Fall der Woche: Wirklich ein Sonnenbrand im Winter?
Der Fall. Heute vertreten Sie zum ersten Mal die Ordination eines Kollegen. Ihre erste Patientin ist eine 17-jährige junge Frau: „Ich habe seit gestern Abend diesen juckenden Ausschlag im Gesicht und am Hals. Heute sind auch die Oberarme betroffen und mein Rücken juckt auch ziemlich. Nach dem Duschen ist mir außerdem aufgefallen, dass sich meine Haut am Rücken abzulösen scheint. Sieht aus wie ein starker Sonnenbrand, dabei geh ich grad nie ins Sonnenstudio!“ Klinisch zeigt sich ein juckendes urtikarielles konfluierendes Exanthem an Gesicht, Hals und beiden oberen Extremitäten sowie am Rücken. Bis auf die eine oder andere Erkältung sowie hin und wieder einen HWI, so wie vor einer Woche, der mit Bactrim behandelt worden ist, ist Frau K. eigentlich immer gesund gewesen. Keine Allergien oder Vorerkrankungen. Keine Dauermedikation. RR 130/80 mmHg, P 75, Temp. 36,7°C Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose und welche Therapie leiten Sie ein? (ärztemagazin 1/18)
„Alle verdächtigen Medikamente sind wenn möglich abzusetzen“
Dr. Wilhelm Brenner,
FA f. Dermatologie und Venerologie, Wien
Es besteht der dringende Verdacht, dass es sich um eine medikamentös-toxische Reaktion handelt, welche durch das Sulfonamid Bactrim ausgelöst worden ist. Diagnostisch ist in erster Linie die Anamnese wichtig, ein Allergietest hat im Moment keinen Sinn. Sulfonamide können multiforme-artige Exantheme bis Steven-Johnson-Syndrom (SJS) auslösen. Von der beschriebenen Verteilung her muss eher an die Variante SJS gedacht werden.
Wichtig ist es, die Mund- und Genitalschleimhaut zu kontrollieren! Eventuell könnte man eine Hautstanze nehmen, um auch histologisch eine Diagnostik und Dokumentation zu sichern. Therapie: Alle verdächtigen Medikamente sind wenn möglich abzusetzen. Wenn eine urtikarielle, sogar bullöse Hautreaktion vorhanden ist, sollte man umgehend mit der Therapie beginnen.
Wenn keine Kontraindikation wie schwerer Diabetes, Bluthochdruck oder Magengeschwür vorhanden ist, wird ein systemisches Steroid gegeben, z.B. Aprednislon 50 bis 100 mg p.o. täglich und als Lokaltherapie eine Steroidcreme 2 x täglich. Blasenbildende Areale sind wie eine Verbrennung mit entsprechenden Verbänden zu behandeln und auf eine bakterielle Superinfektion ist dringend zu achten. Sehr wichtig ist es, die Patientin täglich(!) zu kontrollieren. Nur so kann man sicherstellen, den Verlauf im Auge zu haben. Sollte sich nach zwei bis maximal drei Tagen keine klare Besserung zeigen, ist eine Aufnahme der Patientin in einer Hautabteilung unbedingt erforderlich. Beruhigt sich das Geschehen rasch, so kann und soll das Steroid auch bald wieder abgebaut bzw. abgesetzt werden. Nachbehandlung wie nach einer Verbrennung.
„Für mich ergibt sich die Diagnose Arzneimittelexanthem auf Bactrim“
Dr. Maria Anna Pelzl,
FÄ f. Haut- und Geschlechtskrankheiten, Allergie Ambulatorium Innere Stadt, Wien, www.hautarzt-pelzl.at
Während die Patientin aufgeregt erzählt., dass sie vor fünf Tagen die letzte Tablette Bactrim wegen eines Harnweginfektes eingenommen hat, bitte ich sie, den Rücken freizumachen. Es zeigt sich ein starkes Erythem mit Schuppung und tastbaren Papeln. Die Patientin verneint Fieber, Halsschmerzen und Schnupfen; sie hatte zuvor lediglich Brennen beim Urinieren. An der Mundschleimhaut zeigt sich kein Enanthem, die Lymphknoten sind nicht wirklich vergrößert. Für mich ergibt sich die Diagnose Arzneimittelexanthem (Typ-IV-Allergie) auf das Sulfonamid Bactrim (Trimethoprim/Sulfamethoxazol). Das Arzneimittelexanthem tritt am achten bis zehnten Tag nach Einnahmebeginn auf, wenn zuvor noch keine Sensibilisierung erfolgte. Ist der Patient bereits sensibilisiert, tritt das Exanthem schon innerhalb von drei Tagen auf.
Differentialdiagnostisch ist an ein Virusexanthem, an Scharlach und an Syphilis zu denken. Ein makulopapulöses Arzneimittelexanthem kann sich auch zu den dramatischeren Varianten DRESS (drug induced rash with eosinophilia and systemic symptoms) oder Erythema exsudativum multiforme (Steven-Johnson-Syndrom) oder TEN (toxisch-epidermale Nekrolyse) entwickeln. Als Therapie werden Aprednisolon 75 mg in absteigender Dosierung über fünf bis sieben Tage und dazu ein Antihistaminikum verabreicht. Die Patientin wird zur Kontrollbegutachtung in ein bis zwei Tagen einbestellt. Ein Verdachts-Allergiepass auf „Sulfamethoxazol“ und „Trimethoprim“ wird ausgestellt. In speziellen Allergiezentren/dermatologischen Allergieambulanzen kann eine Austestung mittels Hauttests und eventuell auch oraler Provokation erfolgen. Laut Literatur ist Trimethoprim eher selten Ursache für heftige Arzneimittelreaktionen.
„Die wichtigste Maßnahme ist die Therapie mit modernen Antihistaminika“
Priv.-Doz. Mag. Dr. Stefan Wöhrl,
FA f. Dermatologie und Venerologie, Floridsdorfer Allergiezentrum (FAZ), Wien, www.faz.at
Hier wird die typische Symptomatik einer akuten Urtikaria geschildert. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei 25%. Bei 90% der Patienten heilt die schubweise auftretende Erkrankung binnen der ersten sechs Wochen spontan ab. Eine Urtikaria ist nicht gefährlich, erzeugt aber einen starken Leidensdruck und sollte deshalb auch immer behandelt werden. Eine Urtikaria ist stark juckend, flüchtig und geht in 40% der Fälle mit Angioödemen einher, in 10% präsentieren sich die Patienten sogar nur mit Angioödemen. Seit dem letzten Jahrzehnt wird wegen des gleichen Managements das Angioödem als Untergruppe in die Urtikaria integriert. Wichtigste Differentialdiagnose ist die anaphylaktische Reaktion. In dieser ist die Urtikaria oder das Angioödem aber nur ein Durchgangssyndrom und jede Urtikaria, die länger als eine Stunde dauert, ist KEINE Anaphylaxie und wird auch keine mehr werden!
Eine Anaphylaxie sollte nur als solche bezeichnet werden, wenn zusätzlich zu Urtikaria/Angioödem auch Systemzeichen in den Atemwegen, im Herz-Kreislauf-System oder im Magen-Darm-Trakt auftreten. Die wichtigste Maßnahme ist die Therapie mit modernen, nicht-sedierenden Antihistaminika wie (Levo-)Cetirizin oder (Des-)Loratadin oder Fexofenadin. Nur 50% der Patienten sprechen auf die Standarddosis ausreichend an und deshalb wird die (Off-Label-) Behandlung mit bis zu 4 x tgl. Standarddosis empfohlen. Leider wird in der Praxis viel zu oft Kortison eingesetzt, welches fast nie notwendig ist und durch seine wasserrückspeichernde Wirkung selbst nach einem halben Tag zu einem Angioödem führt. Kann die Reaktion mit Antihistaminika nicht ausreichend beherrscht werden, soll ein Hautarzt/Allergologe beigezogen werden.