurin essenziell ist

Mangelsymptome³

Zu den möglichen Folgen eines Mangels zählen Wachstumsretardierung (z.B. Neugeborene), Störungen der Gallensäurekonjugation und des Leberstoffwechsels, degenerative Erscheinungen der Retina, neurologische und zerebrale Dysfunktion, Schäden am Herz-Kreislaufsystem (z.B. Kardiomyopathien) und Immunschwäche.

Ursachen eines Mangels

Die Biosynthese von Taurin kann durch einen Mangel an Cofaktoren eingeschränkt werden (Methionin, Cystein, Vitamin B6).⁴ Bei langfristiger veganer Ernährung fehlt die Taurinzufuhr über die Nahrung und der Körper ist auf die endogene Synthese angewiesen. Bei totaler parenteraler Ernährung muss Taurin wie auch andere semiessenzielle Aminosäuren mitberücksichtigt werden.

Praxistipps

  • Für die optimale Resorption sollte Taurin zwischen den Mahlzeiten eingenommen werden.
  • Die Tagesdosis sollte über den Tag verteilt werden.

Im Wechselspiel

  • Koffein, Alkohol und andere Komponenten von Energydrinks

Energydrinks sind laut österreichischem Lebensmittelbuch⁸ alkoholfreie Erfrischungsgetränke, denen mindestens 150 mg/l Koffein zugesetzt werden und die zusätzlich meist andere Stoffe enthalten, insbesondere Taurin, Glucuronolacton, Inosit, Vitamine u.a. Der Referenzwert für Taurin liegt bei 400 mg/100 ml Getränk, also 4 g pro Liter.⁸ Je nach Portion werden dadurch also im Allgemeinen wesentlich höhere Mengen Taurin aufgenommen als mit der Normalkost.² Diese koffeinhaltigen Energydrinks werden oft mit Alkohol und mit starker körperlicher Aktivität kombiniert (exzessives Tanzen, Sport mit starkem Flüssigkeitsverlust). Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung weist in mehreren Stellungnahmen auf mögliche Interaktionen zwischen Ethanol, Koffein, Taurin und weiteren enthaltenen Stoffen sowie den Effekten starker physischer Anstrengung hin. Es hält fest, dass bei größeren Mengen von Energydrinks in Zusammenhang mit Alkohol oder sportlicher Betätigung unerwünschte Wirkungen nicht ausgeschlossen werden können.⁸

Quellen

  1. Teuscher E., Lindequist U., Melzig M., Biogene Arzneimittel, Lehrbuch der pharm. Biologie, 8. AFL, WVG Stuttgart 2020
  2. Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, Koffeinhaltige Limonaden mit mehr als 250 mg Koffein/l sowie mit Zusatz von Taurin, Inosit, Glucuronolacton und Guaranaextrakt, Stellungnahme vom 24.1.2002
  3. Gröber U., Mikronährstoffe, Metabolic Tuning-Prävention-Therapie, WVG Stuttgart 2011
  4. Eidle C. E., Diplomarbeit, Ergogene Substanzen im Sport, eine ernährungsphysiologische Beurteilung von L-Carnitin, Kreatin, Coffein, Taurin und Cholin, Universität Wien 2009
  5. www.gesundheit.de
  6. Sternowsky H.J., Die Bedeutung unterschiedlicher Konzentrationen von Taurin in Muttermilch und künstlicher Nahrung. In: Ewerbeck H. (eds) Beikost in der Säuglingsernährung. Pädiatrie: Weiter- und Fortbildung. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-70238-9_4
  7. www.mikronährstoffcoach.com
  8. www.lebensmittelbuch.at
  9. BfR, Neue Humandaten zur Bewertung von Energydrinks Information Nr. 016/2008 des BfR vom 13. März 2008