
Ein Finanz-EKG für Ärzte
„Benchmarking“ heißt die Methodik, mit der Betriebe ihre wirtschaftliche Performance optimieren können. Die Ärzte- und Apothekerbank hat ein eigenes Tool für Ärzte entwickelt, das Kunden kostenlos zur Verfügung steht. (Medical Tribune 27-28/18)
Aus der Not eine Tugend gemacht. So könnte man, überspitzt formuliert, die Entstehungsgeschichte des Finanz-EKG für Ärzte in einem Satz zusammenfassen. Prokurist Harald Reigl von der Österreichischen Ärzteund Apothekerbank AG erklärt den Hintergrund: „Von unseren Kunden erhalten wir jedes Jahr den Jahresabschluss. Diesen brauchen wir für die automatisierte Bonitätsprüfung, um unser mögliches Ausfallsrisiko – man spricht vom ,possible default‘ – zu ermitteln, welches wir in unseren Kennzahlen darstellen müssen. Aus diesen anonymisierten Daten haben wir ein Benchmarking entwickelt, das wir unseren Kunden zur Verfügung stellen können. Ärztinnen und Ärzte, die bei uns Kunden sind, können dieses Service kostenlos in Anspruch nehmen.“
Fehlentwicklungen
Was ein Benchmarking bringt, ist rasch erklärt. Wer seine betriebswirtschaftlichen Kennzahlen (Umsatz, Personalkosten, Gewinn etc.) mit denen von anderen Arztpraxen vergleichen kann, ist in der Lage, rasch Fehlentwicklungen festzustellen und gegebenenfalls entgegenzusteuern. Zwar bieten solche Benchmarkings für Ärzte auch Steuerberater an, der Vorteil der von der Österreichischen Ärzte- und Apothekerbank entwickelten Lösung liegt aber im Umfang der Datensätze, die verwendet werden: Mehrere tausend Datensätze fließen in die Software ein. „Aufgrund der Fülle unseres Datenmaterials können wir die Daten auch kategorisieren und stellen auf diese Weise sicher, dass nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden“, erklärt Reigl. Kategorien sind zum Beispiel das Bundesland, in dem der Arzt oder die Ärztin tätig ist, die Fachrichtung oder ob es sich um einen Wahl- oder Kassenarzt handelt.
Auch ob der Arzt in einer ländlichen oder städtischen Region tätig ist oder ob die Praxis schon länger als fünf Jahre besteht, spielet beim Benchmarking eine Rolle. „Verglichen werden immer die Kennzahlen des letzten und vorletzten Jahres mit der Benchmark – sprich den durchschnittlichen Zahlen vergleichbarer Arztpraxen. Der Arzt erhält dadurch schnell einen guten Überblick über seine betriebswirtschaftliche Situation“, erläutert Harald Reigl. Mithilfe der Auswertungen kann man auch in die Tiefe gehen und so feststellen, wo es möglicherweise Probleme im Betrieb des Arztes gibt. „Wenn etwa der ‚Scheinwert‘, also jener Wert den der Arzt pro Patient pro Quartal von der Krankenkasse erhält, deutlich schlechter ist als die Benchmark, kann man tiefer gehen und nach den Ursachen forschen“, erzählt Reigl aus der Anwendungspraxis.
Ausreißer bei den Kosten
Aber auch Personalkosten oder die Höhe der Miete für die Arztpraxis können einem Benchmarking unterzogen werden. „Es ist wichtig festzuhalten, dass wir in unseren Beratungsgesprächen nicht beurteilen und Empfehlungen abgeben. Wir sind nur der datenmäßige Begleiter des Arztes. Durch den Vergleich mit anderen kann der Arzt aber gut feststellen, wo es Ausreißer, etwa bei den Kosten, gibt“, sagt Reigl. Sollte sich aufgrund des Zahlenmaterials herausstellen, dass Kosteneinsparungen notwendig sind, so kann der Arzt die entsprechenden Maßnahmen mit seinem Steuerberater besprechen. Eingesetzt wird das Finanz- EKG von der Ärzte- und Apothekerbank einerseits bei den Beratungsgesprächen mit Ärzten, die bereits eine Praxis betreiben, und andererseits in der Praxisgründerberatung. Für Gruppenpraxen gibt es derzeit noch kein Finanz-EKG, weil „wir da noch nicht genügend statistisch relevantes Datenmaterial“ haben, wie Reigl erklärt.
Gründerberatung
Der Experte ergänzt: „In der Gründerberatung ist das Finanz-EKG ein besonders wertvolles Werkzeug, weil der Arzt, der eine Praxis gründen oder auch übernehmen will, ein besseres Gefühl für seine Einnahmen und Ausgaben bekommt.“ Das Finanz-EKG ermöglicht dem Arzt eine Plausibilitätsprüfung seiner Planrechnung und kann so mithelfen, böse Überraschungen zu vermeiden. „Was die Kostenseite einer Arztpraxis betrifft, so liefert das Finanz-EKG schon in der Gründungsphase ziemlich genaue Daten, bei den Einnahmen hängt natürlich vieles noch in der Luft. Aber man kann mithilfe des Finanz-EKG schon im Vorfeld Planungsvarianten durchrechnen und zum Beispiel Worst-Case-Szenarien entwickeln“, sagt Reigl. So kann etwa schon im Vorhinein berechnet werden, was passiert, wenn die Praxis beispielsweise nur 80 Prozent des geplanten Umsatzes abwirft.
Zusätzliche Tools des Finanz-EKG ermöglichen auch eine genaue Planung der anstehenden Investitionen etwa in Geräte, die EDV oder die Einrichtung. Das Tool berücksichtigt in diesem Fall die fristenkonforme Abschreibung. Außerdem ist auch ein Zinsenrechner integriert, der etwa die laufenden Kosten für Kredite ermitteln kann. Für Ärzte, die ihre Praxis übergeben wollen, ist das Finanz-EKG ebenfalls ein hilfreiches Tool. Harald Reigl: „Durch das Benchmarking kann der Status quo im Vergleich mit anderen Praxen erhoben werden, und der Arzt erhält einen guten Überblick über den tatsächlichen Wert seiner Praxis.“
Mehr als 200 Einsätze im Jahr
Wie oft das Finanz-EKG derzeit eingesetzt wird? „Ich gehe davon aus, dass es allein in der Gründungsberatung 200 bis 250 Mal im Jahr zum Einsatz kommt. Der Einsatz bei der Beratung bestehender Praxen ist dabei noch nicht mitgerechnet“, erklärt Reigl. Die Software wird laufend weiterentwickelt und stetig an neue gesetzliche Regelungen angepasst. „Derzeit planen wir gerade einen großen Relaunch“, verrät Reigl. So ist unter anderem vorgesehen, das Finanz-EKG künftig auch für Apotheken zur Verfügung zu stellen. Für Kunden der Österreichischen Ärzte- und Apothekerbank ist das Finanz-EKG wie erwähnt kostenlos.
Begriffserklärung
Benchmarking Das Wort „benchmark“ kommt aus dem Englischen und ist eine Zusammensetzung aus den beiden Wörtern „bench“ („Sitzbank“, „Werkbank“) und „mark“ („Zeichen“). Ursprünglich wurde der Begriff „bench-mark“ im Vermessungsmessen eingesetzt. Benchmarking (steht sinngemäß für „Maßstäbe vergleichen“) bezeichnet die vergleichende Analyse von Ergebnissen (z.B. Unternehmensergebnissen) oder Prozessen mit einem festgelegten Bezugswert (in unserem Fall den Kennzahlen vergleichbarer Arztpraxen) oder einem Bezugsprozess. Benchmarking wird nicht nur in der Betriebswirtschaft eingesetzt, sondern kommt auch in zahlreichen anderen Bereichen wie etwa der Informationstechnologie zum Einsatz. Mithilfe des betriebswirtschaftlichen Benchmarkings können Schwachpunkte in einem Betrieb identifiziert und darauf aufbauend Verbesserungen vorgenommen werden.