Seit Wochen Bauchkrämpfe und Durchfall
Der Fall. „Das geht nun schon seit 2 Wochen“, schildert Herr V. (23 J.) seine Beschwerden. „Diese furchtbaren Bauchkrämpfe kommen immer wieder und der Durchfall hört einfach nicht auf. Teilweise gehe ich 10x am Tag! Und seit 2 Tagen ist sogar Blut dabei. Zuerst dachte ich, es sind Hämorrhoiden, aber irgendwie ist das schon viel Blut. Jetzt bin ich doch sehr beunruhigt.“ Herr V. war die letzten Wochen mit seiner Abschlussarbeit für das Studium beschäftigt und hatte viel Stress. Aufgrund der Durchfälle ist er auf Schonkost umgestiegen, was die Symptome aber nicht besserte, sondern nur dazu führte, dass er in den letzten 2 Monaten 4kg verloren hat. Bisher war er immer gesund. BB: deutliche Leukozytose mit hypochromer mikrozytärer Anämie. RR 132/88mmHg, P 72, Cor + Pulmo: unauff. Abdomen: weich, keine Resistenzen/Abwehrspannung, Druckschmerz im gesamten Bauchraum, regelrechte DG. Welche Maßnahmen ergreifen Sie und wie können Sie Herrn V. am besten helfen? (ärztemagazin 20/17)
„Die Beschwerden lassen mich an eine aktive Colitis ulcerosa denken“
Dr. Rainer Watzak,
Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Geriatrie, Wien www.internist-watzak.at
Die Beschwerden lassen mich als Erstes an eine aktive Colitis ulcerosa denken. Geänderte Stuhlgewohnheiten dürften bereits schon mehrere Wochen vorliegen. Bedingt durch den zunehmenden Stress beim Studieren kam es zu einer deutlichen Verschlechterung mit blutiger Diarrhoe und konsekutivem Gewichtsverlust. Ein Malignom ist aufgrund des jungen Alters eher unwahrscheinlich, differentialdiagnostisch muss auch an eine infektiöse Diarrhoe gedacht werden. Zur weiteren Abklärung schicke ich den hämodynamisch stabilen Patienten ins Labor zur großen Blut- und Stuhlanalyse. Ich lasse Folgendes bestimmen: KBB, Eisenparameter, CRP, Elyte, Nieren-FP (Funktionsparameter), Leber-FP, Pankreas-FP, LDH, TSH, Calprotectin im Stuhl, Stuhlkultur auf darmpathogene Keime.
Eine Therapie mit einem 5-ASA-Präparat in ausreichend hoher Dosierung leite ich bereits beim ersten Patientenkontakt ein und vereinbare eine klinische Kontrolle in 1-2 Wochen. Zur Prophylaxe einer Exsikkose rate ich zur vermehrten Flüssigkeitszufuhr. Auch sollten Aufzeichnungen über Vitalparameter, Temperatur und Stuhlfrequenz sowie Stuhlkonsistenz angefertigt werden. Eine Ileokoloskopie mit Stufenbiopsien aus allen Segmenten des unteren gastrointestinalen Trakts sollte ehestmöglich zur Diagnosesicherung erfolgen. Im Endoskopie-Befund gebe ich das Ausmaß des entzündlichen Befalls (Längenangabe wie z.B. Proktitis, Proktosigmoiditis, linksseitige Colitis oder Pancolitis) und das Ausmaß der Aktivität (Mayo Score 0-3) an. Danach richtet sich die weitere Therapieempfehlung. Andere Differentialdiagnosen können endoskopisch ausgeschlossen werden. Der Histologe bestätigt mit seinem Befund die Diagnose.
Der Patient sollte nach spätestens 2 Wochen auf die eingeleitete Therapie angesprochen haben. Eine weitere Abklärung und Betreuung kann dann ambulant erfolgen. Sollte der Patient jedoch klinisch nicht angesprochen haben, muss die wahrscheinliche Diagnose und die Therapie überdacht werden. Bei weiterhin hochgradigem Verdacht auf chronisch entzündliche Darmerkrankung würde ich den Patienten stationär aufnehmen lassen. Im Spital mit CED-Erfahrung können schneller notwendige Untersuchungen (Labor, Ultraschall, Computertomographie etc.) erfolgen und die notwendige Therapie eskalierend eingeleitet werden.
Die Therapie erfolgt üblicherweise konservativ mit z.B. kristalloiden Infusionen und krampflösenden und analgetischen Zusätzen, bei Notwendigkeit mit Eiseninfusionen, Ery-Konzentraten oder antibiotischer Therapie, aber auch mit erweiterter 5-ASA-Therapie oral und lokal (Suppositorien, Klysmen, Schäume) bzw. immunsupprimierender Therapie mit Cortison (oral oder systemisch), Azathioprin und/oder Biologica etc. Die stationäre Betreuung erfolgt interdisziplinär zumindest mit Gastroenterologen, Radiologen, Chirurgen und Diätologen. Je nach Befundkonstellation können dann weitere Schritte eingeleitet werden. Der Zeitpunkt einer chirurgischen Therapie mit möglicher Operation und Kolektomie (wie z.B. beim toxischen Megakolon) darf bei Nicht-Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie und schlechter werdendem Allgemeinzustand nicht übersehen werden. Wichtig erscheint mir die schnelle Betreuung durch Spezialisten, da eine Colitis ulcerosa in seltenen Fällen auch fulminant und lebensbedrohend verlaufen kann. Die Erkrankung kann chronisch und rezidivierend werden, sodass eine längerfristige ambulante Betreuung durch einen Gastroenterologen bzw. eine Anbindung an eine CED-Ambulanz empfehlenswert ist.
„Ich werde schon heute, spätestens morgen eine Stuhlkultur anfordern“
Dr. Regina Gramberger,
Ärztin für Allgemeinmedizin, Kassenpraxis, Wien
Da sitzt er nun vor mir, der junge Mann, schmal und ein bisschen blass um die Nase. „Bauchschmerzen und Durchfall seit zwei Wochen“ steht als Bemerkung auf der Warteliste – das hat meine Assistentin notiert. Also werde ich mich durch gezielte Fragen schlaumachen müssen. Blutabgang und das nicht wenig, das erzählt er mir spontan, macht ihm sicher die meisten Sorgen. Ich frage ihn nach Fieber, nach Durchfallerkrankungen, die im Bekannten- oder Familienkreis eben stattgefunden haben, nach kürzlich durchgeführten Reisen, nach Antibiotika – oder NSAR-Gaben. Alles nichts! Vielleicht langwierige Darmerkrankungen in der Familie? Nein, aber darüber wird nicht so gern gesprochen – da hat er wohl recht! Viel Stress zurzeit im Studium mit den Prüfungen, wenig Zeit zum Schlafen, aber das muss eben sein!
Wir müssen rasch zu einer Diagnose kommen, daher schon heute, spätestens morgen eine Stuhlkultur anfordern, parallel dazu gleich Calprotectin im Stuhl, das würden wir nicht nur zur Differentialdiagnose, sondern im Fall einer CED auch zum Therapiemanagement benötigen … und wenn der Patient schon im Labor ist, dann bitte auch gleich den Arm zu einer weiteren Blutabnahme hinhalten: E-lyte und Eisenstatus fehlen noch. Im Fall der Fälle könnten wir dann rasch Eiseninfusionen organisieren. Apropos „rasch“: Ein schneller Diagnoseweg gelingt am besten, wenn der Hausarzt an einem entsprechenden Befunde- und Terminmanagement interessiert ist, darüber auch verfügt (elektronische Befundübertragung) und die Termine selbst in die Hand nimmt.
Das werden wir auch bei negativer Stuhlkultur so handhaben: Anruf von der Ordination an „unseren Hauschirurgen“ mit Bitte um einen raschen Colotermin! Das klappt immer ohne unnötige Zeitverzögerungen! Das erkläre ich dem Patienten, er muss sich nicht selbst um diese Dinge kümmern. In der kurzen Wartezeit auf das Ergebnis der Stuhlkultur sollte er das Flüssigkeitsvolumen mit Tee, verdünnten Fruchtsäften und Suppe auffüllen. Sobald der Befund da ist, rufe ich ihn an. Vorsichtshalber noch die notierte Telefonnummer überprüfen (die Jugend wechselt diese ja rasch)! Bald werden wir wissen, „wohin die Reise geht“!
„Die Symptome rechtfertigen eine rasche Abklärung mittels Koloskopie“
Prim. Univ.-Prof. Dr. Ludwig Kramer,
FA f. Interne Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie; Chair, CME comittee, EBGH; Vorstand 1. Med. Abt. KH Hietzing, Wien
Angesichts der Anamnese des Patienten ist eine inflammatorische Diarrhoe, möglicherweise auf Basis einer entzündlichen Erkrankung des Colons, die führende Differentialdiagnose. Spezifische Hinweise auf eine Dünndarmbeteiligung (Malabsorption, wässrige Durchfälle) liegen nicht vor. Die Symptome rechtfertigen eine rasche Abklärung mittels kompletter Koloskopie, ohne vorangehende Abklärung durch Darmultraschall oder Calprotectin im Stuhl, welche als Screeningtest zum Ausschluss entzündlicher Darmerkrankungen verwendet werden können. Die Sigmoidoskopie hat eine etwa 85%ige Sensitivität zur korrekten Diagnosestellung und wird v.a. bei starker entzündlicher Symptomatik in einigen Ländern bevorzugt. Gerade bei mikrozytärer Anämie sollte jedoch nach Abklingen der Symptomatik eine komplette Koloskopie mit Intubation des Ileums und Entnahme von Stufenbiopsien angeschlossen werden.
Da gelegentlich auch infektiöse Colitiden mit Blutabgängen auftreten (z.B. durch Campylobacter, enterotoxi-sche/enterohämorrhagische E.coli, Rotaviren bei Kindern, Salmonellen, bei immunsupprimierten Patienten auch Herpes oder Zytomegalie), darf ein infektiöser Trigger trotz der schon länger bestehenden Symptomatik und offenbar fehlenden Fiebers nicht völlig außer Acht gelassen werden. Stets ist die Einnahme von Antibiotika als Risikofaktor für Infektionen mit C. difficile oder Klebsiella oxytoca zu erheben. Auch NSAR können schwerwiegende entzündliche Veränderungen mit Blutung auslösen. Nach einem (hier nicht angegebenen) Aufenthalt in Risikogebieten erweitert sich die Differentialdiagnose auf Parasiten wie z.B. Lamblien, Kryptosporidien, oder Amöben. Aufgrund der Blutungsentwicklung erst in den letzten zwei Tagen wären diese allerdings nicht wahrscheinlich. Auch eine Sexualanamnese ist wichtig, wie auch der Ausschluss einer möglichen HIV-Infektion, welche intestinale Infektionen mit blutiger Diarrhoe begünstigt.
Unwahrscheinlich aufgrund des Alters und der Anamnese sind Divertikulose, Divertikulitis sowie Sigma- oder Rektumkarzinom, welche bei jüngeren Menschen zumindest in den USA aber zugenommen haben. Auch ein primäres Hämorrhoidalleiden oder eine Analfissur erscheinen angesichts der Symptomatik unwahrscheinlich. Zusammenfassend wären der endoskopisch/histologische Nachweis einer entzündlichen Darmerkrankung und die rasche Einleitung einer leitliniengemäßen Therapie (systemische Corticosteroide, 5-ASA; Antibiotika bei speziellen Infektionen) meine ersten Maßnahmen. Stuhlkulturen, Clostridiumtoxin A/B sowie TTG-Antikörper, Fe-Status und HIV-Test sind empfehlenswert. Ösophago-Gastroduodenoskopie und Dünndarmuntersuchungen würde ich bei histologischem Hinweis auf M. Crohn anschließen, auch wenn ich eine linksseitige Colitis vermute.