Fall der Woche: Dasselbe Leid Monat für Monat
Der Fall. „Ich halte das langsam nicht mehr aus“, klagt Ihnen Frau O. (41 J., Lehrerin, Mutter von 3 Kindern) ihr Leid. „Jeden Monat dasselbe. Vor der Menstruation falle ich ganze 2–3 Tage aus. Ich bekomme so starke Migräne, dass ich mich nur noch in einem abgedunkelten Raum hinlegen kann und abwarten muss. Die Schmerzmittel helfen auch nur mäßig. Ich habe das Gefühl, es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Früher bin ich wenigstens nur 1 Tag ausgefallen. Es ist mir wirklich unangenehm. In der Arbeit muss ich mich monatlich krankmelden, zu Hause bleibt alles liegen. Es muss doch irgendwas geben, was mir helfen kann!“ Frau O. hat relativ früh, mit 13 Jahren, ihre erste Menstruation bekommen und ihr Zyklus ist ziemlich regelmäßig mit 30 Tagen. Leider dauert die Blutung 7 Tage und ist vor allem die ersten 2–3 Tage sehr stark. Brust- und Unterleibsschmerzen hat sie auch. Keine Dauermedikation. Keine Vorerkrankungen. Können Sie Frau O. helfen? (ärztemagazin 19/17)
„In diesem Fall scheint es sich um eine menstruelle Migräne zu handeln“
Dr. Alfred Wassermair,
Arzt f. Allgemeinmedizin, Umweltschutzarzt, Tauchmedizin, Hypnotherapie, Aschach an der Donau, www.wassermair.at
Im Gegensatz zur menstruationsassoziierten Migräne, bei der auch unabhängig vom Zyklus migräne-artige Kopfschmerzen auftreten, scheint es sich hier um eine menstruelle Migräne zu handeln. Typischerweise treten die Symptome kurz, also 2–3 Tage vor der Monatsblutung auf. Relativ typisch ist auch die lange Dauer des Schmerzgeschehens und das Fehlen einer Aura. Oft sind die Schmerzen auch stärker ausgeprägt als bei der normalen Migräne. Ursache ist ein Abfall des Östrogens. Vermutet wird, dass der Hormonabfall die Empfindlichkeit für Stressfaktoren erhöht. Es kann aber auch sein, dass der Östrogenspiegel die Schmerzverarbeitung im Gehirn beeinflusst, und zwar über eine Veränderung der Endorphinproduktion.
Einer anderen Theorie zufolge könnte der Östrogenabfall Einfluss auf die Regulation von Genen haben, die für die Aktivität von Blutgefäßen verantwortlich sind. Die Therapie sollte einerseits mit länger wirksamen Schmerzmitteln wie Naproxen und bei Bedarf Metocopamid erfolgen. Bei schweren Verläufen oder Unwirksamkeit der Erstmedikation sind Triptane das Mittel der Wahl, die dann auch wiederholt, also an mehreren Tagen gegeben werden können. Bei der Prophylaxe ist zu beachten, dass die herkömmliche Migräneprophylaxe mit Betarezeptorblockern, Flunarizin oder Topiramat bei Menstruationsmigräne nicht wirkt. Da sie durch einen Östrogenabfall getriggert wird, können deshalb Östrogenpflaster bei Beachtung der Kontraindikationen hilfreich sein.
„Es ist nicht ganz klar, ob die menstruelle Migräne zum PMS-Komplex gehört“
Dr. Walter Lingard,
FA f. Gynäkologie und Geburtshilfe, Wien, www.lingard.at
Da ich annehme, dass die Patientin ihre Kopfschmerzen schon längst beim Neurologen abklären hat lassen, konventionelle Therapien (z.B. Triptane) versucht worden sind und es sich wirklich um eine prä- oder perimenstruelle Migräne handelt, ist jetzt der Gynäkologe/Endokrinologe gefordert. Es ist nicht ganz klar, ob die menstruelle Migräne zum Symptomenkomplex des PMS (Prämenstruelles Syndrom) gehört. Sie scheint jedenfalls aber in Zusammenhang mit dem prämenstruellen Abfall des Östrogens zu stehen. Zwar ist es sinnvoll, nach der Menstruation einen Hormonstatus und prämenstruell das Progesteron bestimmen zu lassen, erfahrungsgemäß aber sind die Beschwerden oftmals nicht mit den Hormonwerten korrelierbar. Ich empfehle meinen Patientinnen in diesem Fall einen Therapieversuch mit Medroxyprogesteron, wie es z.B. in der „Dreimonatsspritze“ Sayana® vorhanden ist.
Zur Therapie der Migräne ist aber oftmals eine Gabe alle 2 Monate nötig. Wenn sich unter dieser Behandlung der Zustand gebessert hat, kann auch ein Therapieversuch mit einer Gestagen-„Pille“ mit 75 µg Desogestrel (z.B Cerazette®) gemacht werden. Eine zyklische Behandlung einer nachgewiesenen Corpus-luteum-Insuffizienz hat sich bei meinen Patientinnen bezüglich Migräne nicht wirklich bewährt. Gelegentlich ist trotz Progesteron-Basistherapie – zumindest in den ersten Monaten – eine zusätzliche Gabe von Analgetika (Naproxen) notwendig. Aber Vorsicht! Falls die Gestagentherapie überhaupt nicht anspricht, ist die Patientin zum Neurologen zurück zu überweisen, damit zur sicheren weiteren Abklärung ein MRI veranlasst wird. Anekdotisch sei noch erwähnt, dass gelegentlich Zucker-, Alkohol- und Koffeinrestriktion hilfreich sind. Manchmal ist auch hochdosiert Magnesium (beginnend 1 Woche vor der Menstruation) wirksam.
„Bei unauffälligem Befund soll ein Hormonstatus veranlasst werden“
Dr. Georg-Daniel Breuer,
Assistenzarzt f. Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Tulln
Nach erfolgter Anamnese und Blutdruckmessung wird eine Tastuntersuchung der Brust durchgeführt zum Ausschluss von Auffälligkeiten (z.B. Knoten, Milchfluss), die eventuell eine weitere Diagnostik bedürfen. Nach Spiegeluntersuchung und Palpationsuntersuchung wird ein vaginaler Ultraschall der Gebärmutter zum Ausschluss von Endometriose, verdickter Schleimhaut, Polypen oder Myomen durchgeführt. Bei unauffälligem Befund soll ein Hormonstatus veranlasst werden. Neben dem Prolaktinspiegel werden die Serumwerte der Androgene, der Gonadotropine und des TSH analysiert. Das bedeutendste unspezifische Symptom der Hyperprolaktinämie ist das prämenstruelle Syndrom. Ursache sind die erniedrigten Progesteronspiegel infolge der Corpus-luteum-Insuffizienz und die Wirkung des Prolaktins an der Brust. Bei wiederholter Migräne sollte eine Vorstellung beim niedergelassenen Neurologen erfolgen zum Ausschluss einer anderen neurologischen Erkrankung sowie zur Optimierung der Anfallstherapie. Wenn sich im Hormonbefund ein Serumwert des Prolaktins von ≥100ng/ml findet, muss man mit einem nachweisbaren Prolaktinom (gutartiger Tumor des Hypophysenvorderlappens) rechnen. Dies kann Sehfeldeinschränkungen und Kopfschmerzen verursachen und wird mittels Kernspintomographie diagnostiziert.
Durch die medikamentöse Therapie mit Dopaminagonisten kann nahezu immer ein normaler Prolaktinspiegel erreicht werden. Falls eine Operation notwendig ist, führt auch diese bei einem Prolaktinom langfristig meist zu normalen Prolaktinspiegeln. Besonders günstig scheint für Migränepatientinnen eine möglichst niedrig dosierte transdermale Hormonersatztherapie (über ein Hautpflaster) zu sein. Bei verlängerter Zykluslänge, Blutungsdauer >6 Tage, starker Menstruation, Dysmenorrhö und Mastodynie wird ein gestagenbetontes Präparat mit Drospirenon angeraten. Phytotherapeutika (v.a. Nachtkerzenöl, von den Supplementen Kalzium und Vitamin B6) konnten in Studien in der Behandlung des prämenstruellen Syndroms Wirksamkeit zeigen. Wenn die konservativen Maßnahmen ausgereizt sind und die Beschwerden anhalten, ist eine operative Therapie möglich. Bei abgeschlossener Familienplanung und starker Menstruation kann man beispielsweise eine operative Gebärmutterspiegelung (oder mit Thermoballon) mit Endometriumablation durchführen.