Peters Urin ist rot gefärbt – was ist los?
Der Fall. Der 7-jährige Peter kommt mit seiner Mutter an diesem Nachmittag zu Ihnen. „Seit gestern in der Früh hat Peter diese geschwollenen Augen und fühlt sich nicht gut. Ich dachte, das sei eine harmlose Erkältung, aber nun kann er sie nur noch halb öffnen und heute früh war sein Urin rot. Jetzt bin ich doch sehr besorgt“, berichtet Frau K. Ihnen. Bisher war Peter immer ein gesunder Junge, der hin und wieder mal eine Erkältung hatte oder etwas Fieber, so wie vor 1–2 Wochen, aber ansonsten nichts Auffälliges. Bis auf ödematös geschwollene Oberlider beidseits zeigen sich klinisch keinerlei Auffälligkeiten. Harn: Hämat- und Proteinurie im Harnstreifen, BB: unauff., Temp: 37,0°C, RR 120/80mmHg. Woran leidet Peter am ehesten und welche Therapie leiten Sie ein? (ärztemagazin 03/18)
„Die klinischen Symptome sprechen für eine akute glomeruläre Erkrankung“
Dr. Robert Holzer,
FA f. Kinder- und Jugendmedizin, Wien, www.kindundarzt.at
Die Klinischen Symptome, das typische Alter und die Anamnese sprechen für eine akute glomeruläre Erkrankung, am ehesten kommt eine Post-Streptokokken-Glomerulonephritis in Betracht. Zur Abklärung bzw. Differenzierung zu anderen glomerulären Erkrankungen wie Schönlein-Henoch-Nephritis, IgA-Nephritis, membranoproliferative GN und nephritisch-nephrotischen Syndromen sind weitere spezifische Laborbefunde nötig. Blut: kBB+Diff, CRP, ASLO-Titer, C3, C4, Gesamteiweiß+Elektrophorese, Albumin, Immunglobuline, Gerinnung+AT III, Crea, BUN, Na, K, Ca, Ph. Harn: chemisch+mikroskopisch, Protein-Kreatinin-Ratio. Rachenabstrich: Streptokokken-Nachweis Schnelltest und Kultur (alle Strep.-Gruppen als mögliche Ursache!). Typische Befunde zur Absicherung der Verdachtsdiagnose sind ASLO-Titer-Erhöhung (nicht obligat), C3-Verbrauch (obligat) und Hypalbuminämie im Blut sowie dysmorphe Erythrozyten (mit oder ohne Ery-Zylinder) und eine deutliche Proteinurie als Ausdruck der glomerulären Dysfunktion im Harn.
Diese Laborparameter sollten nach Absicherung der Diagnose „Poststreptokokken-GN“ engmaschig kontrolliert werden. Falls der Streptokokken-Nachweis gelingt, sollte eine antibiotische Therapie mit oralem Penicillin oder Amoxicillin für 10 Tage eingeleitet werden. Ansonsten empfiehlt sich eine „wait and see“-Strategie sowie eine Supportivtherapie mit salzreduzierter Kost, täglichen Gewichtskontrollen und regelmäßigen RR-Messungen. Sollte innerhalb von 1–2 Wochen keine Besserung der klinischen Symptome eintreten, sollte an eine andere Form einer GN gedacht werden. In diesem Falle wäre ev. auch eine Nierenbiopsie indiziert. Eine Mikrohämaturie und eine geringe Proteinurie bei normaler Nierenfunktion und normalen RR-Werten kann bis zu einem Jahr nach Beginn der Erkrankung bestehen bleiben. Die Prognose ist aber im Kindesalter immer gut.
„Die Therapie der postinfektiösen Glomerulonephritis ist symptomatisch“
Dr Wolf Formanek,
FA. f. Kinder- und Jugendheilkunde, Arzt f. Allgemeinmedizin, Wien
Die wahrscheinlichste DD lautet postinfektiöse Glomerulonephritis (PIGN). Zeigt der Harnstreifen eine Hämaturie, ist zu klären, ob eine Erythrozyturie vorliegt; der lichtmikroskopische Nachweis von dysmorphen Erythrozyten (Akanthozyten) im Harn spricht für das Vorliegen einer glomerulären Hämaturie. Die PIGN ist die häufigste Form einer akuten Glomerulonephritis im Kindesalter (5–12Lj). Klassischerweise entwickelt der Patient Nephritissymptome 1–2 Wochen nach einer Streptokokkenangina oder 3–6 Wochen nach einer Impetigo contagiosa. Die Schwere der Erkrankung variiert zwischen asymptomatischer Mikrohämaturie mit normaler Nierenfunktion und Makrohämaturie (in 30%) mit akutem Nierenversagen, Oligurie, Ödemen und Hypertonie. Symptome wie Schwäche, Lethargie, Bauchschmerzen, Flankenschmerz sind häufig. In 80% der Fälle einer PIGN findet sich eine Infektion mit ß-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A (Poststreptokokkenglomerulonephritis=PSGN).
Die Diagnose PSGN erfordert den Nachweis einer vorangegangenen Streptokokkeninfektion und eines Komplementverbrauchs im Serum (C3-Komplementprotein im Serum erniedrigt, nicht aber C4). Ist zum Zeitpunkt der Diagnosestellung einer GN der C3-Spiegel normal, muss die Diagnose PIGN angezweifelt und eine Nierenbiopsie in Erwägung gezogen werden, ebenso wenn sich der C3-Spiegel nicht innerhalb von 2 Monaten normalisiert. Ein positiver Streptokokkenschnelltest im Rachen findet sich bei Abwesenheit einer akuten Angina auch bei Streptokokkenträgern (ca. jedes 8. gesunde Kind ab dem 5.Lj.). Ein erhöhter Antistreptolysintiter (ASLO) im Serum beweist noch nicht die Aktualität einer Streptokokkeninfektion, ein ansteigender Titer des ASLO (nach Streptokokkenangina) oder Anti-DNASE-B-Titers (nach Streptokokkeninfektionen der Haut) aber schon. Die Therapie der postinfektiösen GN ist symptomatisch mit besonderer Beachtung des in 60% erhöhten Blutdrucks (Perzentilen!). Obwohl eine AB-Therapie mit Penicillin in Europa empfohlen wird, um die weitere Vermehrung nephritogener Streptokokkenstämme zu unterbinden, kann diese den natürlichen Krankheitsverlauf nicht mehr abändern. Die PIGN heilt in mehr als 95% der Fälle ohne bleibende Niereninsuffizienz oder Hypertonie aus.
„In jedem Fall empfiehlt sich eine mikroskopische Untersuchung des Sedimentes“
Prim. MR Dr. Helmuth Howanietz,
FA f. Kinder- und Jugendheilkunde, Leiter des Kiz Augarten, Wien, www.kizaugarten.at
Bei dem 7-jährigen Peter, der 1–2 Wochen vorher einen Infekt gehabt hat, muss man am ehesten an ein postinfektiös verursachtes nephritisches Syndrom denken. Die akute Poststreptokokkenglomerulonephritis ist hierbei wahrscheinlich die häufigste Form einer akuten exsudativ-proliferativen Immunkomplexglomerulonephritis, die üblicherweise 1–3 Wochen nach einer Infektion mit betahämolysierenden Streptokokken der Gruppe A auftritt. Auch sind Knaben doppelt so oft wie Mädchen betroffen. Hinsichtlich der Typisierung sogenannter nephritogener Streptokokken können solche mit großer Häufigkeit (Typ 12 bei Nasen-Rachen-Infektion und 49 bei Hautinfektion) von solchen mit geringer Wahrscheinlichkeit, eine nachfolgende Nierenerkrankung zu verursachen, unterschieden werden. Andere, seltenere Krankheitsätiologien wären Staphylo-, Pneumokokken, Coxsackie B4, ECHO 9, Influenza, Varizellen und Mumpsviren. So machen wir in unserer Einrichtung routinemäßig 2–4 Wochen nach bakteriellen Tonsillitiden (Streptokokken-Abstrich und kompl. BB inkl. CRP positiv) eine Harn-, aber auch EKG-Kontrolle, da etwa 10–15% der erkrankten Kinder eine Glomerulonephritis mit einem nephritischen Syndrom, aber auch Zeichen einer Herzmitbeteiligung entwickeln können.
Die klinischen Zeichen beim nephritischen Syndrom können die beschriebene (Makro)Hämaturie und Proteinurie sein, wobei sich in jedem Fall eine mikroskopische Untersuchung des Sedimentes empfiehlt, um auch eine Leukozyturie und Zylindrurie erkennen zu können. Die beschriebenen Ödeme sind zumeist leicht und hier morgendlich betont im Orbita-/Oberlidbereich. Hypertonie kann ebenso wie Leibschmerzen, Blässe und Erbrechen vergesellschaftet sein, jedenfalls sehr häufig besteht ein doch ausgeprägtes allgemeines Krankheitsgefühl. Serumchemisch können Streptokokkenantikörper erhöht, Komplement erniedrigt sein, fakultativ sind Harnstoff und Kreatinin erhöht. Ein für das Krankheitsgeschehen typisch veränderter Blutwert fehlt allerdings, weswegen die Diagnose klinisch anamnestisch auch durch den Harnbefund erfolgt. Therapeutisch sollte man für etwa 10 Tage ein Penicillin p.o. 50.000E/kg/Tag geben, wie wohl eine kausale Therapie des nephritischen Syndroms fehlt. Bewährt haben sich Bettruhe für ein paar Tage und regelmäßige Harnkontrollen.
Differenzialdiagnostisch muss das nephritische vom nephrotischen Syndrom abgegrenzt werden, das im Gegensatz dazu meistens keine Hämaturie, aber doch eine ausgeprägte Proteinurie (mehr als 500mg/m² Körperoberfläche und 12 Stunden ) aufweisen kann. Wenngleich eine wirkliche Ursache beim idiopathischen nephrotischen Syndrom fehlen kann, ist doch die Therapie der Wahl Prednisolon 2mg/kg/Tag auf drei Einzelgaben bis zum Verschwinden der Eiweißausscheidung etwa für 4 Wochen, danach für weitere 4 alternierend jeden zweiten Tag um ein Drittel reduziert. Neben dem steroidabhängigen nephrotischen Syndrom sind auch andere Formen beschrieben, die ebenso rezidivieren können, aber zumeist histologisch andere Veränderungen als die „minimal change“-Nephritis aufweisen. Hier muss dann je nach zugrundeliegender Erkrankung bishin zu Zytostatika behandelt werden. Schwerwiegende Komplikationen wie Nierenversagen, lebensbedrohliche Infektionen und Verschiebungen im Eiweiß-Elektrolyt-Haushalt sind zwar beschrieben, fehlen aber im Allgemeinen beim nephritischen und nephrotischen Syndrom, und so kann zumeist von einer über Tage bestehenden, gutartigen Prognose ausgegangen werden.