17. Jän. 2018

Dr. Stelzl: Happy New Year

Silvester ist der Tag im Jahr, den ich am wenigsten mag. Untertags bin ich immer ganz nachdenklich und nostalgisch, überlege, was ich in den letzten 365 Tagen so geschafft habe und was danebengegangen ist. Und vor allem überlege ich mir immer wieder, wieso 365 Tage so schnell vorbei sein können. Je weiter es gegen Mitternacht geht, desto mehr Kracher und Knaller hört man. Etwas, das mich wegen meiner Viecher furchtbar nervt. Selbst wenn wir auf der Hütte sind, weitab von der nächsten Menschensiedlung, hört man die Schüsse aus dem Tal. Ein Teil unserer Katzen rennt dann kopflos und hysterisch durch die Gegend und wir haben Angst, dass sie unter ein Auto geraten, ein anderer Teil sucht sich die unmöglichsten Orte zum Unterschlupf. Sodass wir befürchten, dass dabei der eine oder die andere plattgemacht wird, wenn der Bauer Heu holt oder den Traktor bewegt.

In der Stube drin rennt unser Hausmonster mit weit aufgerissenen Augen durch die Gegend. Er sieht aus wie ein wildgewordenes Frettchen, die Atmung geht laut röchelnd und viel zu schnell und vor lauter Verwirrung donnert er ständig mit dem Schädel gegen irgendeinen Kasten. Bis jetzt haben alle immer Silvester überlebt. Aber anstrengend ist es. Auch für uns. Unter fröhlich laute und besoffene Menschenmengen mischen ist nicht so unser Ding. Ein einziges Mal war ich am Grazer Schlossberg, um den Jahreswechsel zu feiern. Vor lauter Gedränge bekam ich fast eine Panikattacke, ein Typ hat mir einen Sektkorken in den Rücken geschossen und mir einen Schwall kalten Sekts in den Kragen geschüttet. Und beim Heimgehen hat mir einer auf die Schuhe gereihert. Nein. Danke.

Also läuft es heuer wie alle Jahre wieder: Wir versuchen Katzen zu beruhigen, daneben selber eine Kleinigkeit zu essen und leeren dazwischen eine Flasche Champagner. Die zu Mitternacht längst Geschichte ist, denn dann mag ich ehrlich nimmer trinken. Um zirka zwei Uhr gehen wir Silvestermuffel dankbar ins Bett, wenn der Zirkus endlich vorbei ist. Zuvor heißt es noch Katzen füttern, denn wenn sich die Viecher endlich beruhigt haben, sind die abartig hungrig. Offenbar führt Überlebensangst, wenn sie vorbei ist, zum zwanghaften Verschlingen irre großer Nahrungsmengen.

M wie Modeerscheinungen

Zu Neujahr bin ich selten verkatert, aber meist irgendwie noch immer nostalgisch. Und dann frage ich mich, welche Veränderungen und Challenges das neue Jahr wohl bringen wird. Ob die Praxis gut weiterlaufen wird, die Kassen noch zahlen werden und unsere Verträge aufrecht bleiben. Welche neuen Schmankerln bei Qualitätskontrolle und Datenschutzgesetz auf uns warten. Letztens habe ich gelesen, dass laut einer Umfrage – ich kann mich nicht mehr erinnern, ob die bei uns oder in Amerika gemacht worden ist oder ob das Ganze ein Scherz war – sich der überwiegende Teil der jungen Leute lieber von einer App als von einem Doktor aus Fleisch und Blut behandeln lassen würde. Na super. Ich glaub das sofort. Eine App ist nämlich immer da und zu Diensten, wenn man sich gerade einbildet, etwas zu brauchen. Außerdem hat sie keine eigene Meinung und Honorar braucht sie auch keines. Ich freu mich schon, wenn ich doch nicht von einem Roboter ersetzt werde, sondern von einem kleinen Icon am neuen iPhone.

Aber wenn ich es mir recht überlege, hätte das vielleicht auch sein Gutes? Möglicherweise könnte ich mich bewerben zur Mitentwicklung so einer App und bekäme dann ein Beraterhonorar? Dann bräuchte ich auch nur mehr mit einem Computer zu sprechen statt mit einem Patienten. Das hätte riesige Vorteile. Ich könnte das Ding ein- und ausschalten, wie es mir gefällt. Es wird nicht ungeduldig und es nervt nicht über Gebühr. Auch kann es weder jammern noch stinken. Ja, vielleicht wäre das besser als der Patient aus Fleisch und Blut? Im Moment jedenfalls stapeln sich noch echte Menschen in meinem Wartezimmer. Und ich bin auch schon gespannt, was die heurige Modeerkrankung werden wird. Nach Laktose-, Fruktose- und Histaminintoleranz ist offenbar die Zöliakie dran. Der junge, gesunde Patient bei meiner ersten Vorsorgeuntersuchung bestätigt dies. Er hätte bei Gesprächen mit Freunden und durch Nachlesen im Internet festgestellt, dass er unbedingt in Richtung Nahrungsmittelintoleranzen abgeklärt gehört. Da er aber nicht einmal ein Fürzchen von Beschwerden hat, kann ich ihm das ausreden.

Also hat er als Nächstes Zöliakie. Die kann ich ihm nicht ausreden und wir bestimmen Vitamine, Eisen und Spurenelemente. Was das Labor hergibt. Wenn er es zahlen will, soll er es kriegen. Ich hasse es nur, Teil dieses allgemeinen Wahnsinns zu werden. Aber irgendwie war die Sache auch für etwas gut. Denn bei einem Ferritin von über 800 gehen wir jetzt daran, die Hämochromatose auszuschließen statt der Zöliakie. Nach ewigen Gesprächen, unzähligen Laborwerten und einem Bündel Überweisungsscheinen präsentiert er als letztes Wehwehchen die Extensorensehnen am rechten Handgelenk mit den Worten: „Und da hab ich schon seit Jahren Probleme. Das ist ganz sicher ein Patellarsehnensyndrom.“ „Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Da kann ich Ihnen sogar ohne MR oder Orthopäden versichern, dass es das nicht ist!“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune