Wartezeiten ärgern auch die Ärzte

Wartezeiten
Lange Wartezeiten auf einen Termin beim Facharzt sind ein Thema, das weltweit die Gemüter erregt. Ein deutscher Arzt hat darüber sogar ein Buch geschrieben. (Medical Tribune 35/2017)

Haben Sie sich auch schon einmal darüber geärgert, dass Patienten wegen der Wartezeit auf einen Termin ungehalten waren, vielleicht sogar ihrem Frust lautstark am Tresen Luft gemacht haben? Der Hamburger Orthopäde Dr. Matthias Soyka kennt das Problem. Er hat es zum Anlass genommen, ein Buch über den „Wahnsinn Wartezeit“* zu schreiben. Wie der Autor im Gespräch mit Medical Tribune erklärt, gibt es in seiner Praxis nur ein Thema, das zu einem großen Dissens zwischen Mitarbeitern und Patienten führt: dass Patienten für spezielle Schmerztherapie-Termine bis zu einem halben Jahr warten müssen. Allerdings gelte das nicht für Notfälle, diese würden noch am selben Tag behandelt. Soyka ist in einer Sportmedizinpraxis in Hamburg als Orthopäde, Schmerztherapeut und Reha-Arzt tätig. Eine lange Wartezeit ist für ihn ein Indiz, dass die Patienten seine Arbeit schätzen. Das zeige sich darin, dass sie größtenteils geduldig sind. „Je bekannter, umso größer ist die Nachfrage“, lautet seine Schlussfolgerung.

Warum gibt es dennoch diese teils emotionalen Termin-Diskussionen, die für alle Beteiligten eine „quälende Angelegenheit“ sind, fragte sich der Arzt. (Er schreibt im Buch von „meckrigen 10 %“.) Im Restaurant sei schließlich eine lange Wartezeit auch ein Indiz für gute Arbeit – und hier würden die Gäste sie gern in Kauf nehmen. Und international gesehen seien die Wartezeiten auf einen Termin beim Arzt in Deutschland sogar kurz. Soyka nennt Zahlen: Nach einer Studie des Commonwealth Fund und der OECD von 2010 müssen in Deutschland nur 17 % der Patienten länger als vier Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten. In anderen Ländern wie Schweden sind es 55 %. Zur Situation Österreich gibt es leider keine validen Daten (siehe unten).

Quelle: Commonwealth Fund International Health Policy Surveys

In Gesprächen mit Patienten kristallisierte sich für den Spezialisten heraus, dass vielen die Probleme der Vertragsärzte nicht ausreichend bekannt sind. Patienten sehen oft nur den einzelnen Arzt und nicht das System. Viele Kollegen, auch in Österreich, werden ihre persönlichen Erfahrungen beim Lesen bestätigt finden. Es geht um demografischen Wandel, Bedarfsplanung, Bürokratie, Portalpraxen, Arzteinkommen, Terminservicestellen, erfundene Krankheiten, „Ärzte als Kodierungsknechte“ und so weiter. Das Thema Wartezeiten empfindet Soyka als hochgepuscht durch Politik und Medien. „Die Leute werden angespitzt, es wird Politik gegen Ärzte gemacht, ohne Rücksicht darauf, dass damit das gute Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten beeinträchtigt wird.“

Dr. Matthias Soyka Orthopäde, Sportmediziner und Schmerztherapeut in Hamburg
Dr. Matthias Soyka
Orthopäde, Sportmediziner und Schmerztherapeut in Hamburg

Das Thema werde stark überzeichnet, kritisiert der Arzt, zugleich würden die künftig deutlich längeren Wartezeiten aber heruntergespielt. Soyka ist sicher, dass in zehn Jahren – wenn 30 bis 40 % der heutigen Ärzte in Rente sind und sich junge Ärzte nicht mehr niederlassen, weil sie in Anstellung mehr verdienen und ihnen das finanzielle Risiko einer Praxis zu hoch ist – Patienten auf Termine deutlich länger werden warten müssen. Kritisch betrachtet Soyka auch „kluge Ratschläge“ von Beratern zur Optimierung des Wartezeitenmanagements. In den meisten Fällen seien die Praxen bereits gut organisiert. Es gebe jedoch keine planbare konstante Durchschnittsdauer einer Konsultation, die Probleme der Patienten seien nicht standardisierbar.

* Dr. Matthias Soyka: Wahnsinn Wartezeit, Verlag Books on Demand, Norderstedt, 16,99 Euro, ISBN: 9783744812771

ÖÄK-Vizepräsident Steinhart: „Wartezeiten werden wohl zunehmen“

In Deutschland warten laut OECD 17 Prozent der Patienten länger als vier Wochen auf einen Facharzttermin. Wo liegt Österreich?

Dr. Johannes Steinhart: Dazu gibt es keine aktuellen validen Daten. Aus stichprobenhaften Umfragen bei Kassen­ärzten wissen wir, dass es in elektiven Situationen mitunter zu Wartezeiten von zwei oder drei Monaten kommen kann. Das ist keine befriedigende Situation, aber nicht Schuld der Ärzte, sondern der Gesundheitspolitik und Sozialversicherungen. Patienten mit Akutproblemen werden generell noch am selben Tag behandelt.

Werden Wartezeiten aufgrund von Ärztemangel zwangsläufig länger oder kann das durch neue Modelle oder technischen Fortschritt kompensiert werden?

In einer Situation einer wachsenden und älter werdenden Gesellschaft bei gleichzeitig rückläufigen Kassenarzt-Zahlen und einer bevorstehenden Pensionierungswelle bei Ärzten werden die Wartezeiten wohl zunehmen, wenn nicht gegengesteuert wird. Dass Primärversorgungszentren ein wirksames Rezept gegen die Ausdünnung des niedergelassenen Bereichs sind, kann wohl niemand ernsthaft glauben. Auch Telemedizin kann den Arztbesuch nicht ersetzen.

Was müsste getan werden?

Natürlich kann man Organisationen immer verbessern und viele Ärzte bemühen sich auch, die Wartezeiten zu verkürzen. Der springende Punkt ist aber, dass wir die von der Ärztekammer seit Jahren geforderten 1300 zusätzlichen Kassenarztpraxen brauchen, und dafür müssen die Rahmenbedingungen der kassenärztlichen Tätigkeit verbessert werden. Das bedeutet angepasste Honorare, weniger zeitfressende Bürokratie und keine Deckelungen. Generell geht es um die Verschiebung von Ressourcen in den niedergelassenen Bereich.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune