Zurück in die Zukunft?
In meinem Nebenjob bin ich Karatetrainerin. Und auch in diesem Nebenjob gibt es Fortbildungen, Sitzungen und manchmal auch ein gemütliches Beisammensein mit Trainerkolleg/innen. Und so saßen wir vor ein paar Jahren gemütlich beim Chinesen und redeten über das Training im Besonderen und über das Leben im Allgemeinen. D., Ende zwanzig, wird zum zweiten Mal Papa, und wir freuen uns natürlich sehr für ihn. Wir erkundigen uns auch, wie es seiner Frau geht. Alles gut, und natürlich bleibt sie jetzt weiter zu Hause und das auch noch für die nächsten Jahrzehnte, weil da gehört sie hin. Der Wortlaut ist vielleicht ein bisschen subtiler, aber die Message ganz klar. Und für den Fall, dass irgendjemand unter uns es doch nicht verstanden hätte, setzt er nach: „Die Frauen heute, das ist ein Wahnsinn. Alle wollen sie Karriere machen und nicht mehr daheim bleiben. Weil sie alle eine Ausbildung haben, und dann wollen sie die Arbeit nicht aufgeben. Das ist doch der pure Egoismus!“
Es dauert bei mir, bis ich kapiere, dass er das ernst meint! Vor mir sitzt ein Achtundzwanzigjähriger im einundzwanzigsten Jahrhundert und schiebt Ansagen, die im letzten Jahrtausend schon ein Affront gewesen sind. Bis es durch alle meine Hirnzellen durchgesickert ist, dass das sein bitterer Ernst ist, ist das Gespräch schon irgendwo anders. Deshalb habe ich bis heute nicht angebracht, was ich ihm damals eigentlich hätte sagen wollen: „Klar, für dich wäre das ja auch kein Problem, das Unternehmen, das du dir in den letzten Jahren mit Fleiß, Liebe und Herzblut aufgebaut hast, einfach in den Wind zu schießen und nur mehr daheim zu bleiben!“ – „Was? Doch ein Problem? Ah, verstehe! Bei Männern ist das natürlich was ganz anderes!“ Aber alle Frauen, ungeachtet ihrer Begabungen, Lebensziele und Vorstellungen von sich selber, haben offenbar nur eine gemeinsame Bestimmung.
Dass dem wirklich so ist, lässt er uns eine Viertelstunde später wissen, als er auf seinen Bruder zu sprechen kommt. „Mein älterer Bruder hat noch immer keine Kinder. Seine Freundin will noch nicht. Die will sich erst beruflich etablieren. Ich hab’ ihm eh schon gesagt, dass er sich trennen soll. Aber der Depp will nicht.“ Und dann sieht er mich an und setzt noch allen Ernstes einen drauf: „Frauen gibt’s Milliarden. Aber eigene Kinder sind was Besonderes. Frauen gibt’s wie Sand am Meer.“ Auch darauf ist mir nichts eingefallen. Wahrscheinlich, weil ich solche Sprüche bis dahin nur in bierseligen Wirtshausrunden vermutet hatte. Aber von einem jungen, gebildeten Menschen?
Zurück an den Herd
Vor dreißig Jahren habe ich bei sehr entfernten Bekannten ein Drama miterlebt. Sie bekam aus irgendeinem Grund eine Pyometra mit Peritonitis und Sepsis und allem, was dazugehört. Offenbar schien die größte Chance aufs Überleben damals die Entfernung des Uterus. Er gab aber sein Einverständnis nicht. Denn er wollte eine intakte Frau und damit Mutter seiner zukünftigen Kinder oder halt keine (oder wahrscheinlich eine neue, funktionsfähige). Damals hab ich mir gedacht: Wow, das ist ein A….! Wenn mir das passieren würde und ich aus dem Koma erwache, rufe ich als Erstes nach dem Scheidungsanwalt. Tat sie übrigens nicht. Die Herrschaften waren alter Adel. Wahrscheinlich tickt man da anders, wenn man die drückende Verpflichtung spürt, seine Gene möglichst zahlreich weiterzuvererben. Mama sein ist etwas Wunderbares, für manche passt auch „Fulltime-Mama“.
Aber hier geht es um etwas Wichtiges, nämlich um die freie Entscheidung und die freie Wahl des eigenen Lebensweges. Und die steht Männern und Frauen zu. Und nicht Männern für Frauen! Und genau das scheint unsere Gesellschaft schön langsam wieder zu vergessen. Natürlich wird es nicht immer so offensichtlich hinausposaunt, wie D. es formuliert hat. Es gibt subtilere Möglichkeiten, die Frauen wieder zurück ins Haus zu zwingen. Zum Beispiel muss man nur die Kinderbetreuung kostenintensiv gestalten. Und schon ist für viele die Nachmittagsbetreuung kein Thema mehr. Weil sie es sich einfach nicht leisten können. Und bis der Nachwuchs dann im Gymnasium oder in einer Lehre ist, war Mama dann fünfzehn Jahre daheim und die Chance auf einen guten Job ist längst Geschichte. Und die Einkommensschere geht schon wieder ein Stückchen weiter auf. Und die Armut wird noch ein bisschen weiblicher.
Und statt finanzschwache Mütter zu fördern, ihnen und ihren Kindern bessere Chancen zu bieten, kann man Kinder in Zukunft besser von der Steuer absetzten. Vorausgesetzt man (meistens Mann) ist in einer entsprechend hohen Einkommensklasse. Unser Leben ist ein Marathon, derselbe für Männer und Frauen. Nur wir Frauen laufen ihn im Korsett und mit Stöckelschuhen, und am Checkpoint drückt man uns kein Erfrischungstuch und keine Wasserflasche in die Hand, sondern ein Kind, den Einkaufskorb und den Staubsauger. Gerade ist mir Werbung meines Autohauses ins Aug’ gefallen. Fotoarrangement: Verkäufer von hinten links im Bild, im Zentrum strahlend ein junger, dynamischer Mann beim Kauf seines neuen BMW, hinter und neben ihm und am Bildrand zu einem Drittel abgeschnitten sein blondes Frauchen. Schließlich sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Die Fünfziger haben gerade angeklopft. Sie wollen ihre Ideale zurück!