Kardiovaskuläre autonome Neuropathie: unterschätzter Feind des Diabetikers
Die Prävalenz der kardiovaskulären autonomen diabetischen Neuropathie (KADN) ist hoch: Bis zu 17 % der Typ-1-Diabetiker und 22 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes sind betroffen – bei Insulinabhängigkeit sogar bis zu 40 %. Die KADN ist mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko verknüpft (Relatives Risiko, RR 3,65), wie eine Metaanalyse von 15 Studien mit Beobachtungszeiträumen von bis zu 16 Jahren zeigte.
Bei Patienten mit fortgeschrittener autonomer Neuropathie und orthostatischer Hypotonie erhöhten sich die Letalitätsraten auf bis zu 16–35 % nach fünf Jahren, berichten Dr. Julian Eduardo Forero-Gómez von der Asociación IPS Médicos Internistas de Caldas in Manizales, Kolumbien, und Kollegen.
Tachykardien und stumme Infarkte als Manifestationen
Die KADN sollte keinesfalls als diabetische Spätkomplikation betrachtet werden. Vielmehr weisen die Experten darauf hin, dass das subklinische Stadium bereits innerhalb eines Jahres nach der Diagnose eines Typ-2-Diabetes nachweisbar sei.
Als klinische Manifestationen der KADN nennt Dr. Forero-Gómez u.a. Ruhetachykardien, stumme Myokardischämie und peri- sowie intraoperative kardiovaskuläre Labilität (siehe Kasten). Wobei Ruhetachykardien und die Abnahme der Herzfrequenzvariabilität zu den frühen Anzeichen gehören. Auch elektrokardiographisch kann eine KADN ins Auge fallen, etwa durch Verlängerung des QTc-Intervalls aufgrund von Hyperinsulinämie, Hyperglykämie sowie akuter Hypoglykämie. Außerdem weisen die Autoren darauf hin, dass die autonome kardiovaskuläre Neuropathie per se mit einem erhöhten Risiko für stumme Myokardischämien (SMI) verknüpft ist (Odds Ratio, OR 6,5).
Klinisch sollte bei Diabetespatienten beachtet werden, dass beim Belastungstest möglicherweise erst verzögert pektanginöse Beschwerden angegeben werden. Auch atypische, anderweitig nicht erklärbare Symptome während der Belastung gelten als mögliche kardiovaskuläre Risikoindikatoren, z.B.: Desorientiertheit, Fatigue, Übelkeit, Erbrechen, Hämoptysis, Schwitzen, Arrhythmien, Husten und Dyspnoe.
Operationszwischenfälle sind gefürchtet
Gefürchtet sind bei Diabetikern mit kardialer Neuropathie vor allem Operationszwischenfälle. Bereits während der Narkoseeinleitung können Puls- und Blutdruckwerte plötzlich abfallen, intraoperativ sind schwere Hypothermien möglich. Gegebenenfalls müssen vasopressorisch wirksame Substanzen eingesetzt werden.
Diagnostisch empfehlen die Autoren, die autonomen Einflüsse auf die kardiale Funktion indirekt mithilfe von Reflextests (siehe Tabelle) zu messen. Im Verdachtsfall raten sie zu folgender Basisdiagnostik:
- Messung der Herzfrequenzantwort bei tiefer Inspiration, im Liegen und Stehen (HR-Test)
- Valsalva-Manöver
- Blutdruckantwort nach schnellem Aufstehen messen (Orthostase-Test)
Als bestätigt gilt die Diagnose der kardiovaskulären autonomen Neuropathie, wenn zwei oder drei HR-Tests auffällig waren. Bei gleichzeitiger orthostatischer Hypotonie ist von einem fortgeschrittenen Stadium auszugehen. Demgegenüber legt ein einziger pathologischer HR-Test eine KADN allenfalls nahe oder spricht für ein Frühstadium.
Von Anfang an den Zucker gut einstellen!
Als kausaler Therapieansatz gilt eine gute Stoffwechseleinstellung – und zwar von Anfang an, d.h. ab der Diagnose eines Diabetes mellitus. Hypoglykämien und eine erhöhte glykämische Variabilität sollten vermieden werden. Außerdem erinnern die Autoren daran, bei Diabetespatienten kardiovaskuläre Risikofaktoren strikt zu kontrollieren.
*Conventional cardiovascular autonomic reflex test
Quelle: Forero-Gómez JE et al. E-journal of Cardiology Practice 2016; online first