Fall der Woche: Eine Sportallergie – gibt es das?

Illustration: Kim Novak

Der Fall. „Gut, dass Sie noch da sind“, begrüßt Frau J. (38 J.) Sie, kurz vor Schließung Ihrer Ordi. „Entschuldigen Sie mein Outfit, ich komme direkt vom Joggen. In letzter Zeit bekomme ich dabei immer diesen Ausschlag, sehen Sie nur.“ Ausgeprägte Urtikaria an allen Extremitäten sowie am Stamm und starke Flushreaktion im Gesicht. „Ich habe mich endlich überwunden, mehr Sport zu treiben und trainiere für einen Frauenlauf ca. dreimal die Woche. Aber wenn ich abends gehe, bekomme ich diese seltsamen Beschwerden: Hitzegefühl, Herzrasen, Ausschlag, Juckreiz, Bauchschmerzen. Meistens ist mir dann auch so schwindlig, dass ich abbrechen muss. Wenn ich morgens vor dem Frühstück jogge, passiert das komischerweise nie, aber das schaff ich leider nur selten. Was kann das nur sein?“ Keine Vorerkrankungen oder Dauermedikation, keine Allergie. RR 140/80 mmHg, P 80, Temp. 37°C, Cor und Pulmo unauffällig. Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose und worauf muss die Patientin von nun an achten? (ärztemagazin 04/18)

„Wahrscheinlich liegt eine anstrengungsinduzierte Anaphylaxie vor“

Dr. Christine Bangert,
FÄ f. Dermatologie, OÄ der Allergie Ambulanz der MedUni Wien, Kooperationsärztin Juvenis Medical Center, Wien
Die Patientin leidet wahrscheinlich unter einer nahrungsmittelabhängigen anstrengungsinduzierten Anaphylaxie (FDEIA) – einer IgE-mediierten, mastzellabhängigen Reaktion, die typischerweise nach Aufnahme eines Nahrungsmittelallergens in Kombination mit körperlicher Anstrengung auftritt. Die Symptome entsprechen denen einer Anaphylaxie mit Beteiligung der Haut und Schleimhaut (Urtikaria, Angioödeme, Juckreiz) sowie anderer Organsysteme wie Lunge, Herz-Kreislauf-System und Gastrointestinaltrakt (Asthma bronchiale, Blutdruckabfall, Tachykardie, Erbrechen, Diarrhö). Die Ausprägung der Symptome kann mit lediglich urtikarieller Hautbeteiligung bis hin zur schweren Anaphylaxie mit Bewusstseinsverlust sehr unterschiedlich sein. Die Beschwerden treten meist innerhalb von zwei Stunden nach dem Verzehr des Aller­gens und anschließender körperlicher Anstrengung auf. Wichtig ist, dass die Nahrungsmittel ohne körperliche Aktivität gut toleriert werden. Der häufigste Auslöser einer FDEIA ist Weizen, daneben finden sich aber auch andere Nahrungsmittelallergene als Auslöser.

Diagnostisch steht die detaillierte klinische Anamnese am Anfang: Welche Lebensmittel hat die Patientin vor dem Laufen verzehrt? Wie viel zeitlicher Abstand war zwischen Mahlzeit und sportlicher Aktivität? Um die Diagnosestellung zu erleichtern, sollte die Patientin ein Tagebuch über Nahrungsmittelverzehr und Aktivitäten führen. Es empfiehlt sich eine klassische Allergiediagnostik mit Hautprick­testungen inhalativer Allergene und von Nahrungsmittelallergenen sowie, wenn dies zur Identifizierung des auslösenden Allergens nicht ausreicht, eine spezifische Prick-to-Prick-Testung mit verdächtigen Lebensmitteln. Weiterhin sollten das Gesamt-IgE, spezifisches IgE gegen mögliche Allergene und Tryptase zum Ausschluss einer Mastzellerkrankung erfolgen. Die endgültige Diagnose kann mittels einer Provokationstestung mit anschließender körperlicher Belastung im stationären Setting gestellt werden. Therapeutisch wird die unbedingte Meidung des auslösenden Nahrungsmittels empfohlen. Die Patientin sollte zudem ein Notfallset, bestehend aus Antihistamin, Steroid und Adrenalinautoinjektor, erhalten.

„Eine Sportallergie kann im Extremfall zum anaphylaktischen Schock führen“

Dr. Christian Quint,
FA f. HNO-Heilkunde und Phoniatrie, Wien, www.hno-quint.com
Ich beruhige Frau J. und verabreiche ihr ein Antihistaminikum. Im Rahmen der Anamnese frage ich ausführlich nach Nahrungsmitteln, die sie möglicherweise immer vor dem Abendsport zu sich nimmt. Krustentiere, Weizenmehl und Alkohol scheinen bei diesem Krankheitsbild eine besondere Rolle zu spielen. Aber auch Energydrinks, Sellerie, Karotten, Äpfel, Tomaten, Mais, Bananen, Nüsse, Käse und Fleisch sind problematisch. Die Patientin gibt daraufhin an, öfter abends Shrimpssalat zu essen und dann nach ein bis zwei Stunden laufen zu gehen. Ebenso frage ich nach Medikamenten, die sie regelmäßig einnimmt. NSAR sind mögliche Auslöser einer EIA. Eine Abhängigkeit der Beschwerden von ihrer Periode negiert die Patientin. Weiters exploriere ich Faktoren wie Sportausübung bei kaltem oder feuchtem Wetter und Kontakt der Haut mit Kleidungsstücken und Kunststoffteilen von Sportgeräten.

Der Bericht der Patientin weckt in mir den Verdacht, dass sie an einer sogenannten Sportallergie (engl. Exercise Induced Anaphylaxis, EIA) leidet, die im Extremfall zum anaphylaktischen Schock führen kann.Da die Pathogenese der Erkrankung noch weitgehend unerforscht ist, beschränke ich mich bei meiner Diagnostik auf einen Allergietest, der auch eine Austestung auf Nahrungsmittel und Histamin­intoleranz beinhaltet. Ich bestärke Frau J., weiter Sport auszuüben, rate aber zu Vorsichtsmaßnahmen. Sie solle kaltes, feuchtes Wetter meiden und ihr Trainingspensum langsam steigern. „Essen Sie bitte sechs Stunden vor dem Training nichts und meiden Sie Sport während Ihrer Periode“, rate ich ihr. Wenn bei dem noch ausstehenden Allergietest eine Pollenallergie diagnostiziert werden sollte, empfehle ich, körperliche Anstrengungen während des Pollenflugs zu meiden. Ich rezeptiere einen Adrenalin-Autoinjektor, den Frau J. von nun an beim Training immer mit sich führen muss, und empfehle ihr, nicht alleine zu trainieren. „Training in der Gruppe macht mehr Spaß und ist in Ihrem Fall sicherer“, gebe ich ihr noch auf den Heimweg mit.

„Die Symptome sind am ehesten Ausdruck einer Histamin-Abbaustörung“

Dr. Peter H. Lauda,
FA f. Anästhesie u. Inten-sivmed., Arzt f. Allgemeinmed., Leiter Diagnostik- und Therapiezentrum f. Orthomolekulare Medizin, Wien, www.drlauda.at
Es gibt selbstverständlich keine „Sportallergie“, Bewegung ist des Menschen wichtigste Medizin, wie schon vor mehr als 2300 Jahren vom griechischen Arzt und Philosophen Hippokrates vollkommen richtig erkannt wurde. Ursache der von der Patientin geschilderten Symptome sind wohl am ehesten als Histamin-assoziiert zu betrachten und Ausdruck einer Histamin-Abbaustörung und somit einer „erworbenen“ „pseudo-allergi­schen“ Reaktion, in erster Linie aufgrund von Vitamin C-, Mangan-, Kalzium-, B6- und Molybdän-Mangel und auch toxischen Umweltbelastungen, kausal dürften weiters Entgiftungsdefizite der Phase I (Cytochromsystem) + II (Glutathionebene – Leber), oxidativer und nitrosativer Stress sowie eine Störung im Bereich des intes­tinalen Mikrobioms sein, das ebenfalls am Histaminstoffwechsel beteiligt ist. Biochemisch kommt es durch die körperliche resp. gesteigerte muskuläre Aktivität bei dieser jungen Frau zur Freisetzung und in weiterer Folge, aufgrund des nicht zeitgerechten Abbaus, zur Kumulation von Histamin, getriggert auch über andere Gewebshormone wie Serotonin, Eikosanoide, Plasmaproteine und Stickstoffmonoxid NO.

Vonseiten der Mikronährstoffe sind im Wesentlichen Vitamin C, Mangan, Zink, Methionin, Molybdän, Kalzium und Vitamin B6 – Pyridoxalphosphat (Diaminoxidase-Aktivität) am Histaminstoffwechsel resp. -abbau beteiligt, auch haben sie wie Vitamin C, Mangan und Molydän antioxidative Funktionen bzw. sind Bestandteil wichtiger antioxidativer Enzyme wie Super­oxiddismutase SOD und Xanthin­oxidase XO. Die Histaminfreisetzung durch diverse Lebensmittel dürfte auch der Grund sein, warum es nüchtern zu keinen Symptomen kommt. Von großer Bedeutung in diesem Falle sind jedenfalls genaue Laboranalysen, neben den Routine-Laboranalysen v.a. auch die Bestimmung von Vitamin C, Mangan, Zink, Kalzium, Molybdän, B6, Kryptopyrrol (Verlust von Vit. B6 und Zink in den Harn), Aminosäuren, Stuhlanalyse (Mikrobiom – Histamingehalt), biochemischen Markern von oxidativem und nitrosativem Stress sowie die Entgiftung Phase I + II, weiters toxische Belastungen wie Blei, Quecksilber und Aluminium. Je nach Laborergebnissen und gezielter Therapie mit den defizitären Mikronährstoffen, Antioxidantien und Prä-/Probiotika sollte es der Frau wieder möglich sein, ohne Probleme zu laufen, um ihre Gesundheit zu fördern und natürlich auch ein gutes Ergebnis beim Frauenlauf zu erreichen.

Autoren: Dr. Christine Bangert, Dr. Christian Quint, Dr. Peter H. Lauda