“Beim Sport muss die Vernunft immer eine Stimme haben”
Medical Tribune: Worauf muss man achten, damit man als motivierter Hobbysportler verletzungsfrei durch den Herbst kommt?
Dr. Mirela Borovac: Zunächst einmal muss man sich vor Augen halten, dass der Herbst nicht einfach eine Verlängerung des Sommers ist. Das klingt selbstverständlich, doch wenn man beispielsweise abends joggen geht, vergisst man leicht die früh eintretende Dunkelheit. Auch die veränderte Wetterlage, die Glätte, Nässe und Rutschgefahr mit sich bringt, sorgt natürlich dafür, dass das Verletzungsrisiko steigt.
Gibt es einen Risikofaktor, der besonders hervorzuheben ist?
Wie sieht es mit Selbstüberschätzung aus?
Selbstüberschätzung und falscher Ehrgeiz sind ein grosses Problem, etwa bei Bergwanderungen. Man setzt sich – verständlicherweise – gern eine stolze Höhe als Ziel, hat aber gleichzeitig vergessen, die eigene Fitness einzuschätzen. Ist man sich das Wandern nicht gewohnt, kommt es naturgemäss zu ungewohnten Belastungen. Die Vernunft muss beim Sport immer eine Stimme haben. Merkt man, dass Muskulatur und Konzentration nachlassen und der Ablauf nicht mehr wie gewohnt funktioniert, ist eine Pause angezeigt.
Welche Verletzungen sind die häufigsten?
Bei naturverbundenen Sportarten kommt es häufig zu Bänderverletzungen am Knie oder dem Sprunggelenk. Zu erwähnen sind auch kleine Wunden, Insektenstiche und Brüche.
Stellen Sie bei Art und Häufigkeit von Verletzungen Unterschiede zwischen den Geschlechtern fest?
Das Verletzungsprofil hängt vor allem von der Sportart ab. Grundsätzlich sind Frauen beim Sport vorsichtiger als Männer. Man darf aber nicht vergessen, dass sie generell ein schwächeres Muskel- und Skelettsystem besitzen.
Welche Sportarten sind die gefährlichsten?
Ganz klar die Extremsportarten wie Gleitschirmfliegen, Basejumping, Motorsport oder Downhill-Mountainbike. Wenn sich diese Sportler verletzen, handelt es sich fast immer auch um ernsthafte Blessuren. Vergleicht man normales Laufen und Biken, ist eine Differenz schwierig auszumachen. Es kommt ganz darauf an, wie sich der Einzelne im jeweiligen Sport verhält und wo er ihn ausübt, ob er das Gelände kennt oder nicht.
Man liest immer wieder, dass auch das Unterbewusstsein einen Einfluss auf das Verletzungsrisiko haben soll. Wer mit Freude Sport treibt, sei weniger anfällig als jemand, der sich wegen Gewichtsproblemen zum Training zwingen muss...
Es ist tatsächlich so, dass manche Ärzte solche Beobachtungen machen. Und wer explizit sagt «Ich will mich nicht verletzen», ist für eine Verletzung anfälliger. Höchstwahrscheinlich ein kausaler Zusammenhang, der aber wissenschaftlich noch nicht bewiesen wurde.
Wie kann man Verletzungen vorbeugen?
Ein sorgfältiges allgemeines Aufwärmprogramm ist unverzichtbar, erst recht bei kühleren Temperaturen. Danach sollte man noch sportartspezifische Übungen machen. Man muss zwischen zehn und dreissig Minuten investieren, senkt aber das Verletzungsrisiko erheblich. Ausserdem wird dadurch die körperliche Leistungsfähigkeit deutlich verbessert – und während der Aufwärmphase findet die psychologische Vorbereitung statt. Trotzdem haben viele Hobbysportler leider keine Lust, das so wichtige Programm abzuspulen. Das Dehnen nach dem Sport ist die beste Vorbereitung auf das nächste Mal und daher sehr wichtig. Es spricht Sehnen und Muskelfasern an.
Stichwort Material: Braucht man als Hobbyläufer spezielle Schuhe oder gar eine Laufanalyse, um auf Nummer sicher zu gehen?
Es empfiehlt sich, Laufschuhe in einem Fachgeschäft zu kaufen, wo man auf eine gute Beratung zählen kann und herausfindet, ob man Vorfuss- oder Fersenläufer ist, was freilich grossen Einfluss auf die Wahl des Schuhwerks hat. Eine Laufanalyse bei Menschen ohne laufassoziierte Erkrankung halte ich aber für übertrieben. Sinnvoll ist sie erst, wenn eine Problematik entsteht.
Welche speziellen Ratschläge geben Sie Übergewichtigen und älteren Menschen?
Übergewichtige sollten sich einer gelenkschonenden Sportart zuwenden und statt laufen lieber zuerst schwimmen. Senioren kann der Arzt bei der Auswahl des richtigen Sports behilflich sein – indem er ihren körperlichen Status erhebt und sie entsprechend berät.
Ab welchem Schweregrad einer Verletzung ist der Besuch beim Arzt zu empfehlen?
Wenn bei einer kleinen Verletzung nach den üblichen ersten Therapieschritten – Pause, Eis, Compression/Druck, Hochlagerung – keine Linderung eingetreten ist, sollte man sofort einen Mediziner aufsuchen. Generell gilt: im Zweifelsfall lieber zum Arzt.
Haben Sie ein Beispiel?
Ein Bekannter ist beim Mountainbiken gestürzt. Zuerst dachte er, es sei ihm nichts weiter zugestossen als eine einfache Prellung. Später stellte sich heraus, dass er sich doch eine ausgedehnte Ruptur eines Muskel zugezogen hatte. Was als Bagatellverletzung erscheint, kann durchaus schlimmer sein. Hier ist vom Sportler selbst eine gute Einschätzung der Lage gefordert. Letztendlich ist es besser, einmal zu viel als einmal zu wenig einen Arzt zu konsultieren.
Sie haben die PECH-Regel angesprochen: Pause, Eis, Compression/Druck, Hochlagerung. Was bewirken diese Schritte?
Hier geht es in erster Linie um schmerzlindernde und abschwellende Massnahmen. Auf diese Weise wird der Heilungsverlauf positiv beeinflusst. Lassen Sie es mich an einem Beispiel erklären: Wenn man morgens mit dem Sprunggelenk umknickt und das Bein einfach runterhängen lässt, sind abends eine dicke Schwellung und arge Schmerzen die Folge. Die Heilung dauert dann mindestens eine Woche. Eine solche Leidenszeit lässt sich durch die konsequente Anwendung der PECH-Regel vermeiden.
Was gehört in eine gut sortierte Hausapotheke, um Sportverletzungen in der ersten Phase beizukommen?
Ein Kühlspray, steriles Verbandsmaterial für Wundabdeckung und Druckverbände, eine gute Sportsalbe und nichtrezeptpflichtige Schmerzmittel.
Welche Rolle spielt die berühmte Tube Schmerzgel, die viele Hobby-Sportler in ihrem Necessaire haben?
Eine entzündungshemmende und schmerzlindernde Salbe oder Gel ist eine gute ergänzende Massnahme. Wichtig ist, dass man die Salbe nicht auf offene Wunden appliziert, das machen viele Leute falsch.
Kann die richtige Ernährung dabei helfen, mit Freude Sport zu treiben?
Auf jeden Fall. Eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung ist das A und O für die Leistungsfähigkeit, auch bei Hobbysportlern. Eine einseitige Ernährung kann zum Beispiel einen Eisenmangel verursachen, dem Körper fehlt so der Sauerstoffträger.