Herr T. fürchtet um sein Haar

Der Fall. „Seit einiger Zeit habe ich am Hinterkopf diese lichte Stelle“, schildert Herr T. (37 J.) Ihnen sein Leid. „Anfangs habe ich mir nicht viel dabei gedacht, aber ich habe das Gefühl, sie wird immer größer, und egal, was ich verwende, ob spezielle Shampoos oder Cremes aus dem Drogeriemarkt, nichts hilft. Ich bin doch erst 37 und möchte wirklich nicht jetzt schon eine Glatze haben!“ Klinisch zeigt sich am Hinterkopf von Herrn T. eine ca. 4 cm im Durchmesser messende, kreisrund umschriebene, kahle Stelle. Im Randbereich lassen sich Haare schmerzlos entfernen. BB und CRP unauffällig. Kein rez. Infekt, keine Allergie oder Vorerkrankungen, keine Medikation. RR 140/85 mmHg, P 80, Temp. 36,8° C. Was vermuten Sie dahinter und wie gehen Sie weiter vor? Kann man die Haare von Herrn T. noch retten? (ärztemagazin 2/18)

„Im geschilderten Fall handelt es sich um eine Form der Alopecia areata“

Dr. Barbara Franz,
FÄ f. Haut- und Geschlechtskrankheiten, Wien, www.hautsachegut.at
Beim Haarausfall handelt es sich um ein häufiges und gleichzeitig sensibles Thema für den Patienten (ca. 1% des dermatologischen Patientengutes) . Wir dürfen nicht vergessen, für den Patienten stellt Haarausfall im Allgemeinen zumeist eine starke psychische Belastung dar. Im geschilderten Fall handelt es sich um eine Form der Alopecia areata, den sogenannten kreisrunden Haarausfall. Abzugrenzen ist der kreisrunde Haarausfall vom androgenetischen Telogeneffluvium (Geheimratsecken, Scheitel bis hin zum hinteren Oberkopf betroffen, nicht scharf begrenzt und ein Auszupfen von Haaren eher schmerzhaft). Differenzialdiagnostisch abzu­grenzen wäre weiters das Kerion Celsi (Maximalvariante der Tinea capitis mit Schuppung, Erythem, Papulopustelbildung – auch im behaarten Capillitium). Bei der Alopecia areata findet man tatsächlich einen oder zumeist mehrere haarlose, rundovale bis kreisrunde Herde, auch andere behaarte Kopfareale (Maximalvariante Alopecia universalis mit Ausdehnung über gesamtes Capillitium, Bart, Augenbrauen und Wimpern).

Randständig sieht man manchmal sogenannte „Rufzeichenhaare“, weiters vermehrt erniedrigtes Zink, Vitamin D3 oder Ferritin, ein Auszupfen im Randbereich hier schmerzlos! Prognostisch sei zu erwähnen, dass es bei einem Drittel des betroffenen Patientenkollektivs innerhalb einiger Monate von allein zum gewünschten Nachwachsen der Haare kommt, ein weiteres Drittel verbleibt in diesem Zustand und das letzte Drittel klagt über eine zunehmende Verschlechterung des Befunds. Therapeutisch rate ich eher zu einer intraläsionalen als zu einer topischen Applikation von kristallinem Steroid, der Patient sollte alle drei Wochen vorstellig werden.

„Die Anamnese müsste u. a. um die Familienanamnese ergänzt werden“

Univ.-Prof. Dr. Adrian Tanew, 
FA für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Wien
Bei der Abklärung und Behandlung von Kopfhaut- und Haarerkrankungen spielen eine detaillierte Anamnese, eine genaue Inspektion der Kopfhaut und Haare (und nicht zuletzt auch Empathie) eine entscheidende Rolle. Die Anamnese müsste ergänzt werden um die Familienanamnese und Angaben zur Dauer der Alopezie sowie zu subjektiven Symptomen. Bei der Klinik fehlen Angaben zur Beschaffenheit der Kopfhaut (bland, schuppend, entzündlich?), dem trichoskopischen Befund sowie zum Zustand des restlichen Integuments, der Nägel und Lymphknoten. Ein BB und CRP sind bei dem geschilderten Fall entbehrlich. Basierend auf den vorliegenden klinischen Informationen sind die zwei wahrscheinlichsten Differenzialdiagnosen eine sich tonsurartig manifestierende androgenetische Alopezie (AGA) oder eine Alopecia areata (AA). Sollte der alopezische Herd langsam und kontinuierlich über Monate und Jahre zentrifugal gewachsen sein, spricht dies für eine AGA.

Die schmerzlose Entfernung der Haare im Randbereich spricht hingegen für eine AA, die aber in der Regel nicht über lange Zeiträume statisch auf ein Areal beschränkt bleibt. Andere Differenzialdiagnosen wie eine mykotische oder syphilitische Alopezie, eine vernarbende Alopezie (Folliculitis decalvans, chronisch kutaner Lupus erythematodes, Lichen planopilaris, Pseudopelade Broq u.a.) oder eine mechanische Alopezie (Trichotillomanie) müssen immer erwogen werden, sind aber im dargestellten Fall unwahrscheinlich, da bei diesen Differenzialdiagnosen entweder die Kopfhaut entzündlich verändert ist oder die Anamnese bzw. allgemein dermatologische Untersuchung weitere abnorme Befunde zutage fördern würde.
Die Therapie einer AGA bei Männern ist entweder topisches Minoxidil 5% 1 x täglich oder Finasterid 1 mg 1 x tgl. Sollte es sich um einen isolierten Herd einer AA handeln, wäre im beschriebenen Fall eine intraläsionale Kortikosteroidtherapie mit Triamcinolon (10 mg/ml) die erste Wahl.

„Die therapeutischen Möglichkeiten sind leider sehr begrenzt“

Dr. Karin Jahn-Bassler,
FÄ f. Haut- und ­Geschlechtskrankheiten, Zusatzf. Angiologie, Wien, www.healthforlife.at
Meine primäre Differenzialdiagnose wäre eine fokale Alopecia areata (FAA) – aber auch ein vernarbender Lichen planopilaris oder Epidermomykosen der Kopfhaut können in Betracht gezogen werden. In Hinblick auf die FAA, erfolgt nun eine genaue Anamnese (zeitlicher Verlauf, vorangegangene Infektionskrankheiten, Stress, andere Autoimmunerkrankungen, genetische Disposition, Atopie). Des Weiteren eine klinische Untersuchung der Kopfhaut (weitere haarlose Areale/„yellow dots“), des restlichen Integuments (Haarverlust/Vitiligo) und der Nägel (Tüpfelnägel). Ergänzend sollte eine Trichoskopie und ein Zupftest durchgeführt werden. Ist eine tiefe Gewebeprobe indiziert, empfiehlt sich die histologische Aufarbeitung in vertikaler Schnittführung. Nach der Diagnosesicherung muss nun in Betracht gezogen werden, dass bei der AA in 16% der Fälle eine weitere Autoimmunerkrankung vorliegen kann: Schilddrüsenerkrankungen, Vitiligo, rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn bzw. der Typ-I-Diabetes. Auch eine Atopie scheint das Auftreten des kreisrunden Haarausfalls zu begünstigen. Diesbezüglich erfolgen laborchemische Abklärungen und eine Aufklärung des Patienten.

Die therapeutischen Möglichkeiten der AA sind leider stark begrenzt. Liegt eine milde Form der AA vor, kommt es häufig zu einer spontanen Remission. Dennoch empfiehlt sich, eine Therapie mit einem lokalen Steroid, wobei zu erwähnen ist, dass die einzigen guten Datenlagen Steroide der Klasse 4 betreffen. Alternativ kann auch eine intraläsionale Glucocorticoidinjektion erfolgen. Topische Immuntherapien mit Diphenylcyclopropenon zeigten leider nur in Einzelfällen zufriedenstellende Ergebnisse. Versuchsweise können Reiztherapien mit Tretionin oder Dithranol eingesetzt werden. Kommt es zu einer Verschlechterung des Lokalbefunds, kann ein systemischer Steroidstoß oder der Einsatz anderer Immunsupressiva wie Methothrexat erfolgen. Neue Hoffnung auf eine zusätzliche Therapieoption geben uns die guten Ansprechraten von Janus-Kinase-Inhibitoren.

Autoren: Dr. Barbara Franz, Univ.-Prof. Dr. Adrian Tanew, Dr. Karin Jahn-Bassler